Esel-Trekking:Lennon im Gras

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Wandern und kleine Kinder, das ist eigentlich die Quadratur des Kreises in Sachen Ferien. Dabei kann es so schön sein - auf Eselsrücken durchs französische Burgund.

Alex Rühle

Will man nur mal einen Tag auf einen dieser Münchner Hausberge, die mit dem Zug zu erreichen sind, geht das Gequengel schon am Bahnhof los, wie lange noch wie lange noch?

Am Berg hat man dann zwei Möglichkeiten. Entweder man versucht es auf die strenge Art. Dann kommt man vor lauter Diskutieren kein einziges Mal dazu, die Landschaft ringsum auch nur anzuschauen und muss am Ende doch wieder zwei Kinder den Berg hochtragen. Oder man trägt sie gleich vom Bahnhof an.

Oder man lässt das Ganze von vornherein bleiben, geht stattdessen in der Stadt auf den Spielplatz und tauscht sich mit anderen Eltern über frühere Wanderurlaube aus: ohne Kinder, war schon auch schön, so ruhig, und weißt Du noch, die sechswöchige Radtour. . . Und plötzlich soll das gehen? Mit zwei kleinen Kindern? Acht Tage am Stück? Undenkbar.

Weltreise im Kreis

Eselwandern ist Abenteuerurlaub im Playmobilformat. Die Kinder fühlen sich wie im Märchenland, alles ist plötzlich spannend, schattige Hohlwege, das Wandern von Ort zu Ort, das Picknicken, und dazu trägt einen der starke Esel. Die Karten, die wir für jeden Tag haben. Wo wir heute abend landen werden. Muss man Nicolas ja nicht verraten, dass die Herbergen längst reserviert sind. Und dass unsere abenteuerliche Weltreise auf der Landkarte auf einen winzigen Kreis zusammenschrumpft, im Brionnais, sechzig Kilometer, von unserem Ausgangsort Melay sind wir nie weiter als 30 Kilometer entfernt, Celine wäre sofort mit dem Auto da.

Celine Crola hat am Loire-Kanal, im südlichsten Zipfel des Burgunds, ein kleines Haus. Ihr Mann baut Gemüse an, sie hat sieben Esel, die sie für Wanderungen zwischen einem und zwölf Tagen vermietet. Riesige Tiere, die zweijährige Sophie wird bis zuletzt alle Kraft daran setzen, ihren Eltern zu erklären, dass Lennon ein Pferd und kein Esel ist.

Celine zeigt einem, wie man aufsattelt, wie man Lennon die Hufe auskratzt und begleitet einen dann die ersten Kilometer den glitzergrünen Canal de la Loire hinab. Pappeln, ab und zu ein Boot, alles so freundlich hier. Die kleinteilige Landschaft hügelt ruhig vor sich hin, Hecken, Weiden, Waldparzellen, und Wege, die anscheinend seit Wochen nicht begangen wurden; manchmal steht das Gras kniehoch.

Wir treffen an einigen Tagen keinen einzigen Menschen. Das fällt einem aber, anders als in der Welteinsamkeitslandschaft eines erhaben kargen Gebirges, gar nicht auf. Vielleicht, weil man immer in der Ferne irgendeinen Weiler sieht, eines dieser ockerbraunen Gehöfte, die seit Jahrzehnten still und leise in den eigenen Fundamenten versinken oder einen der romanischen Kirchtürme, die über die Heckenlandschaft hinausragen und die man manchmal Tage später am Horizont wiederentdeckt.

Esel sind in unserer Gesellschaft die Muslime der Tierwelt: Sie werden völlig zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt. Bei jedem noch so freundlichen Moslem denken alle, na, wer weiß, ob der nicht in letzter Zeit mal in Afghanistan war. Erzählt man von einem Eselurlaub, fragt jeder, jeder, jeder: "Und, hat er gebockt?" Lennon hat nicht einmal gebockt in den acht Tagen, sondern ist von früh bis spät friedlich vor sich hin getrottet.

Gut, er ist ab und zu stehengeblieben, weil er Hunger hatte. Na und? Wir haben jeden Tag zwei Stunden Mittagspause gemacht, weil wir Hunger hatten. Und als er sich einmal vor einer Kuh erschreckt hat, deren riesiger Schädel plötzlich hinter einer Brombeerhecke auftauchte, ist er losgaloppiert. Aber Esel sind sogar zu gemütlich zum Erschrecken: Fünf Meter weiter blieb er wieder stehen.

Spaziergang am Esels-Buffet

Die nächste Frage, die alle immer stellen: Und was habt ihr dem Esel zu essen gegeben? Absurd. Man stelle sich vor, ein Gourmet bekommt die Erlaubnis, sich einen Tag lang am überbordenden Büfett eines Drei-Sterne-Restaurants zu bedienen. Was soll man dem noch zu essen bringen? Lennon läuft den ganzen Tag über Wege, so saftig wie in der Landliebe-Werbung. Sattglänzendes Gras, büschelweise Blumen, Sträucher, Eichentriebe, und wenn er den Kopf hebt, hängen ihm Buchenzweige oder Akazienblätter ins Maul. Und als Nachtisch fette Disteln, je dorniger, desto besser.

