Warschau:Zwischen den Polen

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Ehe für alle: Robert Biedroń pflegt einen Mix aus populistischer Bürgernähe und linksliberaler Haltung. (Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Die neue Partei "Frühling" präsentiert sich als Alternative zur Regierungspartei Pis und der Opposition. Ihr Vorsitzender verlangt: Das Land müsse aus dem Winterschlaf aufwachen.

Von Ekaterina Kel, München

Anfang Februar sieht Polens linksliberaler Oppositionspolitiker Robert Biedroń den Frühling nahen. Zumindest den politischen. Seiner neuen Partei hat er deshalb bei der Gründungsveranstaltung am Sonntag in Warschau den Namen Wiosna gegeben, auf Deutsch: Frühling. Polen müsse endlich aus dem Winterschlaf aufwachen und anfangen, die Gemeinschaft zu regenerieren, heißt es auf der Homepage. Während die Regierungspartei Pis und die größte Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) sich streiten, will sich Wiosna darum kümmern, neue Politik zu machen, so die Botschaft. "Der seit 13 Jahren andauernde Lagerkampf zwischen den beiden großen Parteien ist nicht meiner", sagt Biedroń, und: "Wir wollen endlich einen Staat, in den die Bürger Vertrauen haben können."

Biedroń steht damit in den Startlöchern für den anstehenden Abstimmungsmarathon: Im Mai tritt Wiosna bei den Europawahlen an, im Herbst folgen die Parlamentswahl und ein halbes Jahr darauf die Präsidentschaftswahl. Umfragen prognostizieren der neuen Partei sechs bis zehn Prozent der Stimmen, damit würde Biedroń eine entscheidende Rolle bei der Parlamentswahl einnehmen: Verlöre die Pis die absolute Mehrheit, wäre Wiosna entscheidend für eine Koalition.

Biedroń ist kein politischer Neuling. In Polen tritt er seit vielen Jahren als LGBT-Aktivist in Erscheinung. 2011 gelang ihm über die Liste der antiklerikalen Partei Twój Ruch als erstem offen homosexuellen Abgeordneten der Einzug ins Parlament. Jetzt fordert er die Ehe für alle. Zu seinen Zielen gehört auch die Liberalisierung des Abtreibungsