Im Süden Australiens:Gute Mine

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Coober Pedy im südöstlichen Outback lebte einst nur von den Halbedelsteinen - geblieben sind Erinnerungen an bessere Tage.

Thomas Becker

Der Ring passt nicht mehr. Keine Chance am Ringfinger. Es ist ein schlichtes, ein hübsches Stück: Opal, milchig-matt schimmernd, in Gold gefasst. Die Schwester hatte ihn ihr geschenkt, damals vor mehr als 30 Jahren. Da konnte Gerda Meyer nicht wissen, dass dieser Ring ihr Leben bestimmen würde.

Nix als Löcher: Die Gegend rund um Coober Pedy gleicht einer Kraterlandschaft. (Foto: Foto: AFP)

Und jetzt liegt er auf dem Küchentisch und passt nicht mehr. "Ich arbeite einfach zu viel", sagt sie und zeigt ihre Hände. Arbeiterhände, verbraucht und gichtig sehen sie aus. Jahrzehnte lang haben sie gegraben, tief unter der Erde nach Opal gehämmert und gebuddelt. Jetzt ist Gerda Meyer 60 und hat "keine Lust mehr auf den verdammten Opal". Jetzt hat sie Lust auf Gold. "Das ist viel einfacher aus der Erde zu holen. In Westaustralien, Perth. Die einzige Stadt auf der Welt, die ich mag."

Gerda Meyer ist ein bisschen verrückt. Nur dort, wo sie lebt, sind sie das alle. Coober Pedy: ein staubiges 3500-Einwohner-Städtchen im südaustralischen Outback, in der Mitte von nirgendwo zwischen Adelaide und Alice Springs. "Opal-Hauptstadt der Welt": In der großen Zeit, den 1960er und 70er Jahren, kamen 90 Prozent der Weltproduktion aus Coober Pedy.

Heute sind es nach Expertenmeinung noch etwa 60 Prozent, doch viele der Pioniere von einst sind immer noch da. So wie Gerda Meyer. Wie die meisten der Opalgräber wohnt sie wegen der Hitze unter der Erde. Im Dezember hat es hier 45 Grad, kühlen Wind gibt's nicht, selbst die Kängurus verziehen sich in Höhlen.

Die ins Gestein gehauene Zweihundertquadratmeter-Wohnung von Gerda Meyer ist ein bernsteinfarbenes Gesamtkunstwerk, ein irreal-futuristisches Ambiente wie in einem Bond-Film aus den frühen Siebzigern. Jeden Moment muss Sean Connery um die Ecke biegen. Stattdessen drückt sich eine schwarze Katze an der Wand entlang - ihr einziger Begleiter, nachdem von ihren zwei Lieblingshunden nur noch ein Foto übrig geblieben ist.

Ihre Stimme klingt nach sehr vielen Zigaretten, und die Tatsache, dass sie aus der Schweiz kommt, ist auch nach all den Jahren nicht zu überhören. Im Appenzeller Land hatten sie ein Gasthaus samt Skilift, doch Mitte der 70er wollte sie los, raus in die weite Welt. "Nur mal gucken, ob's mir gefällt. Dann bin ich auf die Idee mit dem verdammten Opal gekommen, und jetzt bin ich immer noch hier."

An der Wand eine Winterlandschaft

Das Visum für Australien war kein Problem; sie arbeitete zunächst in einer Fabrik, um Englisch zu lernen. Kollegen sahen ihren schönen Ring und brachten sie auf die Idee mit dem Opalsuchen. In Lightning Ridge, New South Wales, fing sie an. Es ging nicht gut: Ihr Stollen brach ein, mit Müh' und Not konnte sie noch rauskrabbeln und fuhr zurück in die Heimat.

Drei Jahre hielt sie es aus, dann war das Fernweh zu groß. "Ich hab' immer von Australien geträumt. Von der Schweiz nie." 17 Jahre war sie nicht mehr daheim, Schwester und Bruder kamen mal zu Besuch. Und doch: An der Wand eine Winterlandschaft bei Bern, auf dem Tisch ein deutsches Kreuzworträtsel, im CD-Player "Skihasen-Hits", am Eingang der Spruch "Lieber besoffen und lustig als nüchtern und doof", in der Küche eine Kuckucksuhr - "die ist aber aus Melbourne, aus dem Restaurant Kuckuck".

