Immer am ersten Wochenende im März startet das längste und härteste Hundeschlittenrennen der Welt: Iditarod in Alaska. Die schnellsten Fahrer schaffen die etwa 1600 Kilometer von Anchorange nach Nome in knapp neun Tagen, andere sind bis zu zwei Wochen unterwegs - und schlafen in dieser Zeit kaum.
Das Iditarod-Rennen steht im Gedenken an eine spontane Rettungsstaffel mit Hundeschlitten: 1925 brach im Winter eine Diphterie im entlegenen Nome aus, ohne Medizin drohte den Menschen der Tod. 20 der Musher genannten Schlittenführer mit mehr als hundert Hunden brachten das Medikament über den schwierigsten Trail Alaskas nach Nome und schafften die mehr als tausend Kilometer in nur fünf Tagen. Bis dahin hatte man für die Strecke drei Wochen benötigt.
Der gebürtige Wuppertaler Sebastian Schnülle lebt als Musher in Nordamerika und hat bereits fünf Mal am Iditarod und ebenso oft am Yukon Quest teilgenommen (das ebenfalls mit dem Titel "härtestes Schlittenhundrennen der Welt wirbt"). Seine aktive Rennkarriere hat er zwar beendet, dennoch kommt er vom Iditarod-Rennen nicht los: In diesem Jahr begleitet er es mit dem Schneemobil als Berichterstatter für die Veranstalter (hier finden Sie seinen aktuellen Blog).
SZ.de: Herr Schnülle, das Iditarod-Rennen ist weltberühmt, aber ist dieser Ruf auch gerechtfertigt? Oder ist es nur wegen dem legendären Ursprung so bekannt?
Sebastian Schnülle: Nun, das liegt schon am Ursprung. Die Legende und das Iditarod-Rennen sollte das Hundeschlittenfahren vor dem Aussterben bewahren. Nun findet das Rennen zum 41. Mal statt und ist weltweit bekannt, das Ziel wurde also erreicht.
Was unterscheidet Iditarod vom Yukon Quest?
Man könnte sagen, Iditarod ist die Weltmeisterschaft, der Yukon Quest hingegen die amerikanische Meisterschaft. Jeder, der lange Distanzen fährt, träumt vom Iditarod.
Sie träumen davon, 1600 Kilometer durch die Wildnis von Alaska zu fahren? Und an windigen Tagen erfrorene Finger zu riskieren, wenn Sie kurz die Handschuhe ausziehen? Warum tut man sich so etwas an?
Es ist eine ganz besondere Stimmung und Gemeinschaft bei den Rennen. Tatsächlich schlimme Momente gibt es nur wenige - aber das sind auch die interessantesten. Da lernt man sich selbst und die Hunde erst richtig kennen. Die Musher sind ja auf sich allein gestellt. Wer Hilfe von außen annimmt, wird disqualifiziert. Nur andere Musher dürfen helfen.
Machen Sie das denn, immerhin sind Sie Konkurrenten?
Eigentlich sind wir mehr eine Familie. Und wir wissen, dass wir voneinander abhängig sind. Ich bin zum Beispiel vor drei Jahren bei einem schweren Sturm nur gemeinsam mit John Baker ( dem Sieger von 2011) gefahren, bis das Wetter wieder besser wurde. Unter den extremen Bedingungen entstehen Freundschaften, die bleiben über das Rennen hinaus bestehen.
Welche Situation werden Sie beim Iditarod-Rennen niemals vergessen?
Ich denke weniger an die gefährlichen, sondern an die schönen Momente. 2009 bin ich an der Ortschaft Koyukuk am Yukon River vorbeigefahren, da saßen die Menschen am zugefrorenen Fluss und haben auf die Musher gewartet. Darüber waren wundervolle Nordlichter. Zu diesen kleinen Ortschaften kommt man als Fremder sonst gar nicht. Sie sind nur per Flugzeug erreichbar und nicht über Straßen. Das unterscheidet das Iditarod-Rennen auch vom Yukon-Quest.
Wie kommen dann Helfer und Ausrüstung in diese abgelegenen Dörfer?
Das ist ein irrsinniger logistischer Aufwand, wir nennen das "Iditarod-Airforce". An jeden Checkpoint müssen Hundefutter und -decken und Stroh gebracht werden, insgesamt eine Tonne pro Musher - und es sind mehr als 60 Teilnehmer. Dazu kommen die vielen Freiwilligen, die Schiedsrichter und Tierärzte. Für die einsamen Orte ist es das Ereignis des Jahres. Für die freiwilligen Helfer aus aller Welt auch. Stellen Sie sich vor, die nehmen ihren Jahresurlaub, um dann bei 30 Grad unter Null um drei Uhr nachts einen Musher einzuchecken - und schlafen selbst auf dem Turnhallenboden. Aber das schweißt zusammen.
Wie ist es, nach zehn Tagen Fahrt durch das Eis in Nome anzukommen?
