Abu Simbel in Ägypten:Das Leuchten der Götter

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Zweimal im Jahr scheint die Sonne 65 Meter tief ins Innerste des Tempels von Abu Simbel und erhellt die Götterstatuen - nur der Gott der Finsternis bleibt im Dunkeln. Ein anderes Wunder ereignet sich hingegen jeden Tag.

Margit Kohl

Ob er wohl einen Ton für sie singt? Lady Ridgeway blickt eingeschüchtert empor zu einer der Ramses-Statuen von Abu Simbel - eine berühmte Szene aus der Verfilmung von Agatha Christies "Tod auf dem Nil". Darin verrät ein Mitreisender der reichen Erbin Ridgeway, dass die östliche Figur von Ramses II. bei Sonnenuntergang einen hohen, verzweifelten Ton hervorbringe.

Schnell, schnell an den erleuchteten Statuen im Inneren des Tempels vorbei - andere zahlende Gäste wollen auch etwas sehen. Und schön gebückt huschen, sonst entstellen Schatten den Anblick. (Foto: AFP)

"Unsinn", ruft Mohamed El Bialy in der Cafeteria von Abu Simbel. Er ist Generaldirektor der antiken Stätten Nubiens, zu denen auch Abu Simbel gehört. Seine Gesichtszüge versteinern sich wie die eines erzürnten Pharaos, als er darüber doziert, dass es sich bei besagtem Sänger nicht um die Ramses-Statue, sondern um den Memnon-Koloss von Luxor handle.

Für dessen Gesang sei ein Sprung im Gestein verantwortlich gewesen, durch den der Wind pfiff. Also kein Gesang zum Sonnenuntergang. Und zum Sonnenaufgang - erlebt man da vielleicht auch eher sein blaues Wunder anstatt des angekündigten Sonnenwunders?

"Nein", sagt El Bialy, "die Ägypter waren astronomische Genies und haben das exakt berechnet." Demnach erreicht die Sonne nur zweimal im Jahr den optimalen Stand - jeweils um den 22. Oktober und den 22. Februar herum. Dann fallen die Strahlen durch das schmale Eingangsportal direkt 65 Meter tief ins Innerste des Tempels. Dort beleuchten sie etwa eine Viertelstunde lang die Götterfiguren im Allerheiligsten.

Dann schauen Sonnengott Re, Ramses II. und Fruchtbarkeitsgott Amun gemeinsam in die Sonne. Nur Ptah, der Gott der Finsternis, bleibt auch dann im Dunkeln, schließlich braucht er ja kein Licht.

Dass für die Tage des Sonnenwunders der Geburts- und der Krönungstag von Ramses II. gewählt wurde, wie einige Archäologen behaupten, davon ist El Bialy nicht überzeugt: "Die Ägypter waren abhängig vom Nil, der das Land immer wieder unter Wasser setzte und es durch den mitgeführten Schlamm fruchtbar machte. Aussaat und Ernte markieren wichtige Zeitabschnitte, die im Tempel rituell an den Tagen des Sonnenwunders gefeiert wurden."

Doch sobald die Feldarbeit getan war und der Nil wieder über seine Ufer trat, ließ Ramses II. seine Untertanen als Bauarbeiter für seine Tempel schuften. Abu Simbel sollte zum Sinnbild seiner Macht werden, denn hier ließ sich der Pharao im 13. vorchristlichen Jahrhundert zum ersten Mal als gottgleicher Herrscher darstellen, der im Allerheiligsten Platz nimmt zwischen all den anderen Göttern.

Die Außenfassade zeigt Ramses II. in 20 Meter hohen Kolossalstatuen, und das gleich vier Mal. Die Erschließung Nubiens war für ihn von besonderem Interesse, denn das Land verfügte über große Vorkommen an Gold und Kupfer. Durch Abu Simbel sollten die tributpflichtigen Nubier an der südlichen Landesgrenze daran erinnert werden, wer das Sagen hatte.

Mit einem Blick auf Ägypten heute mag man sich durchaus fragen, wie weit der Weg vom Pharao zum neuzeitlichen Diktator war. Mehr als 3000 Jahre nach Ramses II. ist die Bezeichnung Pharao zum Schimpfwort für den ehemaligen Staatschef Hosni Mubarak geworden. Dass sein Volk ihn gestürzt hat und ihm nun den Prozess macht, ist auch ein Wunder, allerdings eines der ägyptischen Revolution. Doch deren Ausgang steht bis heute auf tönernen Füßen.

Zum Glauben vieler Herrscher gehört auch immer wieder die Vorstellung, dass monumentale Bauwerke der beste Weg zur eigenen Unsterblichkeit seien.

Verschwindend klein wirken die Menschen, die zu Ramses' Füßen auf Einlass warten. Heute sind die Japaner wieder mal die Ersten. Wie immer, sagt ein Reiseleiter. Mag sein, dass er mit seiner Vermutung recht hat, dass ihr Interesse fürs Sonnenwunder daher rührt, dass sie aus dem Land der aufgehenden Sonne stammen.

Bescheidenheit war keine Zier: Die Außenfassade des Tempels zeigt Ramses II. in 20 Meter hohen Kolossalstatuen, und das gleich vier Mal. (Foto: AFP)

Schon seit drei Uhr nachts knien etwa 100 von ihnen auf ausgebreiteten Decken in Dreierreihen hintereinander, als säßen sie im Flugzeug - daneben akkurat die ausgezogenen Schuhe aufgereiht. Tagsüber sorgen hier die Tempelwächter für Unterhaltung. Sie setzen sich Skorpione auf die Stirn, drücken den Touristen für Fotos kleine Nilkrokodile in die Arme oder legen ihnen Kobras um den Hals.

