Tonga in der Südsee:Königreich der Müßiggänger

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"Mahalo pei a pongi pongi" ist ein wichtiger Satz auf den Inseln an der Datumsgrenze. Er bedeutet "morgen vielleicht" - über die liebe Not der Tongaer mit dem Nichtstun.

Margit Kohl

Es sind Sätze wie diese, die einem immer dann in den Sinn kommen, wenn man sich zurückträumt in die Welt der weit entfernten Inseln an der Datumsgrenze, wo manchmal völlig andere Gesetze gelten.

"We are running out of coconuts", sagt Betty, während sie inmitten eines Palmenhains voller Kokosnüsse steht und einem allen Ernstes lieber eine süße Cola andrehen will. Auch wenn man auf die prächtigen, im Passatwind schaukelnden Früchte deutet, es ist nichts zu machen: "No coconuts", wiederholt Betty und lächelt dabei in ihrer herrlichen Hilflosigkeit so breit, dass ihre goldverplombten Eckzähne blitzen.

Bevor sie sich ganz aus dem Staub macht, zuckt sie mit den Achseln und sagt einen weiteren großartigen Satz, den man von nun an noch öfter hören wird: "Mahalo pei a pongi pongi. - Morgen vielleicht." Morgen kommt mit etwas Glück der Gärtner Ule-Ule, der die Kokosnüsse erntet. Heute aber ist Sonntag. Und an einem Sonntag auf Tonga würde selbst für den König niemand auf die Palme steigen, um ihm eine Nuss zu holen.

Man muss schon sehr weit reisen, um noch ein Land zu finden, in welchem die Bürger von Staats wegen einmal in der Woche zum Nichtstun angehalten werden.

Hier im letzten Königreich der Südsee hat der Monarch seinen Untertanen jeden Sonntag absolute Ruhe verordnet. Das allein wäre noch nichts besonderes, gilt doch bei gläubigen Menschen der in den zehn Geboten vorgeschriebene Sabbat weltweit als Ruhetag.

Nur zählt in Zeiten des Turbokapitalismus das Geld längst mehr als das Leben, weshalb bei uns genügend Ausnahmegesetze die Sonntagsarbeit zum Dauerzustand machen. Auf Tonga ist hingegen am Sonntag jede Form von sogenannter Leistungsarbeit untersagt.

Kein Fischer käme auf die Idee, sonntags sein Boot aufs Meer zu steuern. Selbst das Schwimmen ist den Einheimischen dann verboten, gilt es doch als sportliche Betätigung. Es ruht der Flugverkehr und nur zu Land sieht die Situation etwas entspannter aus.

Autofahrten zur Kirche und zum Priester werden toleriert. Schließlich will es die Tradition, dass man den Gottesdienern etwas vom eigenen Sonntagsbraten vorbeibringt. Die im Erdofen gegarten Schweinchen, Hühner oder Fische bereiten die Familien zu Hause zu, denn alle Restaurants sind natürlich ebenfalls geschlossen.

Auf Tonga haben die Missionare längst erreicht, woran sich einst die Kolonialmächte vergeblich die Zähne ausgebissen hatten, nämlich die Insel zu beherrschen. Pünktlich um halb fünf Uhr morgens beginnen am Sonntag überall die Glocken um die Wette zu dröhnen, und bald darauf erschallt ein kräftiger, makelloser, dreistimmiger Choral aus jedem Gotteshaus.

Dass in jedem noch so kleinen Ort garantiert mehrere Kirchen stehen, hat damit zu tun, dass die etwa hunderttausend Einheimischen zehn verschiedenen Glaubenrichtungen angehören. Zu feierlichen Anlässen tragen alle ihre geflochtene Taovala-Matte aus Pandanussblättern, die sie sich mit einem Strick um den Leib gebunden haben.

Als besonders kostbar gelten die zerschlissensten Teile, die schon seit Generationen weitervererbt wurden. So mancher dicke Tongaer verschwindet fast vollständig in seiner überdimensionalen Wickelmatte. Und wenn man sie so alle dastehen sieht, könnte man meinen, man habe gerade die komplette Kirchengemeinde versandfertig für eine lange Reise verpackt.

Wenn nicht gerade Sonntag ist, arbeitet Carl Sanft, Tongaer deutscher Abstammung, in einem bescheidenen Holzhüttchen, das sich Deutsche Botschaft nennt und das in einem mit Bananenstauden bewachsenen Hinterhof Nukualofas steht. Zwischen dem Porträtfoto von Horst Köhler und einer Bayernfahne mit König-Ludwig-Konterfei sitzend, bedauert der deutsche Honorarkonsul, dass der König von Tonga zur Zeit leider nicht zu sprechen sei.

Sein Privatsekretär lasse ausrichten, der Monarch sei momentan auf Weltreise unterwegs zu anderen Adelshäusern, um zu seinem 60. Geburtstag im Mai und zu seiner Krönungsfeier im August einzuladen.

Vom König ist bekannt, dass er zu solch offiziellen Anlässen gerne Militäruniform mit Säbel und Monokel trägt, sich sonst aber am liebsten in seiner neoklassizistischen Villa verschanzt, wo er sich ausgiebig seiner umfangreichen Zinnsoldatensammlung und seinen vielen Computerspielen widmet.

Militär und Technik interessierten den Monarchen, heißt es. Kunstsinnig sei er aber auch, sagt Sanft. Die meisten Wände seines Hauses seien im Trompe-l'Oeil-Stil bemalt. Sanft sagt auch, dass König Siaosi TupouV. ganz stolz darauf sei, dass die Maler die Illusion von Marmor so perfekt imitieren konnten, dass sogar ein leichter Sprung im nachempfundenen Gestein täuschend echt zum Vorschein kommt.

Über sein Inselreich lässt sich der König manchmal in einem schwarzen Londoner Taxi chauffieren, das er eigens aus England herbeischaffen ließ. Die Fenster haben Vorhänge, so können ihn seine Untergebenen nicht sehen und auch er muss sie nicht sehen.

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