Südtirol:Baumhaus für Erwachsene

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Oberhalb von Brixen hat das Hotel "MyArbor" eröffnet - auf Stelzen. Die höchsten Zimmer liegen in 30 Meter Höhe.

Von Dominik Prantl

Um ein gutes Hotel zu bauen, muss man wahrscheinlich erst verstehen, wie das Prinzip Hotel funktioniert. Selbst dann, wenn das Prinzip so brutal ist, wie die Sätze des Innenarchitekten Gerhard Tauber klingen: "Ein Hotel ist wie eine Maschine. Nur: Der Gast darf es nicht spüren. Sonst ist es ein Krankenhaus." Um so viel vorweg zu nehmen: Das im Frühjahr eröffnete MyArbor oberhalb von Brixen ist mehr Baum-als Krankenhaus.

Es ist ja trotz all der modernen Maschinen und Möglichkeiten keineswegs einfacher geworden, ein Hotel mit Charakter oder wenigstens Charme zu errichten. Was da ab einem gewissen Niveau nicht alles verlangt wird! Ein endlos breites Wellnessangebot zwischen von Café-del-mar-Klängen bedudelten Relaxräumen und Außensprudelbecken. Abends Milchferkelfilet oder Rinderlende, eingebettet in vier andere Gänge und am besten medium rare, selbst wenn der Gast gar nicht weiß, was das genau heißt; dazu eine Weinauswahl, die kein Mensch wirklich braucht. Morgens Frühstücksbuffet auf 120 Quadratmetern mit dem immer etwas bedauernswerten Eierspeisenmeister hinter der Kochplatte. Auf dem Zimmer dann Flachbildschirm, Regenwalddusche und der stets um zwei Nummern zu große Bademantel. Als hätten alle Hotel-Innenausstatter zwischen Nordkap und Südpol dieselbe To-do-Liste. Rundherum noch eine Hülle, und zack, fertig ist die Privatklinik.

Außensprudelbecken und Eierspeisenmeister und all das gibt es im MyArbor natürlich auch. Das Vier-Sterne-Superior-Gedöns läuft aber mehr im Hintergrund mit, so wie ein schönes Auto im Normalfall eben auch über eine Sitzheizung und ein Navigationssystem verfügt. Das hat auch damit zu tun, dass die Hubers als Eigentümer des 26-Millionen-Projekts wie auch die verschiedenen Architekten von Paul Seeber bis Gerhard Tauber wirklich aus dem Tal unten stammen und eben keine arabischen Heuschrecken sind, die sich beim Anblick des Areals dachten: Hey, steiles Stück Wald, setzen wir da doch mal unser Ufo in die Landschaft. "Wichtig war, dass der Baumcharakter erhalten blieb. Es sollte ein Nest werden", meint Tauber.

Der wohl schönste Platz in jedem der 104 Zimmer ist das Liegebett direkt am Fenster. (Foto: Myarbor)

Vielleicht muss man auch nur Tauber selbst ansehen, um das Wesen des MyArbor zu verstehen. Er sitzt gerade auf der Panoramaterrasse, blickt an den bis zur Krone astlosen Kiefern vorbei auf die gegenüber liegenden Berge und verwendet beim Gespräch sehr häufig das Wort "ehrlich". Tauber, gebürtiger Brixener, besitzt trotz allen Ich-Bewusstseins eine unaufgeregte Lässigkeit: Sakko, halblange, graue Haare und eine Gürtelschnalle, auf die man nicht zu lange glotzen will, die aber gut ein Totenkopf sein könnte. Auf der bis zehn reichenden George-Clooney-Skala erhält er mindestens eine gute Acht, ist also eher der Typ, der keine Probleme hat, von Frauen attraktiv gefunden zu werden, und mit dem Männer trotzdem weiterhin gerne mehr als einen Gin Tonic trinken.

Gleichzeitig reicht es für das MyArbor aber auch auf dem Ronja-Räubertochter-Index zu einer knappen Sieben. Wobei Tauber schon klar ist: "Zwischen dem kindlichen Charakter eines Baumhauses und einem Baumhauskonzept mit 104 Zimmern ist doch ein bissl ein Sprung." Weil der 161 Meter lange, kastenförmige Bau zu einem guten Teil über den Hang hinausragt, sitzt er dort auf 65 bis zu zehn Meter hohen Stützen auf. Außen unzählige Holzschindeln, im Eingangsbereich 48 von der Decke hängende Bäume und als Rezeption ein Fichtenstamm mit 220 Jahresringen. Sämtliche der teilweise 30 Meter über dem Boden liegenden Zimmer zeigen in Richtung Tal; an der Fensterfront eine nestgleiche Nische mit Liegebett, die Tauber als "Auschill-Station" bezeichnet; das Interieur so reduziert, dass sogar der Wasserkocher fehlt oder man ihn zumindest nicht findet.

Von den zum Tal ausgerichteten Balkonen des in den Hang gebauten Hotels schaut man durch die Bäume auf Brixen. (Foto: Myarbor)

Tauber sagt, er habe für das Projekt zu verstehen versucht, welche Tiere im Baum wohnen und was es braucht, um Vögel anzulocken. Der Kollege Außenarchitekt hat sich laut Hotelangaben sogar in die Bäume gehängt, um zu erspüren, wohin sich diese im Wind neigen. Sonst könnte der Gast glauben, der Wald stürze über ihm zusammen. In Zeiten des Waldbadens und Zirbenwahns kommen solche Geschichten von Baumbaumlern und Vogelflüsterern gut an. Dabei war das bereits 2010 begonnene Projekt wegen politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen mehrere Jahre auf Eis gelegt worden.

In der Dämmerung hört man auf dem Balkon das Bimmeln von Kuhglocken, ein Reh tritt aus dem Wald. Es ist Oktober, das Haus voll besetzt, aber man merkt es nicht beim Essen. Und das ist vielleicht genauso viel wert wie alle Holzschindeln und Jahresringe zusammen.

MyArbor, DZ mit HP ab 139 Euro p. P. und Nacht, Tel.: 0039/04 72/69 40 12

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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