Parlamentarischer Untersuchungsausschuss:"Wirecard schadet Scholz"

Lesezeit: 3 min

Bundesfinanzminister Scholz ist einer derjenigen, die im Zentrum der Aufklärung des Wirecard-Skandals stehen. (Foto: Getty Images)

Die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Katja Hessel, erklärt, wie ein Untersuchungsausschuss Licht ins Dunkel des Wirecard-Skandals bringen kann und was Finanzminister Scholz fürchten muss.

Interview von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Skandal ist riesig: mehr als drei Milliarden Euro haben Anleger verloren, fast zwei Milliarden Luftbuchungen, jahrelang bandenmäßiger Betrug. Es geht um den mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard. Der Bundestag wird an diesem Donnerstag im Plenum den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen. Bis zur Sommerpause 2021 soll in diesem Ausschuss geklärt werden, wie es dazu kommen konnte, dass ein Dax-Konzern so ungeniert betrügen konnte.

Am Mittwoch hatte die große Koalition noch einmal Druck gemacht, den Ausschuss klein zu halten - und sich damit gegen die Opposition durchgesetzt: Nur neun Parlamentarier haben neun Monate Zeit, Licht ins Dunkel zu bringen. Was kann dieser Ausschuss leisten - ein Interview mit Katja Hessel (FDP), der Vorsitzenden des Finanzausschusses im Bundestag.

SZ PlusWirecard
:Liebesgrüße aus Bad Vöslau

Am Abend des 18. Juni wähnten manche Jan Marsalek bereits auf dem Weg nach Moskau. Dabei saß der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand noch mit einem österreichischen Ex-Agenten in München beim Italiener. Wurde dort die Flucht geplant?

Von Cathrin Kahlweit, Frederik Obermaier, Jörg Schmitt und Jan Willmroth

Frau Hessel, der Finanzausschuss hat sich schon über den Sommer hinweg bemüht aufzuklären, wer politisch verantwortlich ist, dass Wirecard jahrelang betrügen konnte. Ohne klares Ergebnis. Nun versucht es ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Was kann der aufdecken, was der Finanzausschuss nicht konnte?

Katja Hessel: Ja, wir haben 20 Stunden lang im Finanzausschuss mit vielen Verantwortlichen und Beteiligten gesprochen und trotzdem sind ganz viele Fragen unbeantwortet geblieben. Der Untersuchungsausschuss kann tiefer recherchieren, mehr Fragen stellen.

Welche Mittel hat der Ausschuss?

Der Finanzausschuss konnte nur Gäste einladen. Wenn sie nicht kommen wollen, schauen wir in die Röhre. Der Untersuchungsausschuss kann Zeugen vorladen. Wir dürfen entlang der Strafprozessordnung Zeugen einbestellen und Ordnungsgelder verhängen, wenn ein Zeuge nicht kommt.

Werden EY-Prüfer vorgeladen, die Bundeskanzlerin, die Bayerischen Behörden, wie weit können Sie gehen?

Ein Untersuchungsausschuss kann umfassend vorladen. Wir werden jetzt Unterlagen wälzen und eine Zeugenliste erstellen, die wird dann eingeladen. Auch eine Frau Bundeskanzlerin müsste, wenn sie auf der Liste steht, vor dem Untersuchungsausschuss aussagen.

Können Sie verhindern, dass nur Papierberge produziert werden?

Wir müssen ja relativ viel abarbeiten, weil wir bis zum Ende der Legislaturperiode fertig sein müssen. Insofern wird es keine Papierberge geben. Ich habe auch den Eindruck, dass viele ein Interesse an der Aufklärung haben. Nicht nur, um im Wahljahr 2021 unliebsame Konkurrenten schlecht aussehen zu lassen. Sondern, um dafür zu sorgen, dass so ein Betrug nicht wieder vorkommt

Aber geht es nicht auch darum, wer was wann gewusst und trotzdem nicht gehandelt hat?

Natürlich müssen wir die politische Verantwortung klären. Man wusste seit Februar 2019, dass es Bilanzbetrug gab und es hat bis Juni 2020 gedauert, bis man richtig hingeschaut hat. Was muss an der Wirtschaftsprüferordnung geändert werden, dass das nicht wieder passiert? Was an der Finanzaufsicht Bafin? Muss der Gesetzgeber an anderen Stellen nachschärfen, damit es nicht mehr so läuft wie jetzt, da die Bafin sagt, sie hätte gar nicht so genau hinschauen dürfen? Und andere das ganz anders sehen. Und schauen Sie den Untersuchungsausschuss zur Maut an, wo ein Minister im Sattel sitzt, der partout nicht zurücktreten will trotz seiner Verfehlungen. Dort geht es jetzt um die politische Verantwortung, nicht um Papier.

Wirecard
:Ärger für Staatsbank KfW wegen Wirecard-Kredit

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Verantwortliche der KfW. Es geht um den Verdacht, dass ein 100-Millionen-Kredit ohne ausreichende Sicherheiten gewährt worden sein könnte.

Von Frederik Obermaier, Klaus Ott und Jörg Schmitt

Was müsste das Ergebnis sein, von dem Sie sagen, der Aufwand hat sich gelohnt.

Dass man feststellen kann, ob es eine politische Verantwortung gibt. Und dass man sieht, wo der Gesetzgeber zielgenau nachschärfen muss. Wir dürfen nicht wegen eines schwarzen Schafes ganze Branchen bestrafen. Es geht auch darum, staatliche Aufsichten neu auszurichten. Es kann ja nicht sein, dass sie sich darauf beschränkt abzuhaken, ob die Unterlagen vollständig sind - und nicht inhaltlich prüft.

Glauben Sie, dass personelle Konsequenzen gezogen werden müssen?

Ja, ich denke, der Skandal ist so groß, dass am Ende mindestens einer der Beteiligten die Verantwortung übernehmen muss.

Wer ist jetzt schon wackelig?

Mir fallen viele Kandidaten ein, die schon angeschlagen sind: Wer zum Ende wirklich politische Verantwortung übernehmen muss, wird sich im Untersuchungsausschuss klären.

Bundesfinanzminister Scholz ist einer derjenigen, die im Zentrum der Aufklärung stehen. Schadet der Ausschuss seiner Kanzlerkandidatur?

Ja, das sieht so aus. Vor allem, weil Wirecard nicht der einzige Fall ist, der im Bundesfinanzministerium hängt. Ich bin seit Februar 2020 Ausschussvorsitzende und seitdem hatte ich ihn vier Mal im Finanzausschuss mit intensiver Befragung. Meine Kollegin davor hatte den Finanzminister zwei Mal in zwei Jahren. Ob es CumEx ist, die Finanzpolizei FIU oder Wirecard, überall sind viele Punkte offen. Das schadet ihm insgesamt bei seiner Kanzlerkandidatur.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivMilliardenskandal
:Neue Razzia bei Wirecard

Staatsanwälte durchsuchen die Konzernzentrale. Jetzt geht es offenbar auch um Geldwäsche.

Von Frederik Obermaier, Klaus Ott und Jörg Schmitt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: