Eberswalde ist dieses Jahr besonders in den Blickpunkt gerückt. Die kleine Stadt etwa 40 Kilometer nordöstlich von Berlin gilt als Wiege der preußischen Industrialisierung und ist dementsprechend gut mit alter Industrie bestückt, die nun zu neuem Leben erweckt werden soll. Kein Zufall also, dass das Brandenburger Kulturjahr, das unter dem Titel "Zukunft der Vergangenheit - Industriekultur in Bewegung" läuft, gerade dort eröffnet wurde.
Eberswalde nimmt viel Geld in die Hand, zum Beispiel 2,8 Millionen Euro für die eben frisch sanierte Borsighalle. Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin entwickelt, diente die Konstruktion - genietetes Gusseisen, hölzernes Dach und Oberlicht - europaweit als Vorbild für Fabriken, Bahnhöfe und Messehallen. Das Exemplar in Eberswalde, das auf der Liste der Nationalen Kulturdenkmäler steht, ist heute im Besitz der Stadt, die nun an einem Konzept für die öffentliche Nutzung feilt.
Früher siedelten die Fabriken entlang des Finowkanals, der als Transportweg diente. Die Verbindung, die von der Havel durch das Tal des Flüsschens Finow bis zur Oder führt, ist der älteste noch befahrbare Kanal Deutschlands. "Der Bau des Finowkanals wurde 1603 vom Kurfürsten Joachim Friedrich angeordnet", erzählt Hartmut Ginnow-Merkert, der im Vorstand des Vereins Unser Finowkanal ist. Dieser setzt sich heute dafür ein, dass die Schleusen saniert werden, damit immer mehr Touristen den Kanal für sich entdecken, an dessen Ufern Überreste historischer Fabrikanlagen und überwucherte Industriebrachen wechseln.
Die industriell geprägte Landschaft erschließt sich besonders eindrucksvoll vom Boot aus. "Gewerbliche Schifffahrt gibt es hier nicht mehr", sagt Hartmut Ginnow-Merkert. "Nur Freizeitboote sind erlaubt, die höchstens sechs Stundenkilometer fahren dürfen." Zum Gefühl der Entschleunigung tragen auch die denkmalgeschützten Schleusen bei, die von Hand betrieben werden. Die Boote gleiten unter der Teufelsbrücke hindurch, die einst einen Bogen der Berliner Weidendammbrücke bildete, der ältesten gusseisernen Brücke Mitteleuropas. Man passiert die dem Verfall ausgesetzte Papierfabrik mit ihrem markanten Wasserturm, später das Kraftwerk Heegermühle, das zum Wasser hin eine wuchtige Schaufassade erhielt und 1991 stillgelegt wurde.
Durch Riesenrutschen kann man von der historischen Kranbahn sausen
In der DDR blieb die Stadt - von 1970 an als Eberswalde-Finow - ein bedeutender Industriestandort und erhielt den Status einer Kreisstadt. Der VEB Kranbau Eberswalde war bis zur Wende sogar europaweit Marktführer für Hafen- und Werftkrane. Als nach dem Fall der Mauer viele Fabriken schlossen, verlor die Stadt ein Viertel ihrer Einwohner. Seither bemüht man sich, den Strukturwandel zu meistern und verlassene Fabrik-Areale zu beleben. So wurde das Gelände der Eisenspalterei 2002 für eine Landesgartenschau genutzt und anschließend in einen Erholungsort verwandelt, den "Familiengarten". Das 17-Hektar-Gelände wird von einem alten Montagekran mit Aussichtsplattform überragt; durch Riesenrutschen kann man von der historischen Kranbahn sausen.
Die unterirdischen Betriebskanäle der Eisenspalterei lassen sich per Tretboot erkunden. Im alten Walzwerk zeigt ein Metallkünstler seine Werke; die Hufeisenfabrik dient als Stadthalle für kulturelle Veranstaltungen.
Der Boom der Metallproduktion in Eberswalde nahm an Fahrt auf, als sich hier im frühen 18. Jahrhundert Preußens ältestes Messingwerk ansiedelte. "1863 wurde es von der jüdischen Fabrikantenfamilie Hirsch übernommen und entwickelte sich zum wichtigsten Messingwerk Europas", sagt Karl-Dietrich Laffin, Bauingenieur und Vorstandsmitglied des Fördervereins Finower Wasserturm e.V. Bei Führungen zeigt Karl-Dietrich Laffin das Torbogenhaus, das als Verwaltungsgebäude geplant war, mit seinen bunten Mosaiken und Bleiglasfenstern. In der Nähe stehen acht Fertigteil-Wohnhäuser mit neuartigen Kupferblechverkleidungen. Sie wurden in den frühen Dreißigerjahren als Musterhaussiedlung entwickelt. "Auch der Bauhaus-Gründer Walter Gropius brachte sich in dieses Projekt ein", erzählt Laffin.
