Mumbai: Als Tourist im Bollywood-Film:"Wir sind keine Tiere!"

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Aus dem Hotel in den Bollywood-Film: Westliche Touristen sind in Indien als Statisten sehr gefragt. Ein Millionenpublikum wird unseren Autor bald auf der Leinwand sehen. Doch ein reines Vergnügen war die Arbeit nicht.

Marian Brehmer

Da steht "Casting Planet - Agency for foreign models" auf der Visitenkarte, die mir ein rundlicher Mann mit der Verschlagenheit eines Zuhälters in die Hand drückt. Ob ich in einem Bollywood-Film mitspielen möchte, fragt er. Mit der großen Kareena Kapoor, Verpflegung inklusive.

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Am nächsten Abend ist Treffpunkt vor McDonald's auf Mumbais Touristenmeile in Colaba. Dort wartet schon ein Haufen Backpacker hoffnungsvoll auf das Debüt in einem indischen Blockbuster. Einzige Voraussetzung: Man muss westlich aussehen.

Nach drei Stunden Fahrt durch den normalen Wahnsinn einer 20-Millionen-Stadt sitzen wir auf Plastikstühlen und warten. Das warme Buffet mit indischem Essen ist für die Crew bestimmt, die Ausländer bekommen Pommes und Burger. Dann erfahren wir: Der Film spielt in Amerika. Deshalb steckt man mich in einen viel zu großen Sweater und unbequeme Lackschuhe.

Nach Mitternacht ist Drehbeginn in einem Supermarkt, der soeben seine Türen geschlossen hat. Schläfrig schauen wir der hektischen Crew beim Aufbau des Sets zu. Ein paar Preistafeln müssen noch abgenommen werden, schließlich zahlt man in Amerika in Dollar, nicht in Rupien. Plötzlich weckt uns der Schrei der blonden Polin.

Eine Ratte hat vor ihr die Nase aus dem Gemüseregal gesteckt. Die Crew kratzt so etwas nicht. Der Großteil des Teams ist ohnehin damit beschäftigt, Löcher in die Luft zu starren. Einer rennt aufgeregt mit einem Klemmbrett umher. Zwei bullige Männer in grauen Anzügen brüllen "silence!".

Dann endlich taucht sie auf. Wie eine Fata Morgana am Horizont verwandelt sie alles, und alles wird still. Kareena Kapoor, der große Stern am indischen Filmfirmament, ist unter uns. Selbst die Nichtstuer beziehen nun Stellung. Im Schlepptau hat Kareena ihren persönlichen Stylisten, der wie eine mehrarmige Hindugottheit mit Kamm, Haarspangen und einem Spiegel herumwirbelt.

Die Diva stakst auf High Heels durch den Laden und übt ihren Text. Manchmal blickt sie hoch und schaut mit übertriebenem Augenaufschlag in die Leere, was sie ziemlich blasiert aussehen lässt. Action! Der Mann mit dem Klemmbrett schiebt mich neben die Kühltruhe.

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Die Handlung scheint originell zu sein. Kareena kommt mit einem Korb in der Hand und jault theatralisch in ihr Handy: "Er hat mich betrooogen!" Derweil schiebe ich im Hintergrund einen Einkaufswagen durchs Bild und beuge mich über tiefgefrorene Erbsen. Es braucht ganze zehn Wiederholungen, bis die Szene im Kasten ist. Die Lackschuhe schmerzen ziemlich.

Drehpause. Kareena greift sich gelangweilt ein Klatschmagazin und liest die neuesten Storys aus ihrem Leben. Ich setze mich zu dem Schweden, der auf einer Bank in der Campingabteilung eingeschlafen ist. Um halb drei geht es für den nächsten Take an die Kasse.

Die Crew hat einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Die arme Neuseeländerin muss als Kassiererin eine Weihnachtsmütze tragen, sie sieht leidend aus. Viel Bewegung im Hintergrund wolle er sehen, bellt nun der Mann mit dem Klemmbrett. Ich bin kreativ, falte Handtücher auseinander, stapele Seife in meinen Einkaufswagen und vergleiche die Preise von Milchschokolade. Zwei Stunden lang.

Ein polnisches Fluchen kommt aus der Zahnbürstenabteilung, es klingt furchterregend. Nun melden sich auch die zwei Engländerinnen zu Wort und erinnern die Crew daran, dass wir eigentlich schon wieder im Hotelbett sein sollten. Wie naiv, zumal in Indien, wo man Zeit anders misst.

Einen Take später dann die Eskalation: "Lasst uns gehen! Wir sind keine Tiere!" Kurz nach den Engländerinnen geht auch Kareena. Ich bleibe. Kareena wird gedoubelt, die Befehle an die Statisten werden harscher.

Als man uns endlich entlässt, legen Angestellte des Supermarkts Backwaren für den neuen Tag aus. Es ist längst hell. Mit der Gage von umgerechnet acht Euro in den Taschen verfallen wir im Bus in Tiefschlaf. Millionen Inder werden mich im Winter auf der Leinwand sehen - und dabei doch nur Augen für Kareena haben.

© SZ vom 7.7.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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