Skifahren in Vorarlberg:Einmal hoch, fünfmal runter

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Der kleine Skiort Gargellen in Vorarlberg bietet statt des üblichen Rummels das seltene Gefühl einer heilen Welt. Hierher kommen Menschen, die Ruhe wollen.

Dominik Prantl

Der hochgewachsene Mann auf dem schnellen Schlitten macht eigentlich einen seriösen Eindruck. Doch mit jedem Meter talwärts scheint er zurück ins Kindesalter oder vielleicht auch direkt in den Wahnsinn zu rasen.

Idyllisch, ein wenig verschlafen und ohne Schnickschnack: der Skiort Gargellen in Vorarlberg (Foto: Foto: Gargellen Tourismus)

Er brüllt dem Vordermann hinterher: "Ich krieg' dich. Warte nur, gleich habe ich dich." Und dann folgen ein paar Verwünschungen, die in direktem Zusammenhang mit dem gar scheußlichen Enzianschnaps auf der Hütte "Brunellawirt" stehen müssen.

Später wird er sagen, dass er in den langsamen Flachstücken sein Holzgefährt unter den Arm geklemmt und die Beine zur Aufholjagd in die Hand genommen habe - als ginge es auf dieser nächstens beleuchteten Rodelstrecke mehr um Kopf und Kragen als um eine gemütliche Abfahrt.

Es ist jedenfalls merkwürdig, was Berge, Schnee und ein Gerät zum Herunterrutschen aus Menschen machen können.

Und es ist großartig. Etwa eine Viertelstunde Autofahrt von der bei St. Gallenkirch gelegenen Rodelpiste entfernt, jenseits der Tagesausflugsschneisen und touristischen Hauptverkehrsadern, liegt auf 1400 Metern in einer Sackgasse die Ortschaft Gargellen.

Runterfahren statt Wellness

Es ist die Heimat von 110 der Gemütlichkeit verpflichteten Einwohnern, vielen Bergen und jeder Menge Schnee. Im Winter stehen als Freizeitinfrastruktur nicht viel mehr als die umliegenden Hänge zur Verfügung, womit die Gemeinde irgendwie geradlinig und ehrlich daherkommt.

Statt Wellness-Schnickschnack und allerlei bizarre Sportarten zur Wartung des stressgeplagten Körpers angedreht zu bekommen, darf sich der Gast hier auf die simple Kerndisziplin des Wintersports konzentrieren: Runterfahren. Irgendwie.

Gargellens Umgebung im Montafon in Vorarlberg kontrastiert mit dem üblichen Eventskilauf; selbst die Einwohner würden es wohl kaum als Brennpunkt des Wintertourismus bezeichnen. "Das Problem ist doch, dass heute nur Pistenkilometer und Liftanzahl gemessen werden", sagt Bertram Rhomberg.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, dass vor allem Engländer die Idylle in Gargellen zu schätzen wissen.

Er ist Eigentümer des geschichtsträchtigen Hotels Madrisa, Obmann des Tourismusverbandes Gargellen, Vorstand der Bergbahnen Gargellen, Vorstand von Montafon Tourismus, Herrscher über 20 Rindviecher und außerdem aktiv bei Bergrettung und Feuerwehr, sitzt also in den wichtigsten Institutionen des Dorfes. Kurz: Rhomberg ist einer jener Dorffürsten, wie es sie nur in Siedlungen wie dieser gibt.

Blauer Himmel und glitzernder Schnee: ein Boarder-Traum (Foto: Foto: Gargellen Tourismus)

Der Honoratior hat jedoch wenig Lust auf PR-Schwadronade, in der immer alles besonders schön, groß und innovativ klingt. "Bei uns geht eine Bahn hoch und fünf Pisten gehen runter", sagt er, als sei Understatement Teil seiner Marketingphilosophie.

Wahrscheinlich aber herrschte in Gargellen schon immer eine eigene Auffassung darüber, was wirklich wichtig ist. Die Höhepunkte der ziemlich kurzen Dorfchronik: "Im 17. Jahrhundert meldete der Vogteiverwalter Pappus von Bludenz, dass Gargellen ein vieh- und molkenreiches Tal sei.

1766 erhielt das Dorf einen Priester, der jedoch im Winter nicht amtierte, weil auch die Bevölkerung ins Tal zog. Um 1790 wurde das Kirchlein vergrößert und der kleine Friedhof angelegt. Um 1844 ist die Schule nachweisbar."

Der Tourismus kam gemächlich So banal wie unkompliziert war die Reihenfolge in der Bergwelt, bevor die Gäste mit ihrem Drang zum Herunterrutschen kamen: Arbeit, Religion und irgendwann dann Bildung.