Der Tag ist stets ähnlich strukturiert. Morgens Lennon von der Wiese holen, auf der er die Nacht verbracht hat (fast alle Herbergen haben irgendeine Koppel direkt hinter dem Haus) und vor dem Hotel anbinden. Dann erst mal zu viert striegeln (Esel wälzen sich nachts gern im Schlamm), Hufe auskratzen, aufsatteln, ihm einen krummen, vertrockneten Grashalm anbieten (Sophie), Stöcke sammeln für nachher, "das sind die Pfeile gegen die Räuber, weil wir doch in den Wald kommen" (Nicolas), die Gepäcktaschen wiegen, damit sie ungefähr gleich schwer sind, am Sattel einhängen, und dann, das Wunder, durch einmal Hieven aus dem dünnen Jungen im T-Shirt mit Sturzhelm den stolzen Burgunderkönig mit güldener Krone machen, der dann stundenlang der Natur, dem geduldigen Lennon und seinen treuen Vasallen, die hinter und vor dem Esel langlaufen, irgendwas vom Zauberer Petrosilius Zwackelmann und den Räubern vordoziert.

Der Tag vergeht wie nichts. Derjenige, der vorne geht, muss Lennon am Zügel führen, der Hintermann liest Celines Karte und navigiert den kleinen Tross an den Weggabelungen und Straßenkreuzungen (Autos scheint es im Burgund keine zu geben): "Auf der Hügelkuppe links und dann bis zum Waldrand." Bisschen umherschauen, oh, da hinten, ein Bussard oder sowas. Ab und zu Lennon am Baumbüfett einen Klaps geben. Mittags am Waldrand großes Picknick, meistens auf einer Wiese, sodass Lennon auch was davon hat. Manchmal sind die Wege auch so überwachsen und weich, dass wir uns einfach da hinsetzen, wo wir gerade sind. Knorrige Holzzäune, davor jahrhundertealte Eichen und im tiefen Gras die Picknicktasche.

Einmal nur kommen wir in der Zeit durch ein Dorf, ich freu mich zwei Tage schon darauf, endlich ein Milchkaffee. Am Ende ist es die letzte Plörre vor einer Spelunke mit Plastikstühlen. Lennon scheint es hier auch nicht zu gefallen. Er macht einen Riesenhaufen vor die Kirche, vor der wir ihn an einer Platane festgebunden haben.

In der menschenleeren, romanischen Kirche von Briand halten Nicolas und Sophie nachmittags eine kurze Predigt, des Inhalts, dass ein kleiner Junge namens Hans allein in die weite Welt hineinging, was seiner Mutter Kummer bereitet. Nichtsdestotrotz wünscht sie ihm am Ende viel Glück. Nicolas fragt danach: "Wo ist das eigentlich, dieses Dieweitewelt?"

Lennons Nase trügt

Am Nachmittag, mal um drei, mal um sechs, trödelt man dann bei der jeweiligen Herberge ein, einem Hotel, der umgebauten Scheune eines ehemaligen Schlosses der Grafen von Amanze, oder bei Privatleuten, die Zimmer vermieten. Alle kennen Lennon, er macht die Tour zum vierten Mal in Folge. Was er sich tagsüber nie anmerken lässt: Die Idee, ihm an einer Weggabelung zu trauen - er muss es wissen, ist schließlich seine Stammstrecke - verwerfen wir schnell wieder, er geht einfach dahin, wo es lecker riecht.

Tägliches Schlussritual: Absatteln, Lennon auf seine Wiese führen, striegeln, Hufe auskratzen, gute Nacht sagen, Essen gehen. Unglaublich. Wir waren gefasst auf entbehrungsreiche Tage. Stattdessen gab es jedesmal vier bis sechs Gänge. Abends, bei offenem Fenster, hört man dann oft noch mal den Esel aus der Ferne röhren. "Lennon weint", sagt Sophie vorm Einschlafen.

Am letzten Abend, am Ortsrand von Marcigny, essen wir draußen, auf der riesigen Terrasse des Anwesens der Familie Galland. Vor uns im sanft erschöpften Abendlicht dampfen die Hügel des Burgunds. Am Horizont sieht man die ersten Berge des Zentralmassivs. Fühlt sich fast wie echtes Abenteuer an.

Ach so, eines noch. Das Gedächtnis ist unglaublich sentimental. Den einzigen Nachteil dieser abgelegenen Gegend vergisst man schnell wieder: Ohne Auto ins Brionnais, grauenhaft. Nachtzug nach Paris, einmal quer durch die Stadt, TGV nach Le Creusot, 100 Kilometer mit dem Taxi oder Bus nach Melay, dort holt einen Celine ab - da ist es wahrscheinlich noch komfortabler, schon die Anreise mit dem Esel zu machen.

Informationen:

Anreise: TGV von Paris nach Le Creusot, dann mit dem Bus nach Marcigny.

Reisearrangement: 61 französische Eselbauern haben sich im Dachverband FNAR zusammengetan. Auf dessen Website www.ane-et-rando.com kann man sich für nahezu alle Gegenden Frankreichs Esel mieten. Celine Crolas Eselhof heißt Ferme de Putinat und liegt in Melay. Tel.: 0033/3 85 84 16 70, e-mail: bougresdane@aol.com, http://pageperso.aol.fr/melayrando/

© SZ vom 21.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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