Portugal:Im Netz

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Im Juni sind die Portugiesen besonders verrückt nach Sardinen. Sie feiern den Fisch - in Zeiten der Krise erst recht.

Von Andreas Fischer

Es gibt Wochen im Jahr, da kommt Luiz Miguel aus den Seestiefeln kaum noch raus. Die ganze Nacht und den frühen Morgen ist er dann im Boot auf dem Atlantik, vor Portugals zerklüfteter Südwestküste: Netze ausbringen und wieder einholen, den Fang auf große Fässer verteilen, dann einlaufen in den Hafen von Sagres, dort den Fisch vom Schiff auf den Kai hieven und auf blanken Stahltischen ausbreiten. Sobald die Sardinen hier liegen, machen sich 20 wettergegerbte Männerhände über die silbrige Ware her, die größeren Fische kommen zur Versteigerung, die kleineren in die Konservenfabriken.

Hektisch wird die Arbeit im Juni, wenn das Land viel mehr von den kleinen Fischen braucht als normalerweise. Im Juni finden überall in Portugal die Sardinenfeste statt: Auf den Straßen wird tagelang gegrillt. Höhepunkt in Lissabon sind die Marchas Populares, ein traditioneller Festumzug zu Ehren des Stadtheiligen Santo António. Luiz Miguel und seine Kollegen feiern mit - und rechnen in diesen Tagen nach, ob diesmal die Kasse stimmt.

Meistens stimmt sie nicht in letzter Zeit. Denn vom Sardinenfang zu leben, sagt der stattliche Fischer, wird zunehmend schwieriger. Schuld sind aus seiner Sicht die Fangquoten, die Europas Fischereibehörde den Portugiesen verordnet und die der Fischer für viel zu niedrig hält: Der Atlantik, sagt Luiz Miguel, sei doch noch immer voller Sardinenschwärme.

Die Schwärme werden kleiner. Trotzdem halten die Fischer nichts von Fangquoten

Tatsächlich galten die Sardinenbestände vor Portugals Küsten lange als nicht bedroht. Vor ein paar Jahren allerdings fand das International Council for the Exploration of the Sea (ICES) heraus, dass auch die Sardinenschwärme im Atlantik kleiner werden - die EU reagierte prompt und begrenzte die Fangmenge. 2015 durften die Fischer noch 19 000 Tonnen Sardinen aus dem Meer holen, in diesem Jahr sind es nur noch 16 000. Portugals Fischer halten von der Fangquote nichts; sie sehen ihre besondere Fangmethode - die Ringwadenfischerei - als nachhaltig an.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Genug Fisch fürs Fest scheint es bislang dennoch zu geben. Zwar sind die Preise in den letzten Jahren gestiegen, weil weniger Sardinen auf den Markt gekommen sind. Die Portugiesen allerdings lassen sich das Feiern nicht verderben: Wie eh und je bevölkern die Menschen im Juni die Straßen, essen "Sardinhas Assadas", gegrillte, mit Meersalz, Olivenöl und Zitrone zubereitete Sardinen. Es gibt reichlich Bier, was man nach der salzigen Mahlzeit auch braucht. Und obwohl das Land seit 2008 in einer ökonomischen Krise steckt und die Leute zusehen müssen, wie sie mit dem staatlich verordneten Sparprogramm fertig werden: Von der Teilnahme am Massenvergnügen lassen sich die wenigsten abhalten - vielleicht gerade wegen der Krise.

Wenn Portugiesen gemeinsam feiern, ist die Kirche noch immer dabei. Schutzpatron des Sardinenfestes ist Santo António, dem es einst gelungen sein soll, zu den Fischen zu sprechen. Dessen eingedenk, bitten ihn die Gläubigen Jahr für Jahr um Hilfe in der Fangsaison. Die Portugiesen verehren die Sardine als ihren Fisch, wie ein Stück Heimat, das schon immer da war und das sie sich nicht nehmen lassen. Dutzende berühmter Fado-Lieder, Hunderte Graffiti an den Häuserwänden und Tausende Andenken in den Läden bezeugen das. So weben die Portugiesen im Juni alle zusammen am Mythos der Sardine.

Wo Händler, Handwerker, Hafenarbeiter hingehen, sind die Preise moderat

In Lissabon können Besucher allerdings das ganze Jahr über erleben, welchen Stellenwert der Fisch für das Land hat. Man muss nur Barbara Ribeiro in ihrem kleinen Restaurant am östlichen Aufgang zu Lissabons Castelo de São Jorge besuchen. Sie ist eine Varina , so nennen sich die geschäftstüchtigen Töchter der portugiesischen Fischer, die auf den Märkten die Ware feilbieten. 2013 hatte die junge Frau eine Idee: Sie wollte sich nicht wie die anderen mit Geschrei und Verhandlungsgeschick auf den Marktständen durchschlagen; deshalb gründete sie die Firma Miss Can. Die von ihrem Mann gefangenen Sardinen lässt sie in hübsche, modern gestaltete Dosen einlegen, die sie zunächst aus einem Wagen heraus verkaufte. Später machte sie ihre eigene Petiscaria auf - das sind bessere Fast-Food-Lokale. Mit dieser Art des Direktvertriebs und der geschickten Selbstvermarktung schaltet Barbara Ribeiro die Zwischenhändler aus. Und sie setzt sich von den überall in Lissabon verbreiteten, meist auf Tradition bedachten, uralten Konservenfabriken ab. In der "Petiscaria Miss Can" an den kleinen Tischen zu sitzen und die wirklich sehr guten Kleingerichte zu probieren, ist ein besonderes Erlebnis - da nimmt man gern ein paar der hübsch verpackten Dosen als Geschenk mit nach Hause.

Wen es bei seinem Lissabonbesuch vom Zentrum etwas nach Westen verschlägt, zu den Fähranlegern der Cais do Sodré, der kann erleben, wie sich ein eher auf Bewährtes bedachter Großstädter in der dichten Sardinen-Verwertungskette behauptet. Alberto Ferreira dos Santos, der sympathische Wirt der Casa Cid, bringt in seinem Restaurant ausgezeichnete gegrillte Sardinen und andere traditionelle Gerichte auf den Tisch. Die Kundschaft kommt überwiegend aus der Nachbarschaft: Händler, Handwerker, Hafenarbeiter, die rund um den altehrwürdigen Mercado da Ribeira arbeiten. Ab und an kommen auch Touristen hierher, die nicht in der auf modern getrimmten, meist rappelvollen Markthalle mit ihren vielen kleinen, trendigen Restaurants hängen bleiben. Kaum eines der auf Schiefertafeln beworbenen Gerichte kostet mehr als sieben Euro. So auch der Bacalhau, Portugals eigentliches Nationalgericht. Der Stockfisch war einstmals ein Arme-Leute-Essen: getrockneter Kabeljau, der ein paar Tage gewässert werden muss, bevor man ihn zubereiten kann. Allerdings: Vor Portugals Küsten gibt es kaum noch Kabeljau. Zum Niedergang auch dieser Art haben die portugiesischen Fischer beigetragen, ohne das zu wollen. Heute wird das Leibgericht der Portugiesen aus Island oder Norwegen importiert. Der Sardine ist dieses Schicksal bislang noch erspart geblieben.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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