Rüpel statt Gentlemen:Plagegeister von der Insel

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Billigflüge zu den Bierhallen und Bordellen: Briten fallen zu Saufgelagen in Prag, Krakau oder Riga ein. Sogar "Mutter Lettland" wurde besudelt.

Klaus Brill

Sie kamen, sahen und soffen. Und einer hielt es zu später Stunde für angebracht, sich auszuziehen, in den Brunnen vor dem Nationaltheater zu hüpfen und dort öffentlich zu masturbieren. So geschehen jüngst auf dem Hviezdoslav-Platz in Bratislava, mitten in der Stadt und vor den Augen diverser Damen.

Für Frontmann Keith Flint von The Prodigy gehört Bierspucken zum Auftritt. Bei britischen Touristen ist solch rüpelhaftes Verhalten jedoch weniger gern gesehen. (Foto: Foto: AP)

Die Polizei schritt ein und nahm den jungen Mann fest. Man ließ ihn erst ein paar Tage später wieder frei, sodass er gerade noch rechtzeitig zurück nach England kam, um dort zu heiraten.

Hirsche (stags) nennen sich nach alter Tradition junge Briten, die vor der Hochzeit mit ihren Freunden und männlichen Verwandten noch einmal ausgelassen feiern. Fand derlei kollektive Alkoholzufuhr früher in der Stammkneipe des heimatlichen Dorfes oder Stadtviertels statt, so fasst man heute auch ausländische Ziele ins Auge.

Dank sensationell günstiger Billigflüge und dank der niedrigeren Preise in Bierhallen und Bordellen sind inzwischen vor allem die Metropolen des östlichen Mitteleuropas zu Zielorten von stag-parties geworden.

Auch junge Frauen, sogenannte Hennen, die sich in ähnlicher Weise zu hen-parties zusammenfinden, kreuzen vermehrt in Bratislava, Prag, Budapest, Krakau, Warschau, Riga, Vilnius oder Tallinn auf.

Für die Einheimischen ist es nicht immer eine Freude. Vor allem jene jungen Männer, die im einheitlichen T-Shirt mit glasigen Augen lärmend die Trampelpfade des Tourismus verstopfen, haben mit allerlei Vandalenakten das schöne Bild vom Gentleman empfindlich getrübt. In der Altstadt von Bratislava wurden stadtbekannte Skulpturen umgeworfen und beschädigt.

In Prag gingen etlichen der Statuen auf der Karlsbrücke die Nasenspitzen und andere Kleinigkeiten verloren. Jüngst wurde dort auch ein betrunkener Brite beobachtet, der unter höhnischer Assistenz seiner delirierenden Spezis einen am Boden knienden Bettler mit dem T-Shirt verwalkte.

Dabei gehen gerade in Prag die "alkohollastigen sogenannten Vergnügungsreisen", wie sie ein heimischer Tourismusexperte vornehm nannte, wieder zurück. Sie hatten 2006 schätzungsweise mehr als 30.000 junge Briten an die Moldau geführt.

Anderswo boomt es ungebrochen. In Riga sah man sich jetzt genötigt, mit einer einmonatigen Plakat-Kampagne und mit Werbespots in Hörfunk und Fernsehen gegen den Ruf der lettischen Hauptstadt als "Bangkok des Baltikums" anzukämpfen. "Stoppt den Sex-Tourismus", lautete die Parole, und einheimische junge Frauen wurden aufgefordert, sich nicht für eine Nacht an wild gewordene Ausländer zu verkaufen.

Ein 30-jähriger Brite wurde vor einem halben Jahr zu 1200 Euro Geldstrafe verurteilt, nachdem er trunken an das nationale Freiheitsdenkmal der "Mutter Lettland" sein Wasser abgeschlagen hatte.

Als vorigen Oktober die Queen zu Besuch war, forderte eine lettische Partei sie auf, sich in Riga das Treiben ihrer Landsleute anzusehen.

Auch britische Diplomaten sind mit dieser hässlichen Seite der Globalisierung und der Vereinigung Europas beschäftigt. Judith MacGregor, bisher Botschafterin Ihrer Majestät in Bratislava, rief Runde Tische und Seminare zusammen und suchte nach Möglichkeiten der Moderation. Nach ihrer Meinung geht es nur "um eine sehr kleine Minderheit" von Briten, die sich danebenbenimmt.

Nur Hennen und Hirsche.

© SZ vom 18.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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