Westjordanland:Der gute Geist des Ramadan

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Warum ein Christ an Muslime Essen und Wasser verteilt.

Von Dunja Ramadan

Wer gerade im Nahen Osten unterwegs ist, der darf sich nicht wundern, was nach Sonnenuntergang so durchs offene Autofenster fliegt. Da, auf einmal landet eine volle Wasserflasche auf dem Schoß. Und bei der nächsten Straßenkreuzung kommen ein paar Datteln dazu. Dahinter stecken Menschen wie Khalil Kawa, sie verteilen während des islamischen Fastenmonats Ramadan in der arabischen Welt Essenspakete an Vorbeifahrende, die es zum Fastenbrechen nicht mehr pünktlich nach Hause schaffen. Sie wünschen ihnen einen gesegneten Monat und schlängeln sich dann weiter durch die Straßen von Kairo, Beirut oder Nablus.

Seit sieben Jahren reicht der Palästinenser Khalil Kawa Essenspakete durchs Autofenster, pünktlich zum Sonnenuntergang. Das hat den 38-jährigen Fotografen und Cafébesitzer aus Nablus mittlerweile zu einer kleinen Berühmtheit werden lassen, arabische TV-Sender und Zeitungen berichten über ihn, nennen ihn die "Verkörperung der religiösen Toleranz", junge Leute bleiben stehen, um mit ihm ein Selfie zu schießen.

Denn Khalil Kawa ist gläubiger Christ - und immer mit dabei, wenn seine muslimischen Brüder, wie er sie nennt, im Ramadan losziehen. "Wir sind im Land des Friedens, und von hier aus beginnt die Botschaft des Friedens und der Nächstenliebe", sagt Kawa am Telefon.

Mit dem internationalen Interesse habe er nicht gerechnet, sagt Kawa. Er freue sich natürlich, dass seine Botschaft ankomme, denn aus den palästinensischen Gebieten kenne man ja auch ganz andere Bilder. "Aber ganz ehrlich: Ihr Journalisten macht mich verrückt, jetzt behandeln mich in Nablus alle wie einen Außerirdischen", sagt er und lacht. Dabei helfe er seit Jahren dabei, die 150 000-Einwohner-Stadt im Norden des palästinensischen Westjordanlandes in Ramadanstimmung zu versetzen. Er schmückt die Altstadt mit Girlanden und Laternen, verteilt zum Zuckerfest Süßigkeiten an die Kinder und fotografiert alles, um auch mal andere Bilder aus dem Westjordanland zu zeigen.

Ramadan sei auch für ihn und seine Familie eine besondere Zeit, sagt der Christ. "Man kommt abends öfter zusammen, unser Haus ist mit Laternen geschmückt, und wir verputzen die vielen Süßspeisen, die es zu dieser Zeit immer gibt." Anfangs finanzierte seine Gruppe, die aus Dutzenden Ehrenamtlichen besteht, die Aktion aus eigener Tasche, berichtet Kawa. Doch mittlerweile fänden sich so viele Spender, dass es an einigen Tagen zu der regulären Wasserflasche und den Datteln noch Buttermilch und Gebäck gibt. Ähnlich wie in der Vorweihnachtszeit ist die Spendebereitschaft im Ramadan besonders hoch. Reiche Familien und Stiftungen spendieren Bedürftigen jeden Abend eine warme Mahlzeit. In vielen islamischen Ländern werden zu dieser Zeit riesige Zelte und meterlange Tafeln aufgebaut.

Nachdem Khalil Kawa alle Autofahrer versorgt hat, fährt er seine Freunde nach Hause. Oft wird er dann gleich miteingeladen. "Aber manchmal faste ich auch länger als die Muslime", sagt er und lacht. "Ich komme ja tagsüber fast gar nicht zum Essen." Aber dafür könne er in der Weihnachtszeit auf seine muslimischen Freunde zählen. Gemeinsam schmücken sie die Bäume der Stadt mit Lametta und Glitzersternen.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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