Bergtour:Im Südtiroler Sarntal

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Sieben Tage führt die Hufeisentour durch einsame Natur. Im Halbkreis bilden 140 Dolomitengipfel das ultimative Panorama.

Edeltraud Rattenhuber

Der Mann steht da wie der Erlöser. Nebelschwaden zerfasern sein Gesicht, am dunklen Bart hängen Tröpfchen. Oben auf dem Berg, weit weg noch, hebt er die Hand zum Gruß und winkt uns, die wir müde und beladen sind, heran, auf dass wir eintreten in sein Reich.

Auf der Sarner Scharte tost der Wind ungehindert (Foto: Foto: sarnerweb)

Wir glauben zu träumen. Doch der Mann ist echt. Seine Visitenkarte, die er uns wenig später zusteckt, weist ihn aus als Daniel Volcan, Wirt der Flaggerschartenhütte in Südtirol. Auf 2481 Metern Höhe spendet er erschöpften Wanderern wie uns mit seinen Witzen nicht nur Trost ob der Unbill, die sie im Hochgebirge ereilte. Herr Volcan gibt auch irdische Kraft: Speckknödelsuppe, Tiroler Gröstl, Spaghetti mit Sugo und als Nachtisch einen Kaiserschmarrn. Dazu Wein aus dem Trentino. Und den Holzofen für eine warme Dusche heizen er und sein Sohn auch noch ein.

Vierter Tag - Wäsche wechseln

Eine Ganzkörperwäsche haben wir auch bitter nötig, denn wir sind schon seit drei Tagen unterwegs - über das Rittner Horn, an Schaf- und Ziegenherden vorbei über Mooswiesen weiter zum Latzfonser Kreuz, alles in der gleichen Wäsche, denn gewechselt wird erst am vierten der Sieben-Tage- Wanderung. Als die Flaggerscharte nach vielen Umwegen im Nebel über Geröllfelder und rutschigen Gesteinsplatten bezwungen ist, meinen wir, die schwierigste Stelle der Sarner-Hufeisentour sei gemeistert.

Aber da waren wir noch nicht am Penser Joch, sind noch nicht über die Altschneefelder gestapft, die das Weißhorn aussehen lassen wie einen Fleckerlteppich. Und wir sind noch nicht im Gewitter das Gröller Joch hinuntergestiegen, begleitet von dem Oberbergbach, einem Quellbach der Talfer, der, vom Platzregen angeschwollen, alles mitzureißen droht, was sich ihm in den Weg stellt.

Im Herzen Südtirols

Das Sarntal liegt in der Mitte Südtirols, ist quasi das Herz der italienischen Provinz. Es schlängelt sich zwischen dem Penser Joch und Bozen auf knapp 50 Kilometern Länge von Norden nach Süden.

Die Touristenhorden, die Südtirol zu jeder Jahreszeit in Besitz nehmen, lassen das Sarntal größtenteils links liegen. Zu verdanken ist dies seiner versteckten Lage. Seine noch unverdorbene Landschaft und die gelebte Tradition machen es zum Geheimtipp. So viele alte und stattliche Höfe wie dort sieht man in Südtirol sonst kaum noch.

Für einen Plausch mit Wanderern sind die Sarntaler immer zu haben. Ins Gespräch kommt man leicht - zum Beispiel wenn man bewundernd an einem der schönen Wegkreuze stehenbleibt, die sich nicht selten direkt vor den Höfen befinden. Wenn man Glück hat, bekommt man dort eine kleine Wegzehrung - etwa wunderbar süßen Holunderblütensaft und ein Küchl dazu.

Den gesamten Alpenbogen im Blick

Die Sarntaler sind stolz auf ihre Natur, ihren Dialekt, ihre Tracht, ihre Handwerkskunst. Und auf ihre Berge. 140 Gipfel umschließen das Tal wie ein Hufeisen. Auf dem so benannten Rundweg hat man bei gutem Wetter einen fantastischen Rundblick auf die Dolomiten, die Zillertaler, Ötztaler und Stubaitaler Alpen, die Ortlergruppe, die Brenta - kurz den gesamten Alpenbogen Südtirols.

Der Aufstieg beginnt an diesem Montag im Hochsommer ganz gegen das Wanderer-Ethos - mit einer Autofahrt zum Riedler-Hof. Denn wir sind spät dran. Dicke Wolken beginnen sich am blauen Himmel aufzutürmen. Frau Christine vom Tourismusverband organisiert ein Taxi: den Privatwagen des Herrn Rauch, des Wiesenwirts in Nordheim. Der bringt uns soweit es geht Richtung Ritten. Das Wetter hält, mit dem "Lift" haben wir zwei Stunden Fußmarsch gespart.

