Reisen mit dem Fernbus:Wenn das Klo brennt, brennt der ganze Bus

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Fernbusse stehen frühmorgens in Frankfurt am Main am Rande des Hauptbahnhofs. (Foto: picture alliance / dpa)

Busreisen durch Deutschland sollen mehr sein als ein billiger Transport für Menschen mit wenig Geld und viel Zeit. Doch die Infrastruktur ist in etlichen Städten mangelhaft, der Service Glückssache. Am gefährlichsten ist aber der Gang zur Bordtoilette. Ein Selbsttest.

Von Michael Kuntz

Busbahnhof Berlin. Der Fernbus fährt ab. Die Reise endet nach drei Metern, ziemlich abrupt. Was ist der Grund? Eine junge Frau läuft auf den Bus zu, winkt mit einer Fahrkarte, sie will noch mit. Der Busfahrer begrüßt sie kühl: "Haben Sie schon mal ein Flugzeug aufgehalten?" Schließlich müsse man eine Viertelstunde vor Abfahrt da sein. Fünf Minuten vor Abfahrt hätte der Sitzplatz noch mal verkauft werden können. Das sitzt, sie auch.

Die Welt des Fernbusses ist ein neuer Mikrokosmos in Deutschland mit eigenen Regeln und Abläufen. Die noch nicht jeder kennt, obwohl inzwischen mehr als acht Millionen Menschen mitgefahren sind auf den vielen neuen, mindestens 50 Kilometer langen Strecken, die seit der Liberalisierung das ganze Land überspannen wie ein Spinnennetz.

"Brennt die Toilette, brennt der Bus!"

Fernbusse sind preisgünstiger als Bahn oder Flugzeug, aber auch deutlich langsamer. Interessant sind sie vor allem für Menschen, die wenig Geld haben und viel Zeit mitbringen. Sind Fernbusse mehr als ein billiges Fortbewegungsmittel für Jung und Alt? Sind sie die bessere Bahn? Erfordern sie ebenfalls eine gewisse Leidensfähigkeit? Oder löst das Fernbusfahren Glücksgefühle aus?

Das sind Fragen, auf die es verlässliche Antworten nicht im Internet gibt, sondern nur unterwegs auf Autobahnen und an Haltestellen wie dem Busbahnhof am Berliner Funkturm.

Hier geht es geordnet zu: Der lindgrün lackierte Mein-Fernbus steht eine halbe Stunde vor Abfahrt am Bussteig. Eine Frau liest den Barcode der Fahrkarte in eine Art Handy ein, der Fahrer in lindgrüner Weste trägt den Koffer um den Bus herum zum Gepäckraum. Die Profis kennen die Viertelstunden-Regel, der Bus füllt sich. Es ist Freitagmittag, da bleiben wenige Sitze frei. Der Sitznachbar liest den Krimi von Charlotte Link "Der Beobachter".

Der Fahrer gibt Sicherheitshinweise. Der gefährlichste Ort im Bus scheint das stille Örtchen zu sein, keine Papierhandtücher hineinwerfen, nicht rauchen. "Die Toilette besteht aus Plastik, wenn das brennt, brennt der ganze Bus."

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Und anschnallen, bitte sehr. Zwei Verkehrskontrollen täglich seien normal. "Die 60 Euro Strafe zahlen sie selber." Ein starkes Argument für jemanden, der bis dahin nur acht Euro für die Fahrt nach Leipzig ausgegeben hat.

Wo bleibt das Glücksgefühl? Es stellt sich nach ein paar Minuten auf der Avus ein, wo der erhöhte Sitz den Busfahrgast auf der alten Autorennstrecke quasi zum Zuschauer macht, als es an der zum Greifen nahen Tribüne vorbeigeht. Und auch der ehemalige Grenzübergang Dreilinden lässt sich viel entspannter anschauen ohne die Hände am Steuer. Hier darf der ältere Fahrgast sogar ein wenig von früher träumen, ohne dass gleich jemand hupt.

