Notrutschen-Steward:Rächer der Entnervten

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Der eine unverschämte Passagier war einer zuviel: Ein Steward flüchtete über die Notrutsche aus dem Flugzeug. Nun wird er als Held gefeiert.

Jörg Häntzschel

Der Abgang über die Notrutsche gehörte bislang nicht zum Repertoire des klassischen amerikanischen Helden. Doch Steven Slater, Steward der Fluggesellschaft JetBlue, wird nun dennoch als ein solcher gefeiert. Der 38-Jährige, der bis vor drei Tagen noch den Buckel über seinen Getränkewagen beugte, wird bejubelt als Rächer der Downsizing-Opfer, Outgesourcten und Renditeknechte. Als einer, der endlich mal auf den Tisch haut und sagt, was Millionen täglich sagen wollen: Mir reicht's.

Dabei begann alles ganz anders: Slater hatte sich keineswegs mit seinem Arbeitgeber angelegt, sondern zunächst einmal mit einem Passagier. Einer Version der Heldensaga zufolge hatte eine Frau ihm auf dem Flug von Pittsburgh nach New York mit dem Deckel des Gepäckfachs an der Stirn blutig geschlagen. Nach einer anderen kam es zum Streit, weil nach der Landung am Flughafen JFK ein ungeduldiger Fluggast aufgesprungen war, bevor die Maschine geparkt war.

Wie auch immer: Hässliche Worte fielen, und statt sie wie sonst einfach zu schlucken und freundlich weiterzuarbeiten, machte sich Slater über den Lautsprecher Luft: "An den Passagier, der mich einen motherfucker genannt hat: fuck you! Ich bin jetzt seit 18 Jahren in diesem Geschäft. Ich hab' genug. Das war's."

Was dann folgte, hatte mindestens Hollywood-Größe: Slater schnappte sich eine Dose Bier, aktivierte die Notrutsche und sauste durch den Notausgang davon. Lange währte die Freiheit allerdings nicht: Bevor Slater am selben Abend auf Kaution freigelassen wurde, nahm ihn die Polizei fest. Billig dürfte seine dramatische Eskapade nicht werden.

Die Rutsche auf ihre Funktionstüchtigkeit zu prüfen und wieder vorschriftsmäßig zu verpacken, koste alleine 2000 Dollar, schätzte ein Sprecher der amerikanischen Luftfahrtbehörde. Dazu kommen die weit höheren Kosten für den stundenlangen Ausfall des Flugzeugs.

War Slater nur mal der Kragen geplatzt, oder wollte er mit seinem Auftritt mehr sagen?

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Es spielt letztlich kaum noch eine Rolle. Andere sprechen für ihn und träumen davon, auch selbst mal die Faust zu erheben.

Auf Facebook wird Geld für seinen Prozess gesammelt, auf blogs erzählt man sich Anekdoten von ähnlichen Ausbrüchen. Und viele Leitartikler sehen ihn schon als Symbolfigur für die Opfer von Amerikas Niedergang. "Erst waren es die Arbeiter, deren Leben kaputtging, weil ihre Jobs in Billigländer exportiert wurden", schreibt USA Today. "Jetzt richtet das Internet bei den Angestelltenjobs ähnlichen Schaden an. Und gleichzeitig zahlt die Nation die Rechnung für ihr jahrzehntelanges Schuldenmachen." Was das mit dem Fliegen zu tun hat?

Nach Jahren aggressiven Sparens ähnele es immer mehr dem Waterboarding. Ausbaden müssen es Leute wie Slater.

© SZ vom 13.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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