Lief es unterwegs gut, war ich fast traurig. Das Rennen ist wie eine Langzeit-Meditation, alle anderen Gedanken sind ausgeschaltet. Man konzentriert sich nur darauf, die Hunde und sich selbst gut zu versorgen. Dabei erscheint das Rennen oft viel länger, als es tatsächlich ist. Wir sagen, beim Iditarod hat ein Tag zwei Tage.
Wie sollen wir das verstehen?
Auf diesen 1600 Kilometern, die wir fast in Schrittgeschwindigkeit wegen der Verletzungsgefahr für die Tiere zurücklegen, müssen wir unheimlich aktiv sein und schlafen kaum. Wir fahren sieben Stunden und machen dann fünf Stunden Pause. Währenddessen müssen die Hunde gefüttert und massiert werden, da bekommt der Mensch nur eine Stunde Schlaf. Dann geht es weiter, Tag und Nacht.
Sie meinen, Sie fahren im Stockdunkeln durch Alaska?
Nachts fährt man sogar besser, vor allem im Zwischenlicht laufen die Hunde noch freudiger. Und wir haben eine starke Stirnlampe. Die Rennstrecke wurde durch Holzlatten mit Reflektoren markiert, die sehe ich dann sogar besser als am Tag.
Wer sind die Musher, die beim Iditarod mitfahren?
Der romantische Trapper ist ausgestorben, heute kommen die Schlittenhundeführer aus allen Gesellschaftschichten. Doch in den vergangenen 41 Jahren hat sich viel verändert, das Iditarod-Rennen ist sehr kommerziell geworden - ein Sport für Reiche, kaum noch finanzierbar. Schließlich kostet die Teilnahme jeden Musher etwa 50.000 Dollar und man kann zwischen Oktober und März nicht arbeiten, sondern muss trainieren - und Sponsoren suchen. Wer da kein sechsstelliges Jahreseinkommen hat, kann nicht mitmischen.
Also fahren nur Millionäre durch Alaska?
Dass wir uns nicht missverstehen, das sind alles Macher und tolle Leute, mit vielen bin ich befreundet. Die ziehen die Rennen als ein Familienunternehmen auf, das gemeinsam Sponsoren sucht. Oder die Musher besitzen eine Airline oder eine Firma für Blockhausbau. Und dann gibt es noch die Träumer. Die verschulden sich, um einmal beim Iditarod mitfahren zu können. Finanziell knabbern daran viele jahrelang.
Sie haben 2010 den "Tierarzt-Preis" bekommen, der an Musher verliehen wird, die ihre Hunde besonders gut gepflegt haben. Was muten denn schwarze Schafe unter den Teilnehmern ihren Tieren zu?
Wie gut für sie gesorgt wurde, sieht man den Hunden am Ziel an: Wedeln sie, wollen sie am liebsten noch weiter und haben sie ein gutes Gewicht? Wenn von 16 Hunden aber neun fehlen und der Rest ausgelaugt ist, hat man als Musher Fehler gemacht.
Was passiert mit Hunden, die nicht weiter können?
Die kommen ins Gefängnis. Ins Frauengefängnis nach Anchorage.
Sie machen Witze.
Nein, tatsächlich. Am Checkpoint prüfen Tierärzte den Gesundheitszustand der Hunde und schicken manche Tiere mit dem Flugzeug nach Anchorage zurück. Die Frauen dort im Gefängnis kümmern sich erst mal um die Tiere, bis Helfer kommen, um sie abzuholen.
Wer die Musher beim Iditarod-Rennen persönlich sehen will, sollte zum Start nach Anchorage kommen, rät Sebastian Schnülle - es ist von Seattle aus einfacher erreichbar und bietet im Gegensatz zum abgelegenen Ziel Nome mehr Unterkünfte. "In Nome müssen Teilnehmer auch in der Kirche oder in den Räumen des Radiosenders schlafen", sagt Schnülle. Wer trotzdem nach Nome wolle, sollte besser eine geführte Tour buchen oder sein Zimmer ein Jahr im Voraus reservieren. Der Start in Anchorage ist ein Schaulaufen "mit Volksfest-Charakter", bei dem noch nicht die Zeit genommen wird; die Musher lenken ihre Schlitten über die Hauptstraße durch die jubelnden Zuschauer. Das eigentliche Rennen beginnt erst in Willow (iditarod.com).
Wer selbst Hundeschlitten lenken will, kann Kurse bei Sebastian Schnülle buchen (bluekennels.de). Er fährt im Winter in Yukon, von April bis September lebt er auf dem Juneau-Eisfeld, der Gletscher ist nur per Hubschrauber erreichbar. Dort nimmt er vor allem Kreuzfahrttouristen auf Schlittentouren mit. Das Leben in der Einsamkeit reduziere zwar "das Sozialleben auf Null, das macht keine Frau mit!" Doch mit seinen Hunden "auf diesem wunderschönen Gletscher zu leben", entschädige ihn. Und an wärmeren Tagen segelt der in Ostfriesland aufgewachsene Schnülle über den Pazifik.