Zypern:Unteilbarer Widerstand

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Nikosia verhindert EU-Sanktionen gegen 40 Helfer des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, weil die Regierung dies mit neuen Strafen gegen die Türkei verknüpft sehen will.

Von Matthias Kolb und Tobias Zick, Brüssel/München

Nikosia ist seit 1974 eine geteilte Stadt. Für die Regierung ist das Verhältnis zur Türkei deshalb das einzige Thema, was zählt. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Bald sind sie um, jene 168 Stunden, die Europas Staats- und Regierungschefs geschenkt wurden, als der Sondergipfel verschoben wurde. Eine Person aus dem Sicherheitsteam von Charles Michel war positiv auf Corona getestet worden, weshalb der EU-Ratspräsident in Quarantäne musste und das Treffen eine Woche später stattfindet. Von Donnerstagnachmittag an geht es um den Binnenmarkt und die Frage, was die EU unter "strategischer Autonomie" versteht. Die Agenda dominieren aber brisante außenpolitische Themen: Michel will über möglicherweise nötige Änderungen im Verhältnis zu China und zur Türkei diskutieren lassen. Auch die Wahlfälschung in Belarus wird zur Sprache kommen. Doch das zentrale Problem bleibt: Wie bringt man Zypern dazu, sein Veto zurückzunehmen?

Die Teilung der Insel und das Verhältnis zur Türkei sei laut Diplomaten das Einzige, was zähle

Denn der Inselstaat verhindert seit einem Monat Sanktionen gegen 40 Helfer des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, weil die konservative Regierung in Nikosia dies mit neue Strafen gegen die Türkei verknüpft. Streitpunkt sind die von Zypern als illegal erachteten Gasbohrungen vor der eigenen Küste. Über diese "Geiselnahme eines Dossiers", die der EU gerade in Osteuropa Glaubwürdigkeit kostet, klagen Diplomaten seit längerem, aber kaum jemand wagt die Prognose, dass ein Durchbruch beim Abendessen am Donnerstag gelingen wird. Als "knallhart" wird Zyperns Position beschrieben, trotz Michels Reise in die Region und der Gespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrem Parteifreund, Präsident Nikos Anastasiades. Er soll nun in der Diskussion von den 26 anderen "Chefs" überzeugt werden, dass die EU hinter Zypern stehe und vor Strafen gegen Ankara nicht zurückschrecke. Viel werde vom Ton der Debatte abhängen, die "offen und ohne Tabus" geführt werden sollte, sagt ein EU-Diplomat: Zypern müsse anschließend genug Vertrauen haben, dass es sich im Ernstfall auf alle Partner verlassen kann.

Aber in Brüssel und Berlin geht man auch davon aus, dass jene Schritte zur Deeskalation im östlichen Mittelmeer, auf die sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zuletzt eingelassen hat, sofort rückgängig gemacht würden, wenn die EU weitere Sanktionen verhängt. Zwar wird in Brüssel zugestanden, dass Erdoğan bisher nur gegen Griechenland auf Provokationen verzichtet - und dagegen etwa die Explorationsschiffe vor Zypern nicht abzieht. Seit November gilt das Sanktionsregime gegen die Türkei und im Februar wurden zwei Mitarbeiter des Energie-Staatskonzerns TPAO mit Einreiseverboten und Kontensperrungen belegt. Doch aktuell wollen viele die Liste nicht ausweiten. Als mögliche Eskalation gilt, dass türkische Forschungs- und Bohrschiffe keine Häfen der EU anlaufen dürfen und ihnen der Zugang zu Einzelteilen verwehrt wird. Auch Druck auf Banken der Reedereien sei denkbar.

Dass ein Kompromiss so schwer ist, erklären Diplomaten damit, dass Zypern ein single issue country sei. Die Teilung der Insel und das Verhältnis zur Türkei sei das Einzige, was zähle: "Mit fast allen anderen Ländern lässt sich eine Einigung erzielen, indem man anderswo Zugeständnisse macht. Das funktioniert hier nicht."

Das andere Thema, mit dem Zypern oft assoziiert wird, ist der EU unangenehm. Es geht um die berüchtigten "goldenen Visa", also die Tatsache dass etwa 2,15 Millionen Euro ausreichen, um sich eine EU-Staatsbürgerschaft zu kaufen. Diese für Steueroasen typische Praxis hat Zypern zuletzt ausgiebig betrieben; Recherchen des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) zufolge hat der Inselstaat seit 2013 mehr als 4000 Pässe an Vermögende verkauft, etwa an einen saudischen Prinzen und sechs seiner Angehörigen. Für das Land, das ähnlich wie Griechenland hart von der Eurokrise betroffen war und ein Rettungspaket unter Aufsicht der "Troika" aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds beantragen musste, ist der Handel mit den Staatsbürgerschaften ein bedeutender Wirtschaftsfaktor: Etwa sieben Milliarden Euro hat Zypern mit damit seit 2013 eingenommen - das entspricht etwa einem Viertel des jährlichen Bruttoinlandsprodukts. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Praxis kürzlich als eine Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit in der EU bezeichnet. Doch einen Riegel vorschieben kann Brüssel dem Handel mit den "goldenen Visa" nicht ohne weiteres: Die Entscheidung darüber, wer Staatsbürger wird, liegt bei jedem Mitgliedsstaat.

Aus Sicht der zyprischen Regierung gibt es gute Gründe für das Beharren auf einer harten Linie der EU im Konflikt mit der Türkei. Die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung, für die sich beide Seiten in der Vergangenheit durchaus offen gezeigt hatten, ist geschwunden: Mustafa Akıncı, der sozialdemokratische Präsident der international nicht erkannten Türkischen Republik Nordzypern, ist zwar als Brückenbauer im Verhältnis zu den Griechen im Süden aufgetreten. Er steht aber selbst unter Druck aus Ankara: Als er etwa die türkische Militäroffensive in Nordsyrien kritisierte, warnte ihn Erdoğan, er solle "seine Grenzen" kennen. Ein Abzug der 35 000 Soldaten türkischen Soldaten in Nordzypern, wie ihn Nikosia fordert, erscheint daher unwahrscheinlicher denn je.

© SZ vom 30.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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