Helmut Schmidt:Energische Exzellenz

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Die Aura, die Schmidt gewann, hatte etwas Raunendes (Foto: picture alliance / dpa)

Die Glanzpunkte seiner Regierung wurden im Lauf der späteren Jahrzehnte immer glänzender. Der Pragmatiker wurde zum Mann der großen Linien.

Kommentar von Heribert Prantl

Seine erste Regierungserklärung war nicht furios, sie war penibel; es war die Rede eines schneidigen Chef-Buchhalters. Auf das visionäre Pathos von Willy Brandt folgte das pathosverleugnende Pathos des Pragmatismus. Es findet sich schon in den ersten Zeilen dieser Rede: "In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche und lassen alles andere beiseite." Helmut Schmidt tat das sehr erfolgreich.

Das war der Ton eines Mannes, der "Schmidt-Schnauze" geheißen hatte und nun ein durchsetzungsstarker Kanzler wurde, ein Pragmatikus Maximus: Er bewältigte die Ölkrise, bekämpfte den RAF-Terrorismus, bereitete die Einführung des Euro vor. Schmidt wurde nicht geliebt, schon gar nicht in seiner Partei; er wurde respektiert. Die Bewunderung seiner Partei und des ganzen Landes kam viel später; sie stieg dafür aber ins fast Unermessliche. Aus dem Emeritus wurde ein Staatsmann, dann ein Weltpolitiker und Globalökonom, dann ein Weltweiser. Schmidt wurde verehrt und verklärt. Die Glanzpunkte seiner Regierungszeit gerieten im Lauf der Jahrzehnte immer glänzender, die Schwachpunkte verblassten.

Zu Kanzlerzeiten wurde er nicht geliebt. Das kam erst viel später

Er war Kanzler im Deutschen Herbst 1977, der eigentlich schon im Frühjahr mit der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback begonnen hatte. Er hat den Krisenstab mit energischer Exzellenz geleitet. Er propagierte die harte Linie: kein Nachgeben, kein Austausch von RAF-Gefangenen gegen den entführten Hanns Martin Schleyer. Das Bundesverfassungsgericht gab ihm recht; und trotzdem bekannte Helmut Schmidt auch in seinen späten Jahren, er fühle sich noch immer verstrickt in Schuld.

Die von Schmidt geführte SPD/FDP-Koalition hatte eine noch knappere Mehrheit als später die rot-grüne Koalition von Gerhard Schröder. Trotzdem bekam Schmidt die schwierigsten Steuergesetze durch die Parlamente. Das war Regierungskunst. Kanzler Schmidt verstand viel von Ökonomie, er hielt wenig von Ökologie. So beförderte er das Aufkommen der Grünen. Und er entfremdete sich mit seiner Nachrüstungspolitik seiner eigenen Partei, so wie das Schröder später mit der Agenda 2010 tat. Nach der Abwahl des Kanzlers Schmidt kamen die Grünen erstmals in den Bundestag, nach dem Ende des Kanzlers Schröder zog die neue Linkspartei in den Bundestag ein. Die Spaltung der Partei oder der Verlust eines ursprünglich sozialdemokratischen Milieus ist offenbar der Preis, den die SPD für das Regieren zu bezahlen hat.

Vor 33 Jahren ist Schmidt als Kanzler gestürzt worden; damals zerbrach seine Koalition, weil die FDP unter Hans-Dietrich Genscher aus der Koalition ausbrach und zusammen mit der CDU/CSU dem Regierungschef Schmidt das Misstrauen aussprach. Mit diesem Misstrauensvotum aber begann die drei Jahrzehnte währende Vertrauenskarriere von Helmut Schmidt. Als Publizist wuchs er in die Rolle eines Staatsheiligen hinein - und er schrieb an dieser Rolle selbst mit. Nur Richard von Weizsäcker ist so etwas noch in vergleichbarer Weise gelungen.

Zuletzt war Schmidt so etwas wie ein Barbarossa der Neuzeit: Er schlief und träumte aber nicht, wie der Kaiser der Sage, im Kyffhäuser vor sich hin, auf die Wiederkehr seiner Zeit wartend. Er blieb mit kluger Präsenz in seiner Zeit. Die Jahrzehnte seiner Post-Kanzlerschaft waren Jahrzehnte seiner geistigen Dauerkanzlerschaft; er begleitete seine Nachfolger Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel - nicht mit kleinkrämerischen Bemerkungen, sondern mit dem Gestus des Globalpolitikers. Er, der so anders war als Willy Brandt, wurde nun zu einem Mann der großen Linien und Perspektiven; wie einst sein Vorgänger.

Die Aura, die Schmidt gewann, hatte etwas Raunendes, dem sich auch abgeklärte Politiker wie Wolfgang Schäuble nicht entziehen konnten. In der von ihm mitgegründeten Deutschen Nationalstiftung verstummte das Sitzungsgeplapper, wenn Schmidt das Wort ergriff. Er sagte höchst Hörenswertes, gespeist von viel Erfahrung; aber er hätte auch sagen können, dass ein Butterbrot immer auf die gebutterte Seite fällt - die Zuhörer hätten das als grandiose Erkenntnis verstanden.

Rückblickend versteht man kaum, warum ausgerechnet in der Regierungszeit Schmidts die CDU/CSU ideologisch aufrüstete. Ausgerechnet er, der alles andere war als ein Sozialist, wurde im Wahlkampf mit der Formel "Freiheit statt Sozialismus" traktiert. Es war eine andere Zeit, es war eine Zeit der Polarisierung, Man wünscht sie sich nicht unbedingt zurück. Zurück wünscht man sich die große Zeit der Rekordzahlen bei der Wahlbeteiligung. Dazu braucht es Politiker von der Klasse wie Helmut Schmidt.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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