Er kommt als Zeuge, aber es wirkt ein bisschen so, als sitze Andreas T. auf der Seite der Angeklagten. Immer wieder bohrt Richter Manfred Götzl im NSU-Prozess nach, immer wieder versucht Andreas T, sein Verhalten zu erklären und sich zu rechtfertigen.
Als im April 2006 in einem Internetcafé in Kassel ein Mord geschah, der mittlerweile dem NSU zugerechnet wird, war Andreas T. dort Kunde. Sein Beruf damals: Verfassungsschützer. Zur Tatzeit trieb er sich unter dem Pseudonym "wildman70" in einem Flirtforum herum, während seine schwangere Frau zu Hause saß. Die Polizei musste nach dem Mord mühsam ermitteln, dass er in dem Laden war, als Zeuge hat sich Andreas T. damals nicht selbst gemeldet.
"Das war ein Fehler, das ist mir klar", sagt Andreas T. kleinlaut vor Gericht. Auf sein Verhalten sei er auch keineswegs stolz. Damals habe er Angst gehabt, dass sein Flirten im Internet, das ebenfalls falsch gewesen sei, bekannt werde; war ja jung verheiratet. Außerdem hätte er sich nicht in dem Laden aufhalten sollen, weil es in der Nähe eine Moschee gibt, die damals vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.
Richter Götzl lässt ihn aber nicht so leicht davonkommen. Ihn wundert, dass Andreas T. behauptet, er habe zunächst gedacht, nicht am Tag des Mordes in dem Internetcafé gewesen zu sein, sondern einen Tag zuvor. Andreas T. will am Wochenende von dem Mord in einer Zeitung gelesen haben; die Tat wurde am Donnerstag verübt, also nur wenige Tage davor. Andreas T. will geglaubt haben, er sei schon am Mittwoch in dem Laden gewesen. Wie kann man so etwas verwechseln? "Wie kann es zu dieser Fehleinordnung kommen?", fragt Götzl.
Der Beamte, der vom Verfassungsschutz in eine andere Behörde versetzt wurde, kommt ins Schwimmen. Er sagt, er mache sich darüber seit 2006 immer wieder Gedanken. "Ich habe bis heute leider keine Antwort gefunden, ich hab' es immer wieder versucht, ich verstehe mich selber da nicht."
Man merkt, dass er damals wohl alles weit weg schieben wollte von sich - bis dann die Kripo vor der Tür stand. Sie hatte die Computer in dem Internetcafé ausgewertet und war so auf Andreas T. gekommen. Zeitweise dachte die Polizei, er könnte der Mörder gewesen sein. Er musste sich immer wieder verhören lassen; auch seiner Frau hatte er einiges zu beichten. Später wurde das Verfahren eingestellt, der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Inzwischen sind die Ermittler davon überzeugt, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Täter waren. Wie bei ihren anderen Morden benutzten sie in Kassel eine Pistole des Typs Ceska 83.
Doch bis heute schwelt, nicht nur in der Familie des Opfers Halit Yozgat, der Verdacht, Andreas T. könnte doch irgend etwas zu tun haben mit dem Mord oder zumindest mehr darüber wissen, als er preisgibt. Die Bundesanwaltschaft sieht dafür keine Anhaltspunkte.
Wie kann es sein, so fragt der Vater des Opfers im Gericht, dass der Beamte überhaupt nichts vom Mord mitbekommen hat? In dem verwinkelten Internetcafé hielten sich zur Tatzeit noch andere Personen auf. Auch sie haben die Täter nicht gesehen, aber einen Knall oder ein dumpfes Geräusch haben sie zumindest gehört. Andreas T. beteuert, er habe nichts bemerkt. Ihm sei überhaupt nichts Seltsames aufgefallen, deshalb habe er sich später auch eingeredet, dass er gar nicht am Tattag in dem Café war. Allerdings konnte Andreas T. beim Verlassen des Cafés den Betreiber Halit Yozgat nicht finden. Er habe ihn vergeblich gesucht, ihm 50 Cent fürs Surfen im Internet auf den Tresen gelegt, dann sei er gegangen.
War Halit Yozgat zu dem Zeitpunkt schon tot? Dann hätte er hinter dem Tresen gelegen, und eigentlich hätte man ihn dort liegen sehen können. Der Erkennungdienst fand später auch kleine Spuren von Blut auf dem Tresen, größere Spuren dahinter an einem Rollcontainer und auf Papieren, die auf dem Boden lagen. Es ist möglich, aber unwahrscheinlich, dass man diese Spuren übersehen kann. Die Polizei hat die Zeitabläufe rekonstruiert, demnach wäre es auch denkbar, dass Andreas T. wenige Sekunden vor den Mördern bereits den Laden verlassen hat. Das Zeitfenster dafür ist allerdings sehr klein und liegt nicht viel größer als etwa 40 Sekunden.
Weil die Polizei bei dem Beamten auch Waffen fand und eine Abschrift von Hitlers "Mein Kampf", wirkte Andreas T. damals erst recht verdächtig. Doch die Waffen besaß er rechtmäßig, und die Abschriften stammten aus seiner Schulzeit, gefunden in der alten Wohnung bei seinen Eltern. Andreas T. hat immer wieder beteuert, er sei kein Rechtsextremist.
Beim Verfassungsschutz war Andreas T. zuständig für mehrere "menschliche Quellen", wie Informanten, sogenannte V-Leute, in der Sprache des Geheimdiensts auch heißen. Der Beamte führte fünf Quellen im Bereich Islamismus und eine im Bereich Rechtsextremismus. Mit dem V-Mann aus der Neonazi-Szene hat Andreas T. auch am Tag des Mordes telefoniert, es soll dabei aber nur um finanzielle Dinge gegangen sein.
Andreas T. war regelmäßig im Internetcafé, er sagt, mit den Betreibern, der Familie Yozgat, sei er gut ausgekommen. Am Ende seiner Zeugenaussage drückt er der Familie sein Mitgefühl aus. Andreas T. wird an einem anderen Tag noch einmal geladen werden, die Befragung ist noch lange nicht beendet.