Zum Tod von Helmut Schmidt:"Diese Geradlinigkeit, an der es aktiven Politikern leider oft mangelt"

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Die deutschen Medien verabschieden Helmut Schmidt mit viel Wehmut. Eine Presseschau.

Stuttgarter Zeitung

"Womöglich ist das bedeutendste Vermächtnis von Helmut Schmidt gar nicht die Leistungsbilanz seiner Kanzlerjahre, sondern sein Rollenverständnis als Politiker. Er hatte eine tiefe innere Abneigung gegen alle Formen politischer Utopien. Politisches Handeln sollte zwar moralisch legitimiert, aber doch zugleich zweckmäßig sein. Rationale Abwägung statt Gesinnung: das war Schmidts Kredo."

Die Zeit

"Historische Größe ist ein relativer Begriff, gebunden an die Bedingungen und Erfordernisse des Augenblicks. Helmut Schmidts Größe war von anderer Art als die Konrad Adenauers oder Willy Brandts, weil seine Zeit von anderer Art war. Er musste nicht Fundamente legen, konnte nicht ganz neu beginnen. (...) Schmidt musste die Deutschen einüben in die Normalität, musste Westpolitik und Ostpolitik, Bündnistreue und Entspannung, Verteidigungswillen und Abrüstungsbereitschaft verschmelzen zu einer neuen bundesrepublikanischen Staatsräson. Er war nicht autoritär wie Adenauer. Er stürmte nicht heilsgewiss voran wie Brandt. Er setzte auf die Vernunft, der er mühsam eine Klientel zu schaffen suchte in einer Zeit, in der das Zerbröseln des gesellschaftlichen Konsenses Führung immer schwieriger werden ließ."

Schwäbische Zeitung

"Im Welterklären war er unerreicht, im Weltverändern nicht ganz so erfolgreich. Die Schmidtsche Kanzlerschaft von 1974 bis 1982 taugt nicht für die Kapitel ganz vorne in den Geschichtsbüchern. Die Regierungszeiten von Konrad Adenauer, Willy Brandt und auch Helmut Kohl waren da bestimmender. Die Ovationen, die ihm dennoch entgegenschlugen, erklären sich daraus, dass er sich nicht vor Verantwortung drückte, sondern sie unmissverständlich suchte."

Helmut Schmidt
:Energische Exzellenz

Die Glanzpunkte seiner Regierung wurden im Lauf der späteren Jahrzehnte immer glänzender. Der Pragmatiker wurde zum Mann der großen Linien.

Kommentar von Heribert Prantl

Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Schmidt sah sich als Mann der Tat und litt unter nichts so sehr, als dass seine Taten nicht groß genug sein könnten. Die Rettung vieler Hamburger vor der Flutkatastrophe im Februar 1962 war ein solcher Augenblick, in dem Schmidts Tatendurst und Verantwortungsethos zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle waren und das Richtige taten. Fünfzehn Jahre später, im "deutschen Herbst", wollte es das politische Schicksal, dass Schmidt gar nicht groß genug hätte sein können, um als Bundeskanzler das Richtige zu tun. Die Befreiung der Passagiere der "Landshut" in Mogadischu aus der Hand von Terroristen gehört zu den mutigsten Leistungen, die ein Kanzler der Bundesrepublik zu verantworten hatte, aber die sich anschließende Ermordung des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch RAF-Terroristen zu den größten Demütigungen, die ein Kanzler hinnehmen musste. Schmidt wurde darüber zum "Krisenkanzler", aber auch zum tragischen Helden".

Mannheimer Morgen

"Allein mit der immensen Klugheit seiner Weltsicht lässt sich Schmidts Ansehen nicht erklären. Im Gegenteil. Dass der Altkanzler beispielsweise eklatante Menschenrechtsverletzungen in China wiederholt als lässliche, weil kulturell oder strategisch erklärbare Sünden abtat, hätte die deutsche Öffentlichkeit keinem anderen durchgehen lassen. Der Hauptgrund für seine Beliebtheit dürfte in seinem Charakter liegen. Zum einen in dem ungeheueren Charisma, das Schmidt zu eigen war. Zum anderen in seiner klaren Haltung, wie er sie zeitlebens zeigte. Wie er sich mit unverblümter Sprache (am legendärsten: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen") auch von heftigen Widerständen nicht von seinem Weg abbringen ließ. Es ist diese Geradlinigkeit, an der es aktiven Politikern leider oft mangelt."

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