Tourismus in Deutschland:Zimmerpflanze statt Karibikpalme

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Trotz Wirtschaftskrise, Schweinegrippe und Anschlägen reisen die Deutschen fast genauso viel wie früher - und sparen trotzdem.

Michael Kuntz

Die Reiselust bleibt ungebrochen. Während etwa ein Viertel weniger Geschäftsreisen gebucht werden, verreisen die Deutschen privat fast so oft wie vor der Wirtschaftskrise. Doch die meisten geben dabei weniger Geld aus und bleiben im Land. Ziele an Nord- und Ostsee, aber auch die Alpen sind wieder stärker gefragt.

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Die Bilanz für das im Oktober zu Ende gegangene Touristikjahr fällt durchwachsen aus. "Es sind fast genauso viele Urlauber mit Reiseveranstaltern verreist wie im Vorjahr, jedoch zu niedrigeren Preisen", fasst Klaus Laepple zusammen, der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV). Der Tourismus ist mit 2,8 Millionen Arbeitsplätzen ein starker Wirtschaftsfaktor, der in Deutschland acht Prozent zum Inlandsprodukt beiträgt.

Führende Reiseveranstalter, Vertreter mittelständischer Reisebüros und touristische Dienstleister treffen sich derzeit in der ägyptischen Retortenstadt Port Ghalib, anderthalb Flugstunden südlich von Kairo. Im Sonnenschein am Roten Meer macht sich die Branche Mut.

Am heftigsten getroffen wurden von der Wirtschaftskrise die auf Geschäftskunden spezialisierten Reisebüros. Bei ihnen brach ein Viertel des Umsatzes weg. Das Tagungs- und Messegeschäft kam zum Erliegen, manche Unternehmen verhängten gar ein Reiseverbot. Auch wo es das nicht gibt, wird gespart.

So sagt Lutz Stammnitz, als Chefeinkäufer bei Siemens der wichtigste Einzelkunde: "Wir wollen die Reise als Investition betrachten." Die Videokonferenz war gestern - heute verbinden Internetschaltungen Verkäufer, die früher durch die Welt reisten. In zehn Jahren sank bei Siemens die Zahl der Buchungen über Reisebüros auf 40 Prozent. Selbst wenn gereist wird, geschieht das oft ohne Reisebüro: Immer mehr Unternehmen buchen zumindest ihre Standardreisen online.

Günstiger sieht es noch für Reiseverkäufer aus, die sich auf Privatkunden spezialisiert haben. Sie mussten trotz Finanzkrise, Schweinegrippe und Terroranschlägen, wie auf Mallorca, nur fünf Prozent Rückgang verkraften. Immerhin 67 Prozent aller Deutschen haben bei einer Umfrage erklärt, sich vor einer Urlaubsreise in einem Reisebüro beraten zu lassen. Selbst wer vorher das Internet nach günstigen Angeboten durchforstet, bucht dann oft im Ladengeschäft.

Von den zweistelligen Wachstumsraten des Verkaufs via Netz ist nicht mehr viel übrig. Fachleute sprechen vom "Ropo"-Effekt, also Research online, Purchase offline. Der hat zumindest das jahrelange Reisebürosterben gestoppt. Immerhin 11.000 Verkaufsstellen für touristische Dienstleistungen gibt es in Deutschland, die 19 Milliarden Euro umsetzten - sieben Prozent weniger als ein Jahr zuvor.

"Trotz der gegenüber dem Vorjahr in etwa gleichgebliebenen Nachfrage nach Veranstalterreisen haben die gefallenen Preise den Reisebüros das Ergebnis verhagelt", sagt Verbandspräsident Laepple. Denn die Kunden bevorzugen günstige Reisen und nutzen verstärkt Rabatte, etwa für Frühbucher.

Die Reiseveranstalter konnten Leistungen auch günstiger einkaufen, denn Hotels und Fluggesellschaften mühten sich um die Auslastung ihrer Kapazitäten. Discounter läuteten wöchentlich neue Preisrunden ein. Auch Energie und Lebensmittel wurden billiger. Die Preise für Flugbenzin sanken.

Doch nur etwa jeder zehnte Urlauber reist in die weite Ferne - Tendenz fallend. Der Umsatz für über Veranstalter und Reisebüros organisierte Ferienreisen im Inland stieg um drei Prozent. Statt unter Palmen in der Karibik erholen Urlauber sich neben Zimmerpflanzen. Nahziele in Europa waren ebenfalls stärker gefragt, das Mittelmeer dagegen weniger.

Hier schnitten die Türkei und Ägypten noch am besten ab - nämlich auf Vorjahreshöhe. All-Inclusive-Reisen erwiesen sich als krisengerechte Angebote. Der Trend zur Sparsamkeit setzt sich im kommenden Jahr fort, glaubt Reise-Präsident Laepple: "Der Urlaub nimmt gerade auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten einen hohen Stellenwert bei den Deutschen ein. Es wird aber eben stärker auf den Preis geschaut als bislang."

© SZ vom 4.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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