Hoch gelegen:Die Noble

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Grande Dame des Alpinismus: Die Britanniahütte ist sommers wie winters eines der beliebtesten Ziele für Hochtourengeher. (Foto: Wallis Tourismus)

Vor 100 Jahren haben Briten dem Schweizer Alpen-Club eine Hütte spendiert. Heute ist die Britanniahütte eingemeindet und eines der beliebtesten Ziele für Hochtourengeher.

Von Dominik Prantl

Dieser Beitrag ist erschienen am 16. August 2012. Wir haben die Übernachtungspreise aktualisiert. Darüber hinaus ist der Text unverändert.

Auf den ersten Blick wirkt es fast so, als wolle sich das mehrstöckige Gebäude ein wenig verstecken. Weit oberhalb der Baumgrenze, auf 3030 Metern Höhe, ist das bei diesen Ausmaßen freilich schwierig, vor allem wegen des prominenten Platzes zwischen den beiden Felskuppen namens Hinter Allalin und Klein Allalin. Doch die braungraue Natursteinfassade hebt sich im Sommer kaum von der Umgebung ab, mit jedem Schritt des Wanderers scheint die Hütte dem Fels zur Rechten näher rücken zu wollen. Und sieht sie nicht überhaupt ein wenig verblüht aus?

Jedenfalls gehört die Britanniahütte nicht zu jenen Bergunterkünften, die mit einer glänzenden Macbook-Optik ihre Präsenz und Fortschrittlichkeit herausschreien. Trotz ihrer 134 Schlafplätze verkörpert sie eher unaufdringliche Noblesse. Sie ist kein glitzender Emporkömmling, sondern die Grande Dame des Alpinismus. Es gibt Bilder vom 17. August 1912, dem Tag ihrer Einweihung, da wuseln die Würdenträger in Schwarz-Weiß um das unscheinbare Holzkonstrukt herum wie Ameisen um ihren Bau. Reden wurden damals auf Englisch, Französisch und Deutsch gehalten. London, Genf, Wallis - auf diese drei Orte verteilen sich die Grundpfeiler. The Hut, la Cabane, die Hütte war ein Zeichen von nationenübergreifender Geistesverwandtschaft und britischer Dankbarkeit für die Gastfreundschaft des Schweizer Alpen-Clubs (SAC). Denn gezahlt wurde die Hütte mit Blick auf die zerklüfteten Gletscher des Wallis von der Association of British Members of the Swiss Alpine Club, kurz ABMSAC, eine der Genfer SAC-Sektion angegliederte Vereinigung britischer Bergsteiger. Deren goldene Zeiten waren allerdings schon damals passé. Verzeichnete der ABMSAC 1950 noch 758 Mitglieder, so sind es heute nur etwas mehr als 200.

Die Unterkunft mit der doppelten Staatsbürgerschaft war damit auch der späte Markstein eines bereits in die Jahre gekommenen britischen Alpinismus. Heute ist sie Teil der Bergsteiger-Historie. Dabei sind 100 Jahre für eine Hütte eigentlich kein Alter. Im Alpenraum gibt es etliche, die mehr Lenze auf ihren mittlerweile mit Solarzellen verzierten Buckeln haben. Aber in kaum einer anderen Hütte gehen so viele Alpinisten ein und aus. Seit den Achtzigern werden auf der Britanniahütte regelmäßig fast 10 000 Übernachtungen pro Jahr gezählt - trotz der kurzen Saison von März bis Pfingsten und Ende Juni bis September. Schließlich liegt sie auf der Haute Route, jener legendären Mehrtages-Skitour von Zermatt nach Chamonix.

Der Anstieg der Nächtigungen fiel mit dem Wirken von Ambros und Thérèse Andenmatten als Hüttenwarte zusammen. 1978 übernahmen sie den Job, nur zehn Jahre später starb Ambros an Krebs. Thérèse Andenmatten sagte in einem Interview einmal, der Tod ihres Ehemannes habe ihr Kraft gegeben. Tatsächlich führt sie die Hütte heute noch. (Der Text ist im Jahr 2012 erscheinen, Anm. d. Red.) Sie ist damit eine Konstante im Betrieb, der gekennzeichnet ist vom ständigen Kommen und Gehen. Das zeigt schon ein Anschlag mit den Gipfelzielen samt Frühstückszeiten: Strahlhorn/Rimpfischhorn 3 Uhr bis 3.30 Uhr, Allalin Hohlaubgrat 4 Uhr bis 4.30 Uhr, Allalin Metro 5.15 Uhr bis 5.45 Uhr.

Gleichzeitig ist die 62-Jährige auch Zeugin der Veränderung. Schon vor ihrer Zeit war die Hütte gewachsen und damit die Anzahl der Schlafplätze: 34, 56, 84, 113. Letztlich zeigt sich der Wandel aber noch viel mehr im Detail. "Das war eigentlich meine schlimmste Zeit", sagt Andenmatten, wenn sie an die ersten Jahre zurückdenkt, als die Hütte mit Holz geheizt wurde und sie den Gästen deren selbst mitgebrachtes Essen zubereitete. Spaghetti für Herrn Müller, Packerlsuppe für den Pirmin, Ravioli für Signor Rossi. Dann doch lieber ein Vier-Gang-Menü für alle! Auch das Wasser - "unser größtes Problem", so Andenmatten - kommt im Winter nicht mehr mit dem Skidoo in 30-Litern-Fässern, sondern in großen Rationen per Pistenbully von der nahe gelegenen Felskinn-Seilbahnstation. Die Hütte verfügt dafür seit Kurzem über einen 18 000-Liter-Tank. Im Sommer nutzt das Hüttenteam einen mit Vlies konservierten Schneeberg hinterm Haus.

Und was ist mit den englischen Gönnern, die zum 100-Jährigen wieder ein paar Sonnenkollektoren springen ließen? "Sie sind eigentlich nur noch da, wenn ein Fest stattfindet." Für Andenmatten selbst ist die Hütte dagegen längst mehr als nur Arbeitswelt oder gar Abenteuer. Letzteres sucht sie lieber auf ihren Reisen im Herbst. Nach Vietnam, Mexiko, Indien. Sie buche immer sehr früh in der Hüttensaison, als Motivation. Aber schon im Januar habe sie "nur noch Hütte im Kopf".

Bald rückt einer ihrer Söhne nach, für sie selbst soll 2013 die letzte Saison werden. "Dann werden die Tränen fließen. So viele Ecken kann die Hütte gar nicht haben, dass ich sie nicht in den Arm nehme", sagt Andenmatten. Denn im Herzen hat sie den Ort längst adoptiert. Die Grande Dame mit den britischen Wurzeln ist jetzt eine Schweizerin.

© SZ vom 16. August 2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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