Zehn Jahre Parteivorsitz:Viel Merkel, wenig CDU

Lesezeit: 3 min

Das Bild von gefühligen Frauen und knallharten Männern stellt Angela Merkel seit zehn Jahren auf den Kopf. Sie wartet geduldig, bis ihre Gegner sich selbst demontieren. Das ist gut für ihren Machterhalt - aber nicht für die CDU.

Stefan Braun

Die Männer schenkten ihr Box-Handschuhe - und wussten nicht, was sie taten. Sie glaubten an ein Provisorium, setzten auf ein neues Gesicht und wollten die Zeit der Spendenaffäre lieber aus der Ferne erleben. Sollte doch die Frau die Trümmer des Skandals wegräumen. Nach ein, zwei Jährchen spätestens würden sie die Macht unter sich aufteilen.

Sehr viele Herren in der CDU haben so gefühlt und gedacht, als sie Angela Merkel vor zehn Jahren zur Vorsitzenden der CDU wählten. Merkel erhielt an diesem 10. April 2000 rund 95 Prozent der Stimmen, und sie bekam demonstrativ Beifall.

An den Seitenwänden der schmucklosen Halle in Essen aber standen zahlreiche Christdemokraten, die überzeugt waren, dass die Frau mit dem Topfhaarschnitt ein Phänomen des Übergangs bleiben würde. Dass Merkel zehn Jahre später noch immer an der Spitze der CDU steht, ist für die Kanzlerin deshalb zuallererst ein grandioser Sieg über die Altherrenriege in den eigenen Reihen.

Kein Wunder, dass ihr in der Partei alsbald das Etikett "Schwarze Witwe" angehängt wurde. Dieses Bild, auf vielen männerdominierten Fluren in Fraktion und Partei beschrieben, war so verletzend wie falsch - auch wenn es bis heute durch die Hauptstadt geistert.

Männer mit schwachen Nerven

Denn die Herren, die sich im Kampf gegen sie nicht durchsetzen konnten, haben sich selbst ihrer Macht beraubt oder aus dem Rennen genommen. Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble haben sich durch eigene Fehler desavouiert, Friedrich Merz und andere Merkel-Konkurrenten wie Roland Koch und Christian Wulff sind eher an den eigenen Nerven als an Angela Merkel gescheitert.

Die Frau, die vor zwanzig Jahren als stellvertretende Regierungssprecherin der ersten und letzten frei gewählten DDR-Regierung in die Politik startete, hat das Klischee von den knallharten Männern und den gefühligen Frauen auf den Kopf gestellt. Sie sichert sich ihre Macht nicht durch die vermeintlich weibliche Emotion, sondern durch einen sehr nüchternen Blick auf die je aktuellen Möglichkeiten.

Merkel ist ziemlich genau so, wie mächtige Männer gerne sein würden. Sie ist seit zehn Jahren ein Lernprogramm nicht nur für Frauen, die ihr nacheifern möchten. Am meisten Schule ist sie für ihre politischen Konkurrenten.

Doch was ihr im Persönlichen hilft, hat ihrer Partei geschadet. In zehn Jahren hat die Naturwissenschaftlerin der CDU viel Blut entzogen. Unter Helmut Kohl war die Partei lange Zeit Kampfverband und familiäres Zuhause. Unter Merkel ist sie ein Lernverein ohne enge und gefühlte Bindung.

In den ersten Jahren versuchte die neue Vorsitzende noch, ihre Partei im offenen Wettstreit neu auszurichten, so bei den Themen Familie, Bildung und Integration. Die Partei blieb davon zunächst jedoch unbeeindruckt, also entschied sich Merkel, diese Mühen zu beenden.

Heute gibt sie als Kanzlerin hie und da kleine Anstöße, meidet als CDU-Vorsitzende aber große Debatten - und hofft auf einzelne Minister, die wie Ursula von der Leyen eine Anpassung der CDU an den gesellschaftlichen Mainstream auf eigenes Risiko durchkämpfen. Klappt es, dann ist es gut. Klappt es nicht, bleibt die Kanzlerin unverwundet.

Derzeit können Umweltminister Norbert Röttgen und Innenminister Thomas de Maizière ein Lied davon singen. Ob Atompolitik, ob Guantanamo-Häftlinge - beide tun, was die Kanzlerin auch möchte. Aber weil die Partei sich querstellt, stehen sie im Regen, während Merkel davon unberührt bleibt. Das mag klug sein. Aber es trägt auch eine Portion Feigheit in sich.

Auf der nächsten Seite: Dem Macherhalt ordnet Merkel alles unter - auch ihre Partei. So nimmt sie der CDU die Orientierung.

Sicher, man kann eine Partei so führen; aber das hat Folgen. Die CDU ächzt seither bei jeder Veränderung, weil diese Veränderung nicht durch eine leidenschaftliche Debatte und eine klare Entscheidung endgültig verinnerlicht worden ist. So gewinnt die CDU nicht an neuem Zusammenhalt und verliert zugleich ihre alte Grundierung.

Merkel versteht ihre Partei nicht als Mannschaft, sie will sie nicht für ein bestimmtes Thema, ein konkretes Ziel hinter sich scharen. Sie will einfach regieren - und nimmt ihr so ganz langsam die Orientierung. Als Kanzlerin ist sie sichtbar, als CDU-Vorsitzende verschwindet sie im Nebel.

Dieser Zustand erklärt am besten, warum sich der Blick auf Angela Merkel seit 2000 verkehrt hat. Die Öffentlichkeit sah auf die CDU-Vorsitzende lange Zeit mit skeptischen Augen, zweifelte an ihrer Fähigkeit, zu regieren. In der Partei hingegen war sie Rettungsanker in schwierigsten Zeiten.

Heute ist es genau umgekehrt. In der CDU schauen nicht wenige ängstlich bis ärgerlich auf eine Kanzlerin, die tut, was sie für richtig hält, nicht, was die alten CDU-Ideale gerade hergeben. In der Bevölkerung dagegen genießt Merkel eine Zustimmung, wie sie Helmut Kohl nie erreicht hat.

Es ist einfach so: In dieser Kanzlerin steckt viel Merkel und wenig CDU. In Zeiten, in denen sich klassische Milieus auflösen, ist das Chance und Fluch zugleich. Chance, weil eine Volkspartei nur überleben kann, wenn ihre Vorsitzende auch in anderen Milieus punktet. Und Fluch, weil die Wähler, die Merkel schätzen, mit ihr immer weniger die CDU verbinden. Das muss beim nächsten Mal nicht zwingend zum Machtverlust führen. Aber es trägt den Keim dazu in sich.

© SZ vom 8.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: