NSU-Prozess:"Warum haben sie mein Lämmchen getötet?"

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Ismail Yozgat, Vater des Kasseler NSU-Opfers Halit Yozgat, sitzt am 1. Oktober 2013 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Unter Tränen berichtet der Vater des Kasseler Mordopfers Halit Yozgat im NSU-Prozess, wie er seinen blutüberströmten Sohn im Internetcafé entdeckte - und wie sich die Familie danach jahrelang gegen falsche Verdächtigungen wehren musste.

Von Tanjev Schultz

Plötzlich springt Ismail Yozgat, der Vater, dessen Schmerz einfach nicht vergehen will, von seinem Zeugenstuhl auf. Er dreht sich herum, ruft in den Gerichtssaal, durchlebt erneut den Moment, an dem er seinen Sohn in seinen Armen hielt, sterbend. "Er hat nicht geantwortet!", brüllt Ismail Yozgat. "Er hat nicht geantwortet!"

Es ist der bisher vielleicht aufwühlendste Moment im NSU-Prozess. Ismail Yozgat berichtet, wie er seinen Sohn Halit am 6. April 2006 blutüberströmt hinter dem Tresen eines Kasseler Internetcafés fand, das der Familie Yozgat gehörte.

Jetzt sitzt der 58-Jährige im Gericht, neben ihm ein Dolmetscher, hinter sich seine Frau, die ihm manchmal den Rücken streicht und stützt. Der Richter muss den leidenden Mann immer wieder beruhigen. Aber wie soll er sich beruhigen? "Warum haben sie mein Lämmchen getötet?", fragt Ismail Yozgat. Niemand im Saal antwortet ihm.

Er erzählt nun in allen Einzelheiten vom Tag des Mordes an seinem Sohn Halit. Am nächsten Tag hatte Ismail Yozgat Geburtstag, deshalb schickte Halit seine Eltern in die Stadt, damit die Mutter für den Vater ein Geschenk kaufen konnte, eine Werkzeugkiste. Der Sohn passte solange im Internetcafé auf. Um 17 Uhr wollte der Vater kommen und ihn ablösen, damit Halit zur Abendrealschule gehen konnte. Doch Ismail Yozgat hat sich leicht verspätet, und als er im Laden eintrifft, liegt sein Sohn bereits in einer Lache aus Blut. "Am nächsten Tag habe ich mir meinen Geburtstag verboten. Bis zu meinem Tode wird mein Geburtstag nicht mehr gefeiert."

"Wir sind eine aufrichtige Familie"

Dann schildert der Vater, wie sich die Familie jahrelang gegen falsche Verdächtigungen wehren musste: dass die Leute raunten, der Sohn könnte in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sein. Haschisch? Heroin? Oder die Türkenmafia? "Wir sind eine aufrichtige Familie", sagt Ismail Yozgat. Er habe sich kaum noch nach draußen getraut.

Vor Gericht zeichnet er mit zitternder Hand eine Skizze vom Tatort. Er legt sich sogar auf den Boden des Gerichtssaals, auf seinen Bauch: So habe sein Sohn gelegen. Der Vater liegt direkt vor dem Tisch, an dem Beate Zschäpe sitzt. Sie wirkt etwas erschrocken.

Am Ende seiner Befragung wünscht sich Ismail Yozgat, was er schon mehrmals vergeblich von der Politik erbeten hat: Die Straße, in der sich das Internetcafé befand und in der die Familie lebte, solle umbenannt werden von Holländischer Straße in Halit-Yozgat-Straße.

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