Buch "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen":Die Liebe zu den Lokomotiven

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Schriftsteller Jaroslav Rudiš ist Eisenbahn-Kenner und Vielfahrer. (Foto: imago images / Gerhard Leber)

Jaroslav Rudiš hat eine so leidenschaftliche wie unterhaltsame "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen" geschrieben.

Rezension von Stefan Fischer

Das Ausmaß von Jaroslav Rudiš' Leidenschaft für Züge zu bewerten, hängt ganz von der Warte der Urteilenden ab. Liest man seine so empathische wie lustige und kluge "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen", kann man sich des Eindrucks einer Besessenheit kaum erwehren. Rudiš hat jedoch einen alten Freund und Reisegefährten, der ihm vorwirft, im Grunde leidenschaftslos zu sein. Es gebe unter den Eisenbahnmenschen nämlich Signalmenschen und Bahnhofsuhrenmenschen und Brückenmenschen. Über Rudiš mache sich der alte Freund deshalb ein wenig Sorgen: "Er findet es komisch, dass ich keine Bahnspezialisierung habe, dass ich nur ein normaler, langweiliger, durchschnittlicher Eisenbahnmensch bin." Der Freund ist übrigens ein Tunnelmensch.

Der durchschnittliche Eisenbahnmensch Rudiš hatte als Kind eine Schallplatte mit Dampflokgeräuschen, seine erste Wohnung in Prag hat er auch deshalb gemietet, weil sie an den Gleisen zum Bahnhof Vrsovice lag. Am Fenster konnte er mit Lokführern, Schaffnern und Reisenden plaudern, wenn Züge dort warten mussten, ehe sie in den Bahnhof einfahren konnten. Die liebsten Waggons sind ihm die Speisewagen, in dem von Herrn Peterka hat er sogar einen Stammplatz: gleich hinter der Tür. Dieser Herr Peterka sei eine Legende auf der Strecke zwischen Prag, Berlin und Hamburg, dasselbe gelte für Herrn Popovič in dessen Speisewagen auf der Strecke zwischen Wien und Ljubljana.

Herr Popovič hat ein Faible fürs Theater und das Kino, seine Schichten im Zug verstehe er, so Rudiš, als Vorstellungen: "Der Speisewagen ist seine Bühne. Die Landschaft hinter den Fenstern sein Bühnenbild. Die Zuggeräusche sind seine Musik. Er führt die Regie, und die Reisenden sind seine Zuschauer. Doch auch Schauspieler, die in seinen Stücken mitwirken." Manchmal fährt Jaroslav Rudiš, der inzwischen vor allem in Berlin lebt, nur einer Bordmahlzeit wegen mit der Bahn bis Frankfurt/Oder. Gesättigt steigt er aus und fährt zurück.

Das Buch ist eine fulminante Liebeserklärung an die Eisenbahn von einem Kenner und Vielfahrer. Rudiš schätzt besonders die alten Strecken und langsameren Verbindungen, mit den rasenden ICEs und TGVs kann er wenig anfangen. Er mag das Umsteigen, die Umwege, die Unterbrechungen. Die schönsten dieser gemütlichen Strecken nennt er seine Lieblingsnebenbahnen. Und doch kann er sich dafür begeistern, dass man vom kleinsten Bahnhof an einem Tag überall in Europa hinkommt: von Zwiesel nach Paris, von Tangermünde nach Glasgow, von seinem Geburtsort Lomnice nach Brüssel. Jaroslav Rudiš wird, sobald er in einem Zug sitzt, zum Schwärmer.

Jaroslav Rudiš : Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen. Piper Verlag, München 2021. 256 Seiten, 15 Euro.

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