In den Auszügen aus dem Gutachten der Sachverständigen in Sachen Wirtschaftspolitik, auch die fünf "Wirtschaftsweisen" genannt, die die Süddeutsche Zeitung am Montag veröffentlicht hat, finden sich für Regierungs- und Oppositionsparteien gleichermaßen große Kröten zu schlucken. Höherer Spitzensteuersatz, längere Atomkraftwerklaufzeiten, mehr Geld für Brüssel - da ist wirklich für jeden was dabei.
Julia Klöckner, die während Angela Merkels letzter Legislaturperiode von 2018 bis 2021 als Bundeslandwirtschaftsministerin diente und inzwischen als wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag fungiert, kann dem Gutachten vor allem eine gute Sache abgewinnen: längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. "Wir als Union fordern schon länger, dass ideologiefrei alle Energieformen genutzt werden müssen, um die Krise zu überstehen.", so Klöckner.
"Ganz unsere Rede ist auch, dass die Krisenmaßnahmen schon deutlich früher hätten auf den Weg gebracht werden müssen. Noch immer wartet gerade der Mittelstand auf wirksame Hilfen, insbesondere auf die Zuschüsse und die Gas- und Strompreisbremse", fährt sie fort, auf weitere Anmerkungen des Sachverständigenrats eingehend.
Keine Steuererhöhungen!
Anders sieht es bei den Vorschlägen aus, den Spitzensteuersatz temporär anzuheben und die Bekämpfung der kalten Progression zu verschieben. "Sollte das zutreffen, sagen wir als Union entschieden nein. Mehrbelastungen für Bürger und Unternehmen sind in der Krisenzeit genau der falsche Weg. Die Struktur und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stehen auf dem Spiel", so Klöckner. "Helfen und entlasten ist das Gebot der Stunde, nicht neue Steuern und Mehrbelastungen!"
Ähnliche Töne kommen von der Regierungspartei FDP, deren wirtschaftspolitischer Sprecher Reinhard Houben nicht nur Haushalte mit geringerem Einkommen entlastet sehen will. "Die Abschaffung der Kalten Progression ist eine wirksame Entlastung für die Mitte der Gesellschaft. Angesichts der hohen Belastungen durch die Energie- und Gaspreise ist eine solche Entlastung gerade jetzt geboten", so Houben.
Bundesjustizminister Marco Buschmann, ebenfalls FDP, wird auf Twitter noch etwas deutlicher. "Die Forderung nach höheren Steuern ist bloß Simulation von Politik. Denn das wird es nicht geben", schreibt Buschmann. "Der Koalitionsvertrag schließt es aus und die Begründung dafür ist heute noch dringender denn je: Die Menschen haben gerade schon genug Steuerlast auf den Schultern."
Nagel auf den Kopf getroffen
Anders lauten die Stimmen aus der SPD, wo es bei der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesbauministerium, Cansel Kiziltepe, heißt, das Gutachten treffe den "Nagel auf den Kopf", da ein höherer Spitzensteuersatz und ein "Investitionsjahrzehnt in der EU" jetzt genau das Richtige seien.
Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Schrodi, bläst ins selbe Horn und lobt das Gutachten wegen der wichtigen "Empfehlungen für solidarische und wirtschaftlich richtige Krisenpolitik: temporär höherer Spitzensteuersatz, Energie-Soli für Besserverdienende, soziale Balance der Maßnahmen."
Ganz aus dem Häuschen scheint am Dienstagmorgen auch Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des paritätischen Gesamtverbands. "Bang! Sogar die Wirtschaftsweisen fordern mittlerweile höhere Steuern für Spitzenverdiener und mehr Hilfen für die Armen. Nennt sich Umverteilung", schreibt er auf Twitter, gefolgt von dem Hashtag #TaxTheRich ("besteuert die Reichen").
Bayern und die Windkraft
Weniger euphorisch klingen die Reaktionen aus Bayern. Dort darf sich die Politik besonders angesprochen fühlen vom Gutachten der Wirtschaftsweisen. Es heißt darin ja, der Bund solle darauf hinwirken, dass die bayerische Abstandsregel für Windräder fällt. Florian Herrmann (CSU) kann das nicht nachvollziehen. Dass 10H die Windkraft in Bayern bremse, nennt der Staatskanzleichef von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine "Behauptung". Er verweist auf Baden-Württemberg. Dort gibt es keine 10-H-Regel, trotzdem entstehen kaum neue Windräder.
Die Wirtschaftsweisen hätten "nicht ganz durchschaut, wie das wirklich läuft" mit der Windenergie im Freistaat, sagt Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) am Dienstag auf Nachfrage. Er betont die inzwischen beschlossene Lockerung der 10-H-Regel. Demnach gilt für Windräder künftig ein einheitlicher Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohngebäuden. Darüber hinaus gibt es Ausnahmebereiche, in denen der Bau erleichtert wird. Zum Beispiel an Autobahnen, in Wäldern, Gewerbegebieten oder Gegenden, in denen bereits Windräder stehen. Dadurch komme "große Bewegung" in den Ausbau, sagt Bernreiter. Er verspricht, dass Bayern sämtliche Windkraftziele erfüllen werde.
Für Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geht die Forderung nach dem Ende der Abstandsregel ebenfalls ins Leere. "Eine völlige Abschaffung von 10H würde gar nicht so viele neue Windräder ermöglichen, da die aktuellen Ausschlussgebiete zur Windkraft trotzdem weitergelten", etwa Naturschutzgebiete, sagt der bayerische Energieminister am Dienstag der SZ.
Was die Kernkraft angeht, fühlt er sich dagegen bestätigt durch das Gutachten der Wirtschaftsweisen. Die bayerische Staatsregierung fordert ja schon länger, die drei noch laufenden Kraftwerke mindestens bis Ende 2024 am Netz zu halten, darunter Isar 2 in Niederbayern. Statt die Meiler über das Frühjahr hinaus laufen zu lassen, betreibe die Bundesregierung "Realitätsverweigerung" und nehme höhere Strompreise und Engpässe in Kauf, sagt Aiwanger.