Reisebuch "Unplugged ":Raus aus dem Speckmantel

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Max Trommsdorff reist größtenteils zu Fuß um die Welt. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Straßenmusiker. Das ist nicht immer eine gute Idee.

Von Carolin Werthmann

Eine Weltreise ist inzwischen so was wie die Abi-Fahrt nach der Schule. Pflichtprogramm. Die - meist jungen - Pilger glauben an die kathartische Wirkung, wenn sie einmal um den Globus gezogen sind, sie glauben daran, ein anderer, besserer Mensch zu sein, wenn sie gesehen haben, wie es sich anderswo als im Speckmantel der westlichen Gesellschaft lebt.

So wie Max Trommsdorff. "Unplugged - Mit Gitarre um die Welt" heißt das knapp 400 Seiten schwere Buch, das der inzwischen beim Fraunhofer-Institut in Freiburg promovierende Vater dreier Kinder geschrieben hat. Mitte zwanzig war er, als er eines Winters im bayerischen Dorf Mittenwald loszog, um die Welt zu sehen, mit Gitarre und Proviant im Rucksack, mehr nicht. Geld? Will er nicht, braucht er nicht. Mit Straßenmusik verdient er sich die Mahlzeiten, vielleicht mal eine Busfahrt, vielleicht sogar mal einen Flug, aber dann mit äußerst schlechtem Gewissen und nur, weil zwischen der US-Westküste und Neuseeland eben 7000 Meilen Ozean liegen.

Trommsdorff reist zu Fuß, klimaschonend, so wie man das halt macht, wenn man ein tugendhafter Mensch sein will. Seine Route ist beeindruckend, noch beeindruckender sind sein Mut und seine Naivität, auf den Straßen jener Länder zu musizieren, in denen man dafür ins Gefängnis kommt. Er reist von Italien über Griechenland nach Syrien, nach Iran und in die Vereinigten Arabischen Emirate, landet in Bangladesch und Singapur, in Australien und Neuseeland, und fliegt von dort in die USA. Er schläft in Scheunen, auf dem Boden von Zügen, in einer Obdachlosenunterkunft in Los Angeles oder bei einem der vielen Menschen unterwegs, deren Gastfreundschaft und Güte ihn am meisten prägten, wie er schreibt.

Von Anzugträgern wird der Straßenmusiker keines Blickes gewürdigt

Der Mann hat viel zu erzählen. Und erzählt oft das, was man am wenigsten wissen will. Wie lange es in jedem einzelnen Land dauert, bis er sein Visum bekommt. Dass in dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Damaskus "viel Betrieb herrscht" und "buntes Treiben" und dass es dort nach Abgasen stinkt. Tut es das nicht in jeder großen Stadt? Und dass Barcelona eine "pulsierende Metropole" ist und Dubai aus "maximal surreal wirkenden Wolkenkratzern" und "bombastischen Glaspalästen" besteht - das lässt sich auch ohne Weltreise erahnen.

Aber dann scheint er sich irgendwann warmgeschrieben zu haben und beschreibt nicht nur, was er sieht, sondern steckt seine Leser in den Rucksack, lässt sie rauslinsen und zeigt ihnen die Welt, ordnet ein. Als seine Gitarre in Mexiko gestohlen wird, regen sich endlich Gefühle, wird die Bedeutung des Verlusts seiner einzigen Reisebegleiterin greifbar. Wenn er morgens an einer Straßenecke von Wellington in Neuseeland hängt und kalte Dosenbohnen "schlürft" und Menschen in Anzügen an ihm vorbeilaufen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, dann verrät er die Tiefpunkte, die diese Reise birgt. Und damit nimmt er seiner Geschichte - zum Glück - einen Hauch der pädagogischen Moral.

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