South Australia
:Coober Pedy

Bei den Minenarbeitern in der "Opal-Hauptstadt" der Welt.

Der Opal hat ihr kein Glück gebracht. Jahrelang buddelte sie mit ihrem Mann, viel kam nie dabei heraus. Dann verließ er sie "für eine Bessere". Gerda musste sich einen Kompagnon suchen, der den schweren Bulldozer bedient. Als der vor sieben Jahren starb, nahmen dessen Söhne ihr das Fahrzeug weg, es kam zum Prozess - und dann wurde sie ausgeraubt. Mit dem Schweißbrenner knackten die Diebe den riesigen Safe hinter dem Schlafzimmerschrank, nahmen ihr alles weg. Nur der Ring ist ihr geblieben.

Wegen der großen Hitze leben die meisten Opal-Sucher in Höhlen unter der Erde. (Foto: Foto: AFP)

Coober Pedy ist voll von solchen Geschichten. In der Sprache der Aborigines heißt kupa piti "weißer Mann im Loch", und die einen sind eben im Loch stecken geblieben und die anderen strahlend emporgestiegen. So wie der Grieche Yanni. Jahrelang hat er gekellnert, um sich die Graberei leisten zu können.

Jetzt, mit Mitte fünfzig, hat er es geschafft: blütenweißes Ralph-Lauren-Hemd, dicke Golduhr, gewinnendes Lächeln. Statt Tische zu wischen ist er nun Chef des Opal-Museums, vermietet unter der Erde 250 Endzeit-Bunker-Unterkünfte mit Stockbetten und verkauft im Shop daumennagelgroße, blau glitzernde Steine für ein Vermögen. Wie frisch verliebt betrachtet er die Opale auf der schwarzen Samtauslage: "Die können einen wirklich blind machen."

Vom Opalgräber zum Postbote

Peter Rowe weiß noch gut, wie ihm Yanni damals vor 30 Jahren im "Opal Inn" immer sein Bier brachte. Er war auch Opalgräber, zwei Jahrzehnte lang. Irgendwann gab er auf, verkaufte seine Mine an einen Ungarn, der kurz darauf einen halben Meter weiter Opale fand - im Wert von ein paar hunderttausend Dollar. "Nicht mal ein Bier hat er mir ausgegeben, der Bastard", sagt Rowe verbittert. Jetzt arbeitet er als Postbote.

Das klingt gemütlich, doch sein Arbeitstag ist verdammt lang: 14 Stunden braucht er für die 600 Kilometer durch die Wüste. Zwei Städte und fünf Häuser fährt er zwei Mal pro Woche an, manchmal mit nur einem Brief im Gepäck.

Eine irre Fahrt, mittlerweile Touristenattraktion. Es geht nach Norden, durch den Dingo Fence, den längsten Zaun der Welt, durch die Moon Plain, ein Meer von schwarzen Mondsteinen, einst Kulisse der apokalyptischen Wagenrennen in "Mad Max". Stundenlang kein Baum, kein Strauch am Horizont. Bis plötzlich dieser Fluss da ist: Algebullculla Creek, eine braune Suppe mitten im Nichts. "Ein beliebter Platz für Weihnachtsfeiern", erzählt Peter. Australier sind irgendwie anders.

Ein paar Stunden und eine rätselhafte, von einem Motorradfahrer getriebene Rinderherde später: Painted Desert, eine 80 Millionen Jahre alte Felsformation, farbenfrohe Erosionslaune der Natur aus den Zeiten, als die Wüste noch unter einem Festland-Ozean lag. Vielleicht tausend Touristen im Jahr verschlägt es hierher, meint Peter.

Wenig später gibt es schwäbischen Kartoffelsalat mit Hühnerbein: Halbzeitpause bei Leonie im "Pink Roadhouse" von Oodnadatta, dem einzigen Restaurant weit und breit. Bis 1980 hielt hier der Ghan, die transkontinentale Eisenbahn. Damals war das Städtchen fast hundert Jahre lang wichtige Zwischenstation der Kamel-Karawanen auf dem Weg nach Alice Springs. Heute tut sich wenig in Oodnadatta, viele sind weg gezogen, die Bevölkerung - 108 Menschen - vor allem Aborigines. Nur einen Polizisten gibt es, und der langweilt sich so, dass er manchmal auf Bestellung Kängurus schießt.

