Reisebuch:Küche des Lebens

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Auf kulinarischer Tour über Kontinente hinweg: Anastasia Miari mit ihrer Großmutter Anastasia und Iska Lupton (hinten links) auf Korfu. (Foto: Ella Louise Sullivan)

Anastasia Miari und Iska Lupton haben für ihr Buch "Grand Dishes" Rezepte von Großmüttern gesammelt. Beim Kochen ist es dann aber nicht geblieben.

Von Evelyn Pschak von Rebay

Anfangs sollte es lediglich ein Familienalbum werden. Anastasia Miari wollte Rezepte ihrer von Korfu stammenden Großmutter niederschreiben. Doch dann uferte das Projekt aus zu einer vierjährigen, weltweit angelegten Recherchereise in die Küchen unterschiedlichster Großmütter: Nach Großbritannien, Griechenland, Frankreich, Spanien, Italien, Kroatien, Polen, Kuba, Mexiko, Russland und in die USA fuhr die Food- und Reisejournalistin gemeinsam mit der Kreativdirektorin Iska Lupton.

Heraus kam das englischsprachige Kochbuch "Grand Dishes". Es handelt von Kulinarik, Weltläufigkeit und Lebensklugheit. Die Autorinnen, beide Ende zwanzig, schreiben im Vorwort: "Wir erwarteten, auf einige wirklich gute Rezepte zu stoßen; aber nie hätten wir uns ausmalen können, wie viel wir über Liebe, das Leben und Beziehungen lernen würden. Wir haben hysterisch gelacht und viel geweint."

Iska Luptons Großmutter Margit, geboren in Oberfranken, geflohen vor den Nationalsozialisten, lebt in Exeter, Südwestengland, und macht bis heute "German Schnitzel". (Foto: Ella Louise Sullivan)

Der Titel des beim Londoner Crowdfunding-Verlag Unbound erschienenen Buchs spielt auf Grandmother an, das englische Wort für Großmutter. Aber grand lässt sich eben auch mit prachtvoll und beeindruckend übersetzen - was für die Geschichten gilt, die am Herd und bei Tisch erzählt worden sind. Vielen der Grannies seien sie durch Zufall begegnet, schreibt Miari. So seien Iska Lupton und sie in Downtown Los Angeles von zwei Stadtstreicherinnen belästigt worden, die es auf ihre Handtaschen abgesehen hatten. Miari und Lupton haben sich auf eine Hoteldachterrasse gerettet. Und sind von dort zu Großmutter Tish weitergeschickt worden, die Dokumentarfotografin für die Uno mit eigenem Podcast ist und den beiden spontan ihren kalifornischen Sunshine Salad beigebracht hat.

Hühnerbrühe mit Kochbananen und das erste schulterfreie Kleid in Istanbul

"Grand Dishes" erzählt auch von historischen und politischen Wendungen, die die Biografien der Köchinnen geprägt haben. So erinnert sich die 1928 in Istanbul geborene Mualla - die Frauen treten alle nur mit ihren Vornamen auf -, wie der Vater ihrer Mutter ein schulterfreies Kleid gekauft hat, als unter Atatürk neue Gesetze verabschiedet wurden. Und seufzt, wie rückwärtsgerichtet ihre Heimat dagegen heute sei: "Mehr Frauen laufen jetzt wieder wie Kakerlaken umher, verhüllt und in Furcht vor den Männern kriechend." Am Rande Havannas haben Lupton und Miari die 1934 geborene Juana Maria besucht, deren Mann in den Fünfzigerjahren zur ersten Revolutionsgarde gehörte und die von den heutigen Mühen erzählt, in einem Land mit streng rationierten Zutaten ihre Hühnerbrühe mit Kochbananen zu kochen.

In der Küche spiegeln sich die Möglichkeiten und die Lebensart der Menschen. Wer sich als Reisender mit Touristenmenüs begnügt, wird ein Land oder eine Region nicht wirklich kennenlernen. Manches Großmuttergericht aus dem Buch lässt sich auf künftigen Reisen sogar probieren. Der kulinarische Parcours zu den von Großmüttern betriebenen Restaurants ist allerdings weitläufig, umspannt mehrere Kontinente.

Jenny, die "Queen of Puddings", lebt in einem kleinen Dorf in Südengland. (Foto: Issy Croker)

Natürlich finden sich unter all den Protagonistinnen auch die Großmütter der Autorinnen. Margit, die Großmutter Iska Luptons, wurde 1928 in Oberfranken geboren. Ihre Erinnerungen ans Geburtsland sind bis heute vom nationalsozialistischen Terror ihrer Kindheit durchdrungen - und dennoch steuert sie ein Rezept für German Schnitzel bei.

Anastasia Miaris Großmutter lebt in Perivoli auf Korfu. Hier wurde sie 1937 geboren - und liest immer noch "auf meinen Knien jeden November die Oliven auf". Die ursprünglichen Bergdörfer in Korfus Süden empfiehlt auch ihre Enkelin Urlaub machenden Gästen. Als Reisejournalistin - Miari arbeitet unter anderem für den Guardian und die New York Times - würde sie sowieso von Freunden und Bekannten nach Tipps gefragt, sodass sie inzwischen ihre selbsterstellten Reiserouten auch über das eigene Instagram-Konto Greecemistiko anbietet.

Ohne ihre Hilfe würde man kaum zum Haus der Großmutter finden, um mit ihr einen griechischen Kaffee zu trinken. Wenn man sich denn traut: "Stoisch, schneidend und zeitweise einfach nur furchteinflößend", so beschreibt die junge Korfiotin ihre Großmutter. Sie gehöre nicht zu den typischen älteren Frauen, bei denen man sich Streicheleinheiten abhole. "In der Küche allerdings", so Anastasia Miari, "ist ihr Herz aus Gold."

Iska Lupton, Anastasia Miari: Grand Dishes. Recipes and stories from grandmothers oft he world. Unbound, London 2021. 240 Seiten, 35 Euro zzgl. Versand.

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