Zurück in die raue Wirklichkeit geht es bei der Ankunft am umfangreich modernisierten Leipziger Hauptbahnhof. An Fernbusse hatte hier bei der Planung offenbar niemand gedacht. Sie halten nun in einer Seitenstraße hinter den Stadtrundfahrten, es gibt ein Wartehäuschen wie an einer gewöhnlichen Haltestelle und eine Hightech-Toilette, die nach jedem Spülvorgang eine Komplettdesinfizierung bietet, allerdings nur als Einzelexemplar vorhanden ist.

Wie wenig Leipzig seine Busgäste mag, lässt sich auch daran erkennen, dass hier das Gepäck zur Fahrbahn hin ausgeladen wird, auf einer Fahrspur unmittelbar neben den Gleisen der Straßenbahn. Wer mit Glück nicht überfahren wurde, den schreckt nun nichts mehr in Leipzig. Das Reisen im Bus bringt weitere Überraschungen mit sich.

Im spektakulären Tropenhaus des Leipziger Zoos klingelt das Handy. Die Firma Flixbus meldet sich mit der bedauerlichen Mitteilung, dass der Bus nach München am morgigen Montag um drei Stunden vorverlegt wird und man in Nürnberg umsteigen müsse. Den vor der Abreise geplanten Rundgang durch die Innenstadt kann man also knicken. Die Flixbus-Frau erzählt etwas von Überbuchung, was nicht sehr überzeugend wirkt, weil die Tickets bereits vor sechs Wochen online gekauft worden sind.

Dramatisch gestaltet sich dann aber der Versuch, den neuen Bus mit dem alten Fahrschein zu betreten. Das geht überhaupt nicht, bei Kontrollen koste ihn jeder Fahrgast 500 Euro Strafe. Die Sitten sind offenbar rau im Fernbus-Business und die Computersysteme nicht immer perfekt. Der Mann begreift auch nicht, dass nicht die Fahrgäste, sondern das Unternehmen die Fahrzeit geändert hat.

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Erst als er einen Blick aufs Handy des Kunden mit der entsprechenden Mail aus der Flixbus-Zentrale werfen darf, macht er die Tür frei. Dass es in seinem Bus keine zwei freien Plätze nebeneinander für Zusammenreisende mehr gibt, es ist ihm egal.

Verrückte Kalkulation

Der fremde Sitznachbar fährt jede Woche von Berlin nach Nürnberg. Er ist Anfang 50 und hat beruflich dort zu tun. Er nimmt den Fernbus, weil er sich ausgerechnet hat, dass selbst nur das Benzin für sein Auto mehr kostet als die Fahrkarte. Das wäre selbst dann noch der Fall, wenn die Busse ihre Preise verdoppeln würden. Was sie eines Tages wohl müssen, wenn die Fernbusse auf die Dauer profitabel sein sollen, nicht nur an den Tagen rund ums Wochenende.

Zurzeit wirkt die Kalkulation noch ziemlich verrückt: Als der um einen halben Tag in Leipzig gebrachte Fahrgast nach einem Lunchpaket oder einer sonstigen Entschädigung fragt, bekommt er einen Gutschein über zehn Euro. Mit dem hätte die Fahrt von Leipzig nach München über Bayreuth und Nürnberg dann nur noch vier Euro gekostet. Irre. Bedingung ist allerdings, dass man noch einmal im Flixbus reist.

Noch fahren viele Busse fast leer durchs Land. Der ADAC-Postbus beginnt seine Tour an einem Mittwoch vor der Münchner ADAC-Zentrale mit zwei zahlenden Fahrgästen. Am Omnibusbahnhof steigen dann noch drei Leute zu, bevor es zum Nürnberger Flughafen und weiter nach Düsseldorf geht.

Die nagelneuen ADAC-Postbusse haben auch einige Dinge, die es woanders so nicht gibt. Internet-Zugang per Funk und Steckdosen sind in Fernbussen Standard, im Postbus gibt es auch ein Unterhaltungsprogramm. Via App lassen sich im Internet kostenlos Spielfilme ansehen.