Postbote Peter treibt zum Aufbruch, wir sind spät dran. Die zweite "Stadt", William Creek mit seinen zwölf Bewohnern, lässt er heute aus, nimmt eine Abkürzung durchs Outback. Eine Piste mit rotem Sand, die man nur mit Satellitentelefon in Angriff nehmen sollte. "Wenn du hier eine Panne hast. . . " Es folgt eine unappetitliche Geschichte von Dingos und Menschen, die eine Panne hatten - und kein Satellitentelefon. Kurz nach dem Lake Cadibarrawirracanna verlischt das letzte Sonnenlicht, und eine Weile später ist man heilfroh, endlich wieder unter der Erde zu stehen: an einer der Bars von Coober Pedy.

Menschen aus 45 Nationen bevölkern diesen merkwürdigen Flecken. Viele Vertriebene sind darunter, süd- und osteuropäische Migranten, die sich nach dem Krieg im Leben nicht mehr zurechtgefunden haben. Unliebsamen Polizisten stecken sie schon mal eine Dynamit-Ladung "Hot sausages" in den Auspuff des Dienstwagens.

Anderthalb Millionen Löcher wurden seit dem ersten Opal-Fund vor 90 Jahren in die Erde gebuddelt - und nie mehr zugeschüttet. Nachts sollte man lieber nicht zwischen diesen ungesicherten Maulwurfhügeln rumlaufen. Etwa 500 Opalgräber gibt es derzeit, 150 leben davon, Tendenz fallend. Auch der jüngste Riesenfund ändert nichts am Problem der Stadt: Es wird zu wenig Opal gewonnen; die Jungen sind weg, weil sie nicht als eine weitere kuriose Geschichte auf dem Friedhof enden wollen, dessen makabere Grabstätten von Galgenhumor zeugen.

Dabei hätten die Opalsucher von Coober Pedy durchaus ein paar nette Ecken in ihrer Umgebung: Die "Wow Spots" an der 2000 Kilometer langen Küste der westlich gelegenen Eyre Peninsula, wo sie nach zwei Stunden Fahrt ohne Gegenverkehr zum ersten Mal den Blinker setzen. In der Zehn-Mann-Gemeinde Baird Bay kann man Doris, Billy, Bubbles und den anderen herrlich verspielten Seelöwen beim Schwimmen und von Juni bis Oktober den Walen beim Auf-die-Welt-Kommen zusehen.

Das Glück aus der Erde gehämmert

Oder mal die meditative Ruhe eines perfekten Zelt-Camps an den Salzseen im Outback der Gawler Ranges bei Wudinna genießen, wo die Vögel so schöne Namen haben wie Laughing Jack oder Butcher Bird. Oder in der englischen Parklandschaft der Adelaide Hills von einer Weinprobe zur nächsten gondeln und in einem der wunderbaren Cottages vor dem Kamin einschlafen. Oder dem Charme der Festival-Stadt Adelaide mit ihren 700 Restaurants und den allerdings nicht immer ganz haifreien Stränden erliegen.

Aber das haben sie alles nicht gewollt, die Opalgräber. Sie sind lieber in ihrem Wüstenkaff geblieben und haben nach dem Glück gegraben. Als ob man das einfach so raushämmern könnte.

Gerda Meyer hat längst ihre Träume begraben und keine Freude mehr an der Stadt. Die Zeiten, als es ständig Partys gab, wenn jemand etwas gefunden hatte, sind lange vorbei. Heute herrschen Neid und Misstrauen. Sie hat nur noch eine Mine, und mit der ist sie bald durch, wie sie sagt. Gerda Meyer wird ihre James-Bond-Bude mit dem kaputten Safe hinter dem Schlafzimmerschrank verkaufen. Sie wird die Katze in den Korb packen und nur ein einziges Foto mitnehmen. Und natürlich den Ring. Er wird auch am kleinen Finger gut aussehen.

© SZ vom 9.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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