Carson City (dpa/tmn) – Eine Reise durch viel Nichts ist dieser Roadtrip entlang des Highway 50 in Nevada. Von der Hauptstadt Carson City geht es über Fallon, Austin und Eureka nach Ely. Orte, von denen auch die meisten Amerikaner kaum je gehört haben dürften. Keiner hat mehr als ein paar Hundert Einwohner. Und das ist dann auch schon die Zivilisation, die man entlang des Highway 50 findet.
Der Weg ist das Ziel, hier stimmt es mal wieder. Vor fast 40 Jahren, im Juli 1986, erschien im amerikanischen „Life“-Magazin ein Artikel über diese „einsamste“ Straße Amerikas, die von West nach Ost durch den einzigen Bundesstaat führt, in dem Glücksspiel legal ist.
Nichts, aber auch gar nichts Interessantes gebe es da auf diesen gut 600 Kilometern zu sehen, so die Autoren damals. Und: Man solle sich seiner „survival skills“, der eigenen Überlebenskünste, sicher sein.
Allein das Wetter kann extrem sein. Man fährt rund 380 Meilen durch Wüste, Berge und Senken, über 600 Kilometer. Die höchste Erhebung ist der Wheeler Peak im Great Basin National Park. 3982 Meter hoch, und wenn man das Auto abstellt, steht noch eine sechs- bis zehnstündige hochalpine Wanderung vor dem Gipfelglück.
Extreme Hitze, eiskalter Wind
Im Sommer ist es sengend heiß auf der Straße, da muten die zahlreichen Schilder befremdlich an, die zum Aufziehen von Schneeketten auffordern. Aber, das versichern die Anwohner entlang des Weges: Im Winter ist es eiskalt, vor allem, wenn der Wind mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde über die Prärie pfeift.
Das müssen auch vor rund 150 Jahren die Goldsucher erfahren haben, die auf dem Weg zum Goldrausch nach Kalifornien waren. Sie campten oft in Dayton, einem kleinen Dorf unweit von Carson City. Dort warteten sie, bis der Schnee in den Sierras schmolz und sie den Treck an die Westküste fortsetzen konnten.
Manchem Filmfan mag die Ortschaft bekannt vorkommen, in der einige der alten Häuser noch erhalten sind: Marilyn Monroe, Montgomery Clift und Clark Gable drehten hier 1961 Szenen des Westerns „The Misfits“.
Fallon, die nächste Siedlung entlang des Highways, lässt Zweifel aufkommen, ob man wirklich in der Wüste unterwegs ist; Kühe grasen auf grünen Weiden. „Trotzdem sind wir mittendrin, es regnet weniger als 250 Millimeter pro Jahr“, sagt Carl E. Lunderstadt, Manager des Stillwater National Wildlife Refuge. Das Naturschutzgebiet, für das Lunderstadt zuständig ist, sieht aus wie eine kleine Oase umringt von Bergen.
„Vor allem Zugvögel machen hier Station auf dem Weg vom Pazifik in den Süden“, berichtet er. Auch für den Menschen ist die Landschaft ein erholsamer Ort: Nur das Zwitschern und Schnattern der Vögel ist zu hören, gelegentlich taucht mal ein Fisch aus dem Wasser auf. Insekten surren umher, in der Ferne schaut ein Kojote neugierig auf die Besucher.
Deutlich trockener als im Stillwater Refuge ist es etwa 50 Kilometer weiter Richtung Osten, am Sand Mountain. Diese riesige Düne, 200 Meter hoch und fünf Kilometer lang, ist in der letzten Eiszeit vor mehr als 10 000 Jahren entstanden. Wichtig ist dieser riesige Sandhaufen nicht nur für die Ureinwohner der Gegend und für Leute, die mit ihren Quads den Sand durch die Gegend spritzen lassen.
Für den endemischen Sand Mountain Blue Butterfly ist die Düne der einzige Lebensraum auf der Welt. Und: Sie singt, ungelogen. Wenn der Wind über die Spitze der Düne weht, vibrieren die runden Sandkörner. Dadurch entsteht ein Ton, der einem Brummen nahekommt.
Ein Roadhouse mit legendären Burgern
Weiter geht es entlang des US 50, der teils meilenweit ohne Kurven oder Steigungen wie ein Lineal in der Landschaft liegt. So sicher wie die Sonne am knallblauen Himmel bleiben die hölzernen Strommasten entlang des Weges – bis sie auf einmal nicht mehr da sind. Es gibt keine Häuser oder Menschen hier. Und keinen Handyempfang.
Nach etwa vierzig weiteren Kilometern taucht etwas auf, das als Filmkulisse dienen könnte: Ein windschiefes Gebäude, Relikte verrosteter Autos aus vergangenen Zeiten: „Middlegate Station“. Cheyenne Hamilton ist die Chefin dieses Roadhouses, von denen es nicht mehr viele gibt in den USA.
Ein Motel und Campground ist „Middlegate Station“ auch, und natürlich wird das Image des Wilden Westens bedient. Die Decke des Restaurants ist übersät mit Dollar-Noten. Die Geschichte dazu: „Wenn früher die Männer aus den Minen kamen, haben sie einen Schein an die Decke gepinnt, um am nächsten Morgen ihr Frühstück zu bezahlen.“ Eine Art Rücklage, denn der Rest des Lohns ging meist für Hochprozentiges drauf.
Ein T-Shirt für die Völlerei
Heute gibt es eine andere Herausforderung in „Middlegate Station“: einen Monsterburger. Wer die mehr als 600 Gramm Fleisch auf dem Triple-Burger schafft, bekommt ein T-Shirt als Belohnung.
