Wen Jiabao besucht Deutschland:Wink mit der Katzenpfote

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"Freie Fahrt für die Wirtschaft, wer braucht da noch Menschenrechte?" Dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao verrutscht im richtigen Moment der Kopfhörer. Kanzlerin Merkel schickt ihren Regierungssprecher los. Und ein NDR-Reporter rettet die Ehre der deutschen Medien - mit einer chinesischen Winkekatze. Protokoll eines denkwürdigen Abschlusses der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen.

Thorsten Denkler, Berlin

Absicht war es wohl nicht, dass dem chinesischen Ministerpräsidenten ausgerechnet jetzt beinahe der Kopfhörer vom Ohr fällt: Bundeskanzlerin Angela Merkel hebt gerade an, vor der Presse im Kanzleramt ein paar wenige Worte über Menschenrechte zu verlieren. Sie kündigt an, dass es etwa in Bezug auf rechtsstaatliche Verfahren noch intensiver Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China bedürfe. In dem Moment beginnt Wen Jiabao an dem Mono-Kopfhörer an seinem linken Ohr zu nesteln, der einfach nicht halten will.

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Merkel ist zugutezuhalten, dass sie geduldig wartet, bevor sie fortfährt. Ihr scheint wichtig zu sein, dass Wen mitbekommt, was sie noch zu sagen hat. Der aber bekommt den Hörer nicht an seinem Ohr befestigt. Merkel wirkt dann doch etwas gereizt. "Bringt dem doch mal 'nen anderen", raunt sie Regierungssprecher Steffen Seibert zu. Was hoffentlich nicht wörtlich ins Chinesische übersetzt wurde. Das hätte zu irreparablen Irritationen führen können.

Seibert bringt Wen einen neuen Kopfhörer, diesmal in Stereo; den Bügel lässt Wen unter dem Kinn hängen. Merkel kann fortfahren. Sie begrüßt, dass der Künstler Ai Weiwei und der Bürgerrechtler Hu Jia freigelassen worden sind. Sie hoffe nun für Ai Weiwei auf ein "transparentes Verfahren" und wünscht sich bessere Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten in China.

Wen hört sich das reglos an. Später wird er auf die unterschiedliche Geschichte, Kultur und politischen Systeme beider Länder verweisen. Da gebe es eben gewisse Meinungsunterschiede.

Die Szene soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Thema Menschenrechte bei diesen ersten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen kaum eine Rolle gespielt hat. Zumindest soll die Kanzlerin das Thema am Montag beim Abendessen mit Wen im Max-Liebermann-Haus am Wannsee angesprochen haben.

In erster Linie geht es bei den Konsultationen aber um knallharte wirtschaftliche Interessen. China, inzwischen zur wirtschaftlichen Supermacht aufgestiegen, hat großes Interesse an guten geschäftlichen Beziehungen zu Deutschland. Für die Exportmacht Deutschland hängen an einem guten Draht zu China wiederum viele Milliarden Euro.

Das zeigte sich auch vor der Pressekonferenz: Deutsche und chinesische Minister haben im Beisein von Wen und Merkel Vereinbarungen vor allem über bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet. Zudem wurden Kontrakte mit deutschen und europäischen Unternehmen wie Siemens, Daimler und Airbus im Gesamtwert von mehr als 15 Milliarden Euro geschlossen.

Allein der europäische Flugzeughersteller Airbus hat mit der Industrial Commercial Bank of China eine Einkaufsvereinbarung über 62 Flugzeuge aus der A320-Familie unterzeichnet. Und überdies mit der China Aviation Supllies ein im Umfang nicht näher bezeichnetes Rahmenabkommen ebenfalls über Flugzeuge der A320-Reihe abgeschlossen.

Mit den Abkommen sollen die Investitionsbedingungen für die jeweils andere Seite im eigenen Land gestärkt werden. Denn hier gibt es ein erhebliches Ungleichgewicht. Deutsche Investitionen erreichen einen satten zweistelligen Milliardenbetrag. Umgekehrt investieren Chinesen in Deutschland weniger als eine Milliarde Euro pro Jahr. Das soll mehr werden.

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Die Bundesregierung will nach eigenen Angaben mit diesen ersten Regierungskonsultationen, die sie mit einem nichtdemokratischen Land beginnt, die deutsch-chinesischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen. Wen spricht davon, die "ergebnisorientierte Zusammenarbeit" mit den "sachlichen" Deutschen "auf ein noch höheres Niveau" zu heben.

Zu Ai Weiwei sagt Wen nichts. Nur zu Merkels Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten in China hat er noch einen bemerkenswerten Satz parat: "Ich lade unsere Freunde aus den Reihen der Medien ein, öfter nach China zu kommen." Kein Freund aus den Reihen der Medien dürfte seit diesem Dienstag Tobias Schlegl sein.

Der Moderator des NDR-Satire-Magazins Extra3 springt am Ende der Pressekonferenz mit einer goldenen chinesischen Winkekatze in der Hand auf und will sie Wen als Geschenk überreichen. Am Winkearm hat die Extra3-Redaktion einen Knüppel befestigt. Wen wendet sich irritiert ab. Schlegl ruft hinterher: "Freie Fahrt für die Wirtschaft, wer braucht da noch Menschenrechte?"

Jeweils zwei Fragen wurden den deutschen und chinesischen Pressevertretern zugeteilt. Die Fragen aus dem chinesischen Pressekorps stammen erwartungsgemäß aus der Kategorie der "Wie ist das Wetter?"-Fragen. Doch die Deutschen sind kaum besser. Der eine fragt nach den Wirtschaftsbeziehungen, der andere nach Chinas Verhältnis zur Libyen-Resolution. Es konnte der Eindruck entstehen, Wen werde hofiert. Schlegl jedenfalls hat das mit seinem Auftritt etwas geradegerückt.

Von Mitgliedern der chinesischen Delegation musste er sich hinterher anraunzen lassen: "Who are you?", "Wer sind Sie eigentlich?"

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