Gemächlich eroberte der Tourismus die nur saisonal bewohnte Siedlung, und das Madrisa übernahm dabei stets eine Leitfunktion. Als 1889 das Fundament für das Hotel gelegt wurde, entstand ein Haus mit "Schutzhüttencharakter", wie Rhomberg sagt. 1904, dem Baujahr des Jugenstiltraktes, kamen die ersten Wintergäste, obwohl ein vernünftiger Zufahrtsweg noch immer fehlte.

Das erste Auto erreichte Gargellen 1923. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war der Talschluss ein Paradies für Schmuggler, die Tabak, österreichische Lodenhüte, Hosenträger, Gummibänder und sogar ganze Schafherden weitgehend unkontrolliert hinüber in die angrenzende Schweiz verschoben.

1949 baute die damalige Madrisa-Chefin Midy Rhomberg den ersten Lift, ließ sich auch nicht entmutigen, als eine Lawine in ihren Speisesaal donnerte und gründete die Gargellner Seilbahnen GmbH. Ihr Enkel Bertram wirkte vor kurzem auch an der Erstellung des Tourismus-Leitbildes mit, das von limitiertem Wachstumspotenzial, fehlenden Indoorangeboten, Marktpositionierung, Imagefaktoren und Leistungsoptimierung handelt.

Abgeschiedenheit als Attraktion

Natürlich sind das modische Begriffe, vollends im Sinne einer Multioptionsgesellschaft. Wie einst bei den Schmugglern ist aber noch immer die Abgeschiedenheit die wahre Attraktion des Ortes.

Seit jeher stammt etwa ein Drittel der Gäste aus England. Manche von ihnen machen bereits in der zweiten oder dritten Generation in Gargellen Urlaub, und zwar vor allem deshalb, weil statt des oft üblichen Rummels das seltene Gefühl geboten wird, hier sei die Welt noch in Ordnung.

"In den letzten fünf Jahren ging im Skiverleih unseres Hotels genau ein Paar Ski durch Diebstahl verloren" , sagt Rhomberg - und liefert schmunzelnd den Grund hinterher: "In der Sackgasse hier können die Diebe ja gar nicht flüchten." 1999 war die einzige in den Ort führende Straße sogar drei Wochen lang verschüttet.

Auf der letzten Seite erhalten Sie alle Informationen zum Skiort Gargellen.

Noch immer wird die Straße hin und wieder wegen Lawinengefahr tageweise gesperrt. Nicht einmal der Klimawandel scheint bis in diese Nische auszustrahlen. Selbst im warmen Winter 2006/07, der vielen Skigebieten ein übles Loch in die Bilanz schmolz, waren die Talabfahrten in dem höchstgelegenen Skiort des Montafons von Dezember bis April geöffnet.

Auch hat die sparsame Einrichtung von Aufstiegshilfen Vorteile. Die Anzahl der Skirouten und Varianten im Skigebiet ist beinahe genauso groß wie die der präparierten Pisten (36 Kilometer), und als Königsdisziplin gilt ohnehin das Skitourengehen.

Um den Hausberg Madrisa (2770 Meter) führt eine Rundtour über das St. Antönier und das Schlappiner Joch, wobei auf der Schweizer Seite ein gutes Stück mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen ist.

Ruhe statt Remmidemmi

Nur ein Tal weiter lockt die Lindauer Hütte mit den imposanten Gipfeln der Drei Türme und Drusenfluh. An schönen Tagen üben die schneebedeckten Bergrücken, auf denen man mühsam nach oben stapft, um sich anschließend mit dem Herunterrutschen zu belohnen, jedenfalls mehr Reiz aus als Shopping- und Indoorangebote.

Mit dem Pistenremmidemmi des Skigebiets Silvretta Nova um die Ecke lässt sich ohnehin schwer konkurrieren. Die zweifelhafte Hüttengaudi namens Après-Ski lässt sich an manchen Abenden im Brunellawirt nachempfinden. Immerhin entschädigt anschließend die berauschende 5,5 Kilometer lange Rodelabfahrt, die täglich bis zu 1500 Besucher jedes Alters nutzen.

"Zu uns dagegen kommen Leute, die ihre Ruhe haben wollen", sagt Gargellens Hotelier Bertram Rhomberg. Vielleicht sollte man da gar nicht mehr zu viel herumoptimieren.

Informationen Anreise: Mit dem Auto in zweieinhalb bis drei Stunden von München über Lindau und Bregenz nach Gargellen im Montafon.

Unterkunft: Hotel Madrisa, pro Person im DZ mit Halbpension ab etwa 84 Euro, Familie

Rhomberg, A-6787 Gargellen, Tel.: 0043/5557/6331, www.madrisahotel.com

Weitere Auskünfte: Gargellen Tourismus, A-6787 Gargellen, Tel.: 0043/5557/6303 E-Mail: info@gargellen.at, www.gargellen.at

Skigebiet: Die Bergbahnen Gargellen haben den Skibetrieb aufgenommen. Die Tageskarte für Erwachsene kostet bis 19. Dezember 25,80 Euro, danach 36,80 Euro.

© SZ vom 11.12.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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