Dennoch werden wir für den Aufstieg letztlich eineinhalb Stunden länger brauchen als auf der Karte für den ersten Tag angegeben. Wir erklären es mit unserer mangelnden Kondition: Wenn Bürogefangene ausgelassen werden, um im Hochgebirge mit einem Acht-Kilo-Rucksack sieben Tage zu wandern, geht ihnen anfangs erst einmal die Puste aus. Überdies haben wir uns auch einmal verlaufen. Denn das Kartenmaterial, das man zu kaufen bekommt, ist nicht sehr genau, und die Wegweiser auf der Hufeisentour lassen an manchen Stellen auch zu wünschen übrig.

Im Verlauf der Tour stellen wir allerdings fest, dass die Zeitangaben auf der Karte immer zu gering bemessen sind. "Eine halbe Stunde noch", sagt etwa mitleidig ein Bergbauer, als er uns ziemlich erschöpft den Weg zum Rittner Horn einschlagen sieht; da hatten wir uns gerade über die Sarner Scharte geschleppt, die der Wind auf 2402 Metern Höhe ständig umtost. Als wir dann nach einer Stunde am Rittner-Horn-Haus ankommen, wird von der jungen Bedienung gerade die Suppe serviert. Nachher spendiert sie einen selbstgebrannten Latschen-Schnaps - weil sie ihn selbst so gerne trinkt, wie sie sagt.

Das Dolomiten-Panorama gegenüber - Geislergruppe, Grödnerjoch, Sellastock, Langkofel, Seiseralm, Marmolada, Schlern, Rosengarten und Latemar - wird gerade von der untergehenden Sonne mit rotgoldenem Glanz überzogen.

Der zweite Tag führt durch ein Idyll. Wir wandern über blühende Mooswiesen, trinken aus Quellbächen, streicheln Haflingerpferde und schauen den Almkühen beim Wiederkäuen und beim Raufen zu. Der Weg ist wieder einmal länger als wir gedacht haben, zum Abend hin ziehen Wolken auf, und wir haben immer noch nicht das Wirtshaus am Latzfonser Kreuz erreicht.

Als wir endlich ankommen, schauen wir neugierig zu, was die Kinder der Wirtsleute treiben: Sie füttern eine junge, krächzende Krähe, die verletzt ist. Später werden sie an den Hängen frische Brennesseln sammeln - die Mutter macht daraus Brennesselnocken zum Abendessen.

13 Meter Schnee im Winter

Im Winter hat es im Sarntal besonders viel geschneit. In der Gaststube des Alpenrosenhofs am Penser Joch zeigt die Wirtin Aufnahmen von Mitte Mai. Der Schnee türmte sich da noch bis zum ersten Stock des Gasthofs auf. Der Schankkellner erzählt von 13 Meter Schnee an der höchsten Stelle.

Am fünften Tag, beim Abstieg vom Penser Joch (2211 Meter) nach Weißenbach, müssen wir wegen dieses Schnees um einen unserer sechs Begleiter bangen. Friedrich, ein Mitfünfziger aus Düsseldorf, lässt es sich trotz rutschiger Schneefelder nicht nehmen, mit einer Rentnertruppe aus Nürnberg ("Das wäre ja gelacht!") auf das 2705 Meter hohe Weißhorn zu steigen. Die Rentner kommen alle wieder heil den Berg herunter, nur der Düsseldorfer rutscht aus und schlittert in die Tiefe, bis ihn ein Felsbrocken stoppt.

Zuvor war an dieser Stelle einem Studenten aus Meißen dasselbe passiert - er musste ins Krankenhaus nach Meran gebracht werden. Unser Bergkamerad wird noch am Berg verarztet, mit Tee versorgt, und macht sich dann voller Elan an den Abstieg.

Doch diesen Tag hat der Teufel gesehen. Am Gröller Joch (2557 Meter) machen das namenstypische Geröll, Schnee und Muren uns das Leben schwer. Als wir die Unbill des Geländes glücklich überwunden haben, entlädt sich ein Gewitter. Völlig durchnässt finden wir zunächst in einem Schafunterstand, dann in einem alten Stall Zuflucht. Wir erleben die Naturgewalten im Hochgebirge.

Der Oberbergbach schürft mit ungeahnter Kraft seine Uferböschung weg, die Wege sind binnen Minuten völlig überschwemmt. Wir haben Angst vor Muren, die jetzt abgehen könnten.

Zum Schluss dürfen wir noch einen Blick auf die Meraner Seite werfen und sind entsetzt: Geschunden, ohne Grasnarbe liegen die Hänge des Skigebiets Meran 2000 vor uns. Auch die Goaßlschnalzer-Vorführung eines Schafhirten auf dem Kesselberg-Haus kann uns nicht mehr munter stimmen. Wir wollen nur noch weg, zurück auf die natürlichere, unberührtere Sarntaler Seite.

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