Die Wohnungen der grünen, ruhigen Messingwerksiedlung sind heute sehr beliebt. Doch auch in anderen Teilen von Eberswalde steigt der Andrang auf die Immobilien - nicht zuletzt profitiert die Stadt von der großen Anspannung auf dem Berliner Wohnungsmarkt. "Seit ein paar Jahren wächst unsere Einwohnerzahl wieder", freut sich Friedhelm Boginski, seit 2006 Bürgermeister von Eberswalde, der sich die Förderung von Kultur, Tourismus und Bildung auf die Fahnen geschrieben hat. "Das sind für uns die wichtigsten Standbeine, um die Stadtentwicklung und die Zivilgesellschaft zu stärken."
Dass die Stadt vor einem Entwicklungsschub steht, glaubt auch Sarah Polzer-Storek, Inhaberin des Rofin-Gewerbeparks in den Mauern einer gründerzeitlichen Rohrleitungsfabrik. "Bislang war Eberswalde nicht gerade angesagt. Aber das ändert sich gerade", meint die Unternehmerin. "Hier gibt es noch Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten. Jetzt kommt es darauf an, die Entwicklung in ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltige Bahnen zu lenken." Als Vermieterin geht Polzer-Storek mit gutem Beispiel voran. Das bezeugt die "bunte Mischung" der Unternehmen im Rofin-Gewerbepark: von der Boulder-Halle über Sanitärfachhandel und Möbeldesign bis zum Verein "Save Your Culture", der an der Halle 58 eine soziokulturelle Begegnungsstätte betreibt.
Während hier auch mal ein DJ auflegt, hört man unten am Finowkanal nur die Vögel singen. Nichts erinnert an den regen Betrieb, der hier einst herrschte. "Unzählige Lastkähne und Flöße kamen auf dem Weg zwischen Berlin und Ostpreußen vorbei", sagt Hartmut Ginnow-Merkert vom Verein Unser Finowkanal. "Die Schleusen in Eberswalde waren rund um die Uhr in Betrieb. Trotzdem mussten die Schiffer vier bis fünf Tage auf ihre Schleusung warten. 1914 wurde deshalb der parallel laufende Oder-Havel-Kanal eingeweiht."
Das neue Schiffshebewerk gilt als "Brandenburgs zweiter BER"
Auch der neue Kanal musste das Gefälle zum tiefer gelegenen Oderbruch überwinden. Bei Niederfinow, ein paar Kilometer östlich von Eberswalde, summiert es sich auf immerhin 36 Meter. Abhilfe schaffte zunächst eine riesige Schleusentreppe aus vier einzelnen Schleusen. 1934 nahm nach siebenjähriger Bauzeit das seinerzeit größte Schiffshebewerk der Welt seinen Dienst auf.
"Heute ist das das älteste noch arbeitende Hebewerk Deutschlands. Hier laufen immer noch die ursprünglichen Räder", erzählt Helmut Kluge, der 50 Jahre als Elektromeister im Werk arbeitete und heute Führungen an der riesigen genieteten Stahlkonstruktion anbietet. "Seit seiner Eröffnung funktioniert das Hebewerk ununterbrochen und weitgehend störungsfrei." Besonders spannend ist es, an Bord eines Ausflugsdampfers in den 85 Meter langen, wassergefüllten Trog einzufahren und an einer Schleusung teilzunehmen.
Die Diskussion, das denkmalgeschützte Hebewerk auf die Weltkulturerbe-Liste zu bringen, dümpelt jedoch vor sich hin. Helmut Kluge ist der Überzeugung, dass das Werk auf die Liste gehört. "Unbedingt! Es handelt sich um eine technische Errungenschaft, die nicht zu toppen ist", schwärmt er.
Nebenan entsteht derweil seit zwölf Jahren ein neues Schiffshebewerk aus Stahlbeton, das wegen immenser Bauverzögerungen und Kostensteigerungen bereits als "Brandenburgs zweiter BER" gilt. Wenn es irgendwann in Betrieb geht, soll das alte Hebewerk abgeschaltet werden. Elektromeister Helmut Kluge bleibt skeptisch. "Das historische Werk wird man noch länger brauchen, als man denkt", meint er.