Etwa 100 Kilometer weiter Richtung Osten kommt das nächste Dorf: Austin. Holzfassaden, ein paar alte Kirchen, eine seltsame Ruine auf einem Hügel. „Das ist das Stokes Castle“, erklärt Dee Helming, die hier ein Bed and Breakfast und das Museum betreibt, die Leute durch den Ort führt und jeden Grashalm kennt.
„Anson Phelps Stokes, der durch Silberminen und die Eisenbahn zu einem Vermögen gekommen war, ließ den dreistöckigen Turm Ende des 19. Jahrhunderts aus Granit bauen“, weiß Dee zu berichten. Vorbild waren die Häuser in Italien. „Doch seine Familie verbrachte nur einen Monat in dem Gebäude.“ Die Ruinen stehen noch, heute gehört Stokes Castle eher zur Kategorie „Lost Places“.
Östlich von Austin gibt es mit den Spencer Hot Springs einen skurrilen Stopp mit einer ebenso speziellen Wegbeschreibung: „Du fährst aus Austin heraus und dann bis zum ersten Abzweig, an dem eine Straße nach links geht. Dann bei der ersten Möglichkeit wieder links auf die Schotterpiste und immer geradeaus“, sagt Dee Helming. Schilder: Fehlanzeige. So bleiben die heißen Quellen etwas für Eingeweihte.
Das heiße Wasser wird in alte Kunststoffwannen geleitet. Info-Tafeln gibt es nicht, zum Umkleiden ist das eigene Auto da, und die Toilette ist hinter einem beliebigen Sagebrush-Strauch. Die Auswahl ist unendlich, denn von dem Wüstenbeifuß gibt es hier Tausende Exemplare.
Vorsichtige Fahrt durch die stockfinstere Nacht
Weiter nach Eureka. Nach Sonnenuntergang. Was zunächst ein Spektakel von Farben am Abendhimmel ist, wird innerhalb kürzester Zeit dunkel. Sehr dunkel. Straßenlaternen gibt es nicht, entgegenkommende Autos auch nur etwa jede Viertelstunde. Umso angenehmer ist es, nach einer Stunde die ersten Lichter Eurekas am Horizont zu sehen.
Den nächsten Tag geht es weiter durch die Hochwüsten des Great Basin. Das ist eine wahrlich gigantische Landschaft zwischen Rocky Mountains und Sierra Nevada, durchzogen von Bergketten und weiten Talkesseln.
Eine nächste Ankunft: Ely mit seinen knapp 4000 Einwohnern, dem großen Supermarkt und den Hotels scheint nach Tagen in der dünn bevölkerten Wüste fast wie eine Großstadt. Und ist Ausgangspunkt für Unternehmungen. Sternengucker können abends mit dem Zug hinaus in die Prärie fahren und ungestört von künstlichem Licht in den Himmel schauen.
Etwa eine Stunde entfernt ist der Great Basin National Park, eines von zwei solcher Schutzgebiete in Nevada. Ins Auge fallen die uralten Borstenkiefern und die abenteuerlichen Serpentinen zum Wheeler Peak.
Eine andere große Attraktion des Parks liegt aber unter der Erde: Die Lehmann Caves sind eine ganze Serie von Höhlen, die weit in die Berge hineinreichen. „In dem empfindlichen Ökosystem gibt es Stalaktiten und Stalagmiten, Schild- und Felsformationen, Insekten und endemische Tiere“, sagt Rangerin Maya Akpinar. Darum hält sie die Besucher an, nichts zu berühren und sich mit Vorsicht zu bewegen.
Fledermäuse und Spinnen sind hier zu finden und ein sogenannter Pseudoskorpion, der nur in diesen Höhlen lebt. Schon 1922 wurden diese als National Monument ausgewiesen, seit 1986 gehören sie zum Nationalparksystem.
„Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die Höhlen schon viel länger bekannt und genutzt wurden – für Hochzeiten, für Partys, für alles Mögliche, für das man einen ungewöhnlichen Ort brauchte“, so die Rangerin. Und es gibt noch eine andere Funktion, doch von der berichtet Akpinar erst draußen, vor den Toren zum Höhlensystem: „Die Ureinwohner haben hier früher ihre Toten beerdigt.“
Mit dem Great Basin National Park endet die Reise entlang des Highway 50 in Nevada, die Staatsgrenze nach Utah ist gleich vor den Toren des Ortes Baker. In Utah geht der US 50 weiter, wird aber nicht mehr als „the Loneliest Road in America“ vermarket.
Ob dies nun der einsamste Highway der USA ist? Sicher gibt es ähnlich leere Abschnitte auch auf anderen Highways in diesem riesigen Land. Doch diese 380 Meilen sind eine besondere Strecke durch eine unvergleichliche Landschaft. Ein bisschen Mut sollte man wohl haben und immer genug Benzin im Tank, auch Lust darauf, sich mit den Einheimischen zu unterhalten. Denn die haben unzählige Geschichten auf Lager.
Tipps, Links, Praktisches:
Anreise: Verschiedene Fluggesellschaften fliegen mit einem Zwischenstopp in den USA nach Reno. Von dort aus sind es mit dem Mietauto rund 50 Kilometer nach Carson City. Für den Roadtrip entlang des US 50 sollte man mindestens vier Tage einplanen.
Einreise: Deutsche Staatsangehörige brauchen für die Einreise in die USA einen gültigen Reisepass und eine elektronische Einreisegenehmigung (Esta) (https://esta.cbp.dhs.gov).
Klima: Im Sommer ist es auf dem Weg durch die Wüste tagsüber heiß, in der Nacht kühlt es ab. Im Winter kann es schneien, die Straßen können vereist sein. Am schönsten ist es in Frühling und Herbst.
Informationen: www.travelnevada.com
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