Im Tempelinneren brennt bereits Licht. Drinnen sitzt eine weitere Gruppe Japaner. Angeblich haben sie 5000 Euro Bakschisch bezahlt, um eine Stunde vor Öffnung im Tempel meditieren zu dürfen. So lautet zumindest ein Gerücht der anderen Wartenden.

Außer den Japanern darf noch niemand hinein. Abd El Mawlla hat ihnen mit einem zwei Kilogramm schweren Bronzeschlüssel die mächtige Holztüre geöffnet. Der Tempelwächter ist in Abu Simbel geboren und war acht Jahre alt, als das komplette Bauwerk 1964 mit Hilfe der Unesco 65 Meter höher und 180 Meter landeinwärts versetzt werden musste.

Der durch den Assuan-Staudamm entstandene Nassersee stand kurz davor, Abu Simbel zu überfluten. El Mawllas Vater hat als Arbeiter beim Umsetzen des Heiligtums mitgeholfen. "Den Tempel in mehr als tausend Blöcke zu zersägen und so perfekt wieder zusammenzusetzen, war damals ein kleines Wunder", sagt er. Die Sonne scheint davon unbeeinflusst an denselben Tagen wie schon zur Zeit von Ramses II. durch den Eingang zum Allerheiligsten.

Unter des Pharaos Füßen haben heute die Wartenden ihr Lager aufgeschlagen, um bis Tagesanbruch noch ein wenig zu dösen. Die Steine sind angenehm warm, geben noch die Sonnenhitze des Vortages ab. Kurz nach halb vier zieht eine Hundertschaft Polizisten in Paradeuniform vor dem Tempel auf. Mit Seilen sperren sie die Mitte vor dem Tempeleingang ab, damit die Sonnenstrahlen ungehindert von den 5000 erwarteten Besuchern den Weg ins Allerheiligste finden.

Um 5.20 Uhr dröhnt Heavy-Metal-Musik über die Lautsprecheranlage. Um 5.45 Uhr geht endlich die künstliche Beleuchtung im und die Musik vor dem Tempel aus. Tausende blicken gespannt in Richtung Sonnenaufgang. Handys und Kameras sind gezückt, die Objektive zoomen, die Kameras blitzen.

Die Sonne schiebt sich langsam über den Horizont. Sie ist blass, ihr Leuchten kraftlos. Und dann schluckt ein Dunstschleier die ersten Sonnenstrahlen. Es dauert, bis sie den Weg ins Tempelinnere schaffen und die Polizisten damit beginnen, die Menge wie eine Viehherde hineinzutreiben: "Yalla! Yalla! Los! Los!" Das Sonnenwunder ein mystischer Moment? Dafür ist jetzt keine Zeit.

Der Tempel musste versetzt werden, als der Nassersee aufgestaut wurde - sonst wäre das Bauwerk überflutet worden. (Foto: SZ Grafik)

Wer stehenbleibt, wird weitergeschubst. "Yalla! Yalla!" Vorbei hinter den Säulen der Haupthalle, die den Blick aufs angeleuchtete Allerheiligste verstellen. Ein paar Japaner machen ihre Taschenlampen an, um im Dunklen nach dem Sonnenwunder zu suchen und handeln sich prompt lautstarke Proteste ein. Ehe man sich versieht, steht man vor den sonnenbeschienenen Göttern, muss aber gebückt daran vorbeihuschen, damit kein Schatten auf die Figuren fällt. Stundenlanges Warten für ein paar flüchtige Sekunden.

Beim Sonnenfest auf dem Vorplatz trommeln sich inzwischen einheimische Musikgruppen in Ekstase, Derwische tanzen sich schwindlig. Auf einem Panoramabildschirm werden die letzten Minuten des Sonnenwunders für all jene übertragen, die es nicht mehr rechtzeitig hineingeschafft haben. Um 6.10 Uhr ist das ganze Spektakel vorbei.

Das eigentliche Wunder verpassen viele, denn es vollzieht sich außerhalb des Tempels. Schon seit Ewigkeiten sitzen die Ramses-Kolosse stoisch da, den Blick Richtung Sonnenaufgang gerichtet. Im Morgengrauen wirken sie noch unnahbar, ihre Gesichtszüge hart und die Augen starr. Wenn dann die Sonne ihren Weg über die Gebirgskette nimmt, beginnen als erstes ihre Kronen zu leuchten. Dann blitzt rosafarbenes Licht in ihren Augen und um ihre Mundwinkel auf. Es ist ganz so, als ob das Sonnenlicht Ramses zum Leben erweckt.

Für einen Augenblick scheint er sogar zu lächeln. Doch kaum hat man dies realisiert, wird das Licht so gleißend hell, dass es die Bildnisse des Pharao wieder versteinern lässt.

Und dieses Wunder geschieht nicht nur zweimal im Jahr, sondern täglich.

Informationen

Anreise: Mit Egyptair von München über Kairo nach Assuan hin und zurück ab 450 Euro. Von dort weiter mit Schiff oder Taxi nach Abu Simbel. Es ist auch möglich bis Abu Simbel zu fliegen, egyptair.com

Reisearrangements: Der Flussreisespezialist Viking bietet eine Kreuzfahrt auf dem Nil von Assuan nach Abu Simbel mit dreitägigem Aufenthalt in Kairo an; viking-flusskreuzfahrten.de

Auskünfte: Ägyptisches Fremdenverkehrsamt, Kaiserstr. 66, 60329 Frankfurt/Main Tel.: 069/25 21 53, www.egypt.travel

© SZ vom 20.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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