Reservieren nicht selbstverständlich

Die Gepäckfächer oberhalb der Sitze sind mit Klappen verschlossen. Die Toilette ist erreichbar, ohne Stufen steigen zu müssen. An den Sitzen gibt es für jeden Passagier einen DreiPunkt-Sicherheitsgurt. Und eine gelbe Kotztüte. Und man kann sich einen Sitzplatz reservieren.

Reservierte Plätze sind keineswegs selbstverständlich. Bei Mein-Fernbus und Flixbus gibt es dieses Angebot nicht, beim ADAC-Postbus ist es für Mitglieder des Autoklubs kostenlos, und bei City2City sowie beim IC-Bus der Bahn ist die Platzreservierung im Fahrpreis enthalten.

Doch ob solchen Perfektionismus in Jubel über die Bahn auszubrechen, es wäre verfrüht. Im silbergrauen Doppeldecker von Nürnberg nach München liegen zwar die Preislisten an den Sitzen für Getränke und Snacks, allerdings stellt sich nach dem Abstieg im fahrenden Bus heraus: den Service gibt es heute nur theoretisch.

"Der Automat funktioniert derzeit leider nicht", lässt sich der Fahrer erst auf Anfrage entlocken. Irgendwie wirkt es vertraut, man ist zu Gast bei der Deutschen Bahn.

Der Service an Bord der Fernbusse ist eher Glückssache. Am reibungslosesten klappt die Versorgung mit Nüssen und Mineralwasser noch, wenn ein zweiter Fahrer an Bord ist, der auch während der Fahrt kassiert. Beim ADAC-Postbus gibt es immerhin den Hinweis, dass Proviant nicht während der Fahrt und nur während der Pausen vom Fahrer verkauft wird.

Pausen sind generell eher nicht vorgesehen. Selbst ein Fahrerwechsel am Rasthof ist eine Sache von weniger als einer Zigarettenlänge, und aus gutem Grund gibt es vorher die Bitte, sich nicht vom Bus zu entfernen.

Bayreuth bietet seinen Fernbus-Fahrgästen noch weniger als Leipzig. In Nürnberg gibt es zwar einen Busbahnhof, aber auch einen Rauschgift-Konsumenten auf dem Damenklo, und nachmittags um fünf ist von der Aufsicht außer ihrem Diensthäuschen nichts zu sehen. In Berlin wirkt die unterirdische Toilettenanlage wie ein Hochsicherheitstrakt, in München bewacht ein Zerberus den Zahlteller. Deutsche Kommunalpolitiker müssen erst noch beweisen, dass sie Fernbusse wirklich wollen.

Aber im Zug oder im Flugzeug benutzt man doch ebenfalls die sanitären Anlagen an Bord, meint eine junge Reisende. Ach ja, ist das Busfahren vielleicht doch wie Fliegen auf der Ebene null? Nicht ganz.

"Der Bus kann nicht fliegen", sagt der ADAC-Postbus-Fahrer in kluger Bescheidenheit.

Informationen zur Buchung im Internet

Es gibt an die zwei Dutzend Fernbus-Portale im Internet. Eines davon ist Busliniensuche.de, wo man sich erst die passende Verbindung heraussucht und dann an das jeweilige Busunternehmen weitergeleitet wird. So ähnlich läuft es auch bei etlichen anderen Angeboten im Netz.

Dagegen setzen nun die Samwer-Brüder ihr Portal Klickbus.de, mit hilfe dessen man sich nicht nur informieren kann über die inzwischen weit über 200 Fernbuslinien in Deutschland. Man kann auch direkt buchen. Klickbus arbeitet eigenen Angaben zufolge schon mit ADAC-Postbus, Flixbus und MeinFernbus zusammen.

Geldgeber des neuen Vermittlungsportals ist die Investmentfirma Rocket Internet der Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer. Der Internet-Inkubator hat bereits Firmen wie Zalando, Groupon International und eDarling aufgebaut. Rocket Internet hat Klickbus bereits in Brasilien und Mexiko etabliert und will es auf weitere Märkte in Europa und Asien bringen.

© SZ vom 27.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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