Wikileaks: Reaktionen:Sorgen um die deutsch-amerikanischen Beziehungen

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Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz rechnet mit verschärften Debatten im Nahen Osten. Bezogen auf Hinweise, dass zahlreiche arabische Staaten mit den USA gegen Iran paktierten, sagte Polenz im ZDF-Morgenmagazin, es habe zwar in der Vergangenheit bereits "hinter vorgehaltener Hand" solche Gespräche über einen möglichen Militärangriff gegen Iran gegeben. "Aber so ein Gerede ist etwas anderes, als wenn man dann noch offizielle Dokumente darüber liest", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages während eines Besuchs mit Bundespräsident Christian Wulff in Jerusalem. Die Dokumente könnten insofern "die Diskussion hier in der Region schon verändern".

Der CDU-Politiker warnte, die von dem Enthüllungsportal veröffentlichten Depeschen seien "möglicherweise von einer Brisanz, die sich im Augenblick nicht ganz übersehen lässt". Laut Wikileaks drängte unter anderem König Abdullah von Saudi-Arabien Washington dazu, Iran anzugreifen, um das Atomprogramm des Landes zu zerstören.

Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, fürchtet, dass die Papiere zu einem Vertrauensbruch in den deutsch-amerikanischen Beziehungen führen könnten. "Diplomatie (...) muss auf der Basis von Vertrauen funktionieren und wenn das Vertrauen gebrochen ist, was jetzt der Fall ist, dann muss man fast bei null wieder anfangen", sagte Kornblum im ZDF-Morgenmagazin. "Ein Grund, warum ein Diplomat sehr gerne in Deutschland arbeitet, ist, dass die Deutschen sehr gesprächig sind. Man kann wirklich alles erfahren, was man will. Man braucht nur ein bisschen freundlich sein." Nun müsse man damit rechnen, dass Verbündete in Zukunft zweimal überlegen würden, welche Informationen sie mit den Amerikanern teilten. "Die Ära, wo man vertraulich miteinander spricht und sagt: 'Keine Sorge, das wird nicht in die Zeitung kommen', die ist vorbei."

Der frühere deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, befürchtet einen "schweren außenpolitischen Schaden". Durch die Papiere werde das gegenseitige diplomatische Vertrauen und die Zusammenarbeit "in ganz prinzipieller Weise" beschädigt, sagte Ischinger Bild. Die Veröffentlichung sei vor allem "problematisch im Hinblick auf weniger stabile zwischenstaatliche Beziehungen". Größeren Schaden speziell für das deutsch-amerikanische Verhältnis befürchtet Ischinger hingegen nicht - auch wenn deutsche Politiker in den Dokumenten nicht nur vorteilhaft beschrieben werden. "Das deutsch-amerikanische Verhältnis hält viel aus. Es wird auch, vom angekratzten Ego des einen oder anderen Politikers abgesehen, diesen Vorgang aushalten." Die Veröffentlichung der Depeschen sei zwar nicht erfreulich, aber "ein Malheur, das die deutsch-amerikanischen Beziehungen überleben werden".

Ähnlich äußerte sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Der Vorgang belaste "das Verhältnis zu Amerika überhaupt nicht".

Als Anlass zur Kritik an der US-Regierung nahm die belgische Regierung die Dokumente. Außenminister Steven Vanackere sprach im Radio VRT von einer Verwechslung zwischen diplomatischer Arbeit und Spionage" bei den Amerikanern. "Das geht zu weit", sagte Vanackere. "Wir müssen genau prüfen, welches das Gleichgewicht zwischen den Interessen und den eingesetzten Mitteln ist", fügte er hinzu.

Ex-Botschafter Kornblum wies die Behauptung zurück. "Wenn man einen Informanten hat, bedeutet das nicht, dass das geheimdienstlich ist." Wie Journalisten zehrten auch Diplomaten von den Informationen der Politiker. Anders als bei Geheimdiensten werde in der Diplomatie unter klaren Bedingungen gesprochen. Der Gefragte wisse immer, dass Diplomaten Daten an ihr Heimatland weitergeben. "Ein Spiondienst macht das etwas verdeckter."

Die Hinweise, die Amerikaner hätten einen Informanten aus der FDP gehabt, der sie über die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen informiert habe, hat Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zurückgewiesen. "Ich halte den Vorwurf für geradezu lächerlich. Ich bestreite, dass es einen Informanten gibt", sagte Niebel am Sonntagabend in der ARD-Talkshow Anne Will.

Auch Niebel sieht das gute deutsch-amerikanische Verhältnis durch die Veröffentlichungen nicht in Gefahr: "Es wird mit Sicherheit dazu führen, dass man sehr viel genauer überlegt, bei wem man wie offen spricht. Bedeutend ist, dass es das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht belasten wird."

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