Es sind ganze sechs Wochen zwischen Spätsommer und Herbst, in denen es an 20 Orten in Hamburg mehr als 75 Literaturveranstaltungen gibt. Das Harbour Front Festival erschließt vom 14. September bis Ende Oktober die Stadt: von der Elbphilharmonie in der Hafencity bis zur Fabrik in Altona, vom Schauspielhaus am Hauptbahnhof bis zum "Uebel und Gefährlich" am Heiligengeistfeld, vom Lichtsaal der Staats- und Universitätsbibliothek bis zur St. Pauli Kirche. Dabei war der Anfangs-Impetus der beiden ehemaligen Verleger Nikolaus Hansen und Peter Lohmann, als sie 2009 mit Harbour Front starteten, den Hafen und auch seine noch nicht ganz so bekannten Ecken und Orte zu entdecken. Nur reichten kleine Bühnen oder Museumsschiffe dann irgendwann nicht mehr aus. Zwar hat sich die Zahl der Veranstaltungen seit damals kaum geändert, wohl aber die der Besucherinnen und Besucher.
Das mag an großen Namen liegen. In diesem Jahr solche wie Richard Ford, Daniel Kehlmann, Richard David Precht, Gabriele von Arnim, Saša Stanišić, Jeannette Walls oder Benjamin von Stuckrad-Barre. Es mag auch an der Art liegen, wie sich das Festival mit den Jahren gewandelt hat. Weg von der Lesung mit Lampe und Wasserglas. Weg vom Bekannten und Vorhersehbaren. Hin zu neuen Formaten wie Harbour Front Sounds, das seit 2019 Musik und Literatur zusammenbringt.
Und es mag an der Erkenntnis liegen, dass Literatur nicht passiv konsumiert, sondern lebendig diskutiert und gelebt werden will. Dann sitzt eben noch jemand mit auf der Bühne, mit dem man so gar nicht gerechnet hat. Wenn Robert Seethaler am Dienstag, 19.9. ab 20 Uhr im Deutschen Schauspielhaus aus "Das Café ohne Namen" liest, gesellt sich zum Beispiel die Autorin Dörte Hansen ("Altes Land") als Gesprächspartnerin dazu. Das überrascht, denn so richtig gut kennen sich die beiden gar nicht, lieben jedoch die Bücher des jeweils anderen. Und Dörte Hansen empfiehlt, Seethalers Bücher ganz besonders langsam zu lesen, eben in diesem ganz eigenen "Seethaler-Tempo". Überraschende Bühnen-Paarungen, bei denen vorher niemand so genau weiß, in welche Richtung das Gespräch gehen und welche Erkenntnisse es hervorbringen wird.
Dieses Unerwartete lieben die Fans an Harbour Front. Und mit eben jener Spannung erwarten sie vermutlich auch Newcomer-Lesungen wie die von Coco Mellors aus ihrem Debüt "Cleopatra und Frankenstein" am Montag, 18.9. ab 20 Uhr im "Uebel & Gefährlich". Rasant geschrieben und mit enormen Followerzahlen in den sozialen Medien. Die Zeiten, in denen das Harbour-Front-Literaturfestival Probleme mit zu wenig jungem Publikum hatte, gab es mal. Inzwischen wohl eher nicht mehr. Dazu dürften auch die Debütantensalons geführt haben, die es zwar bereits seit 2010 gibt, die sich aber erst einmal in der Szene herumsprechen mussten. Für die Vorauswahl las in diesem Jahr eine fünfköpfige Vorjury insgesamt 55 eingereichte Debütromane und wählt davon acht aus, mit dem Augenmerk unter anderem auf Originalität, Stilsicherheit und der Frage, ob der Autorin oder dem Autor noch mehr Bücher zuzutrauen sind. An insgesamt vier Abenden lesen dann jeweils zwei der Nominierten vor der Hauptjury um den mit 10 000 Euro dotierten Debütpreis.
Nicht zuletzt sind es auch die Orte der Stadt, die das Festival tragen. Seit ihrer Eröffnung 2017 allen voran die Elbphilharmonie. Eine von insgesamt drei Lesungen in ihrem mehr als 2000 Menschen fassenden Großen Saal ist das von Bettina Böttinger moderierte "Gespräch über das Leben und die Musik" mit Marius Müller-Westernhagen und Friedrich Dönhoff am Donnerstag, 21.9. ab 20 Uhr. Autor Friedrich Dönhoff zeigt in seiner Biografie "Marius Müller-Westernhagen" den Menschen hinter dem Superstar. Das Buchprojekt war ein Experiment, auf das sich beide, die zuvor wenig voneinander wussten, eingelassen haben. Keiner durfte vor dem ersten Treffen die Filme und Musik bzw. die Bücher des anderen sehen, hören oder lesen. Wie zwei Menschen, die sich zufällig begegnen. Diesem ersten Treffen in Westernhagens Wohnung in Berlin folgten zwanzig weitere intensive Gespräche, aus denen das sehr persönliche Buch wurde, das es auch ganz ohne Musik in die Elbphilharmonie schafft. Weil es eben so schön ist, über Leben und Literatur ins Plaudern zu geraten.
Alle Termine und Infos unter: harbourfront-hamburg.com