Wer jemals an irgendeinem Flughafen der Welt festsaß, weil sich der Abflug verspätet hat, weiß, wie ärgerlich das ist: Da sitzt man und sitzt, rennt alle paar Minuten zur Anzeigetafel, fragt beim Bodenpersonal nach, doch häufig nützt alles nichts. Man muss sich einfach gedulden - und im schlimmsten Fall sogar eine Nacht im Hotel verbringen.
Ginge es allein nach der EU-Kommission, hätten die Betroffenen Pech gehabt. Eine Verordnung von 2005 gewährt Passagieren, die ihr Ziel mindestens drei Stunden zu spät erreichen, nur dann Entschädigung, wenn ihr Flug überbucht war oder gestrichen wurde. Hat sich das Flugzeug aber beispielsweise wegen eines technischen Problems drei Stunden verspätet, sollten Reisende kein Geld bekommen. 2009 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) jedoch, dass es für den Fluggast keinen Unterschied macht, ob sein Flug überbucht, gestrichen oder verspätet war. Allen Reisenden müssten die gleichen Rechte zustehen. Verbraucherschützer feierten das als großen Erfolg für Flugreisende.
Urteil zu Passagierrechten:Entschädigung bei großer Verspätung
Unwetter, Streik, technischer Defekt: Es gibt viele Gründe für einen verspäteten oder annullierten Flug. In vielen Fällen bekommen Passagiere eine Ausgleichszahlung, das hat der Europäische Gerichtshof erneut bestätigt. Doch es gibt auch Ausnahmen.
Doch ausgerechnet die EU-Kommission, die sonst so häufig für die Rechte der Verbraucher kämpft, will diese Ansprüche jetzt wieder einschränken. Reiserechts-Experten reagieren empört. "Da werden die Interessen der Passagiere den Wirtschaftsinteressen der Fluggesellschaften geopfert. Und zwar ohne Not", kritisierte Ronald Schmid, Professor für Luftverkehrsrecht in Dresden, bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstag in Berlin. "Mir ist keine Fluggesellschaft bekannt, die wegen der Passagierrechte in Bedrängnis geraten wäre." Für Schmid steht fest: 70 Prozent der Fluggäste, die heute Anspruch auf Entschädigung haben, hätten ihn in Zukunft nicht mehr.
Bislang gilt: Erreicht ein Fluggast sein Ziel mindestens drei Stunden später als geplant, bekommt er je nach Flugstrecke eine Entschädigung. Bei Flügen von bis zu 1500 Kilometern gibt es 250 Euro, bei Flügen bis zu 3500 Kilometern 400 Euro und bei mehr als 3500 Kilometern und vier Stunden Verspätung 600 Euro. Das gilt, wie gesagt, bei überbuchten und annullierten Flügen, aber dank dem EuGH auch bei verspäteten Flügen.
Nach dem Willen von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas soll bei annullierten und überbuchten Flügen alles beim alten bleiben, bei reinen Verspätungen aber sollen die Reisenden nur noch dann entschädigt werden, wenn die Verspätung mindestens fünf - statt drei - Stunden beträgt. Bei einer Flugstrecke von bis zu 3500 Kilometern bekämen Passagiere dann 250 Euro, bei mehr als 3500 Kilometern und neun Stunden Verspätung 400 Euro und bei mehr als 6000 Kilometern und zwölf Stunden Verspätung 600 Euro.
Mit elf Stunden Verspätung nach L. A. - ohne Entschädigung?
Was das im Einzelfall bedeutet, zeigt Schmid an einem Beispiel: "Wer in Frankfurt zwölf Stunden auf seinen Flug nach Los Angeles wartet, dann aber dank Rückenwind nur elf Stunden und 50 Minuten zu spät in LA landet, hätte künftig keinen Anspruch mehr." Nach derzeit geltendem Recht dagegen stünden ihm 600 Euro zu. "Das ist ein massiver Eingriff in die Rechte, die der EuGH den Passagieren gewährt hat", sagte Schmid.
Mit seinem Vorstoß reagiert Verkehrskommissar Kallas auf massive Beschwerden von Fluggesellschaften. Es komme vor, "dass jemand für 50 Euro ein Ticket gekauft hat, aber 250 Euro Entschädigung bekommt, weil sein Flug verspätet war", hatte etwa der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) kürzlich geschimpft.
Für solche Klagen hat der Verkehrsexperte Michael Cramer, der für die Grünen im Europaparlament sitzt, kein Verständnis. Aus seiner Sicht wird der Flugverkehr im Vergleich zur Bahn ohnehin viel zu sehr gefördert. Wenn man nun auch noch die Passagierrechte einschränke, verzerre das den Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern noch weiter. "Anders als die Bahn müssen Fluggesellschaften keine Trassenpreise zahlen, sie sind vorerst vom Emissionshandel ausgenommen, zahlen keine Kerosinsteuer und keine Mehrwertsteuer auf Auslandsflüge." Den europäischen Steuerzahler koste das letztlich 30 Milliarden Euro. Wer aber mit so viel Geld gefördert werde und trotzdem noch sage, er müsse auf den Profit schauen, "der ist entweder unfähig oder unverschämt".
Cramer hofft, dass das EU-Parlament den Kommissar noch zum Einlenken bringt. "Auch die deutsche Bundesregierung sollte gegen die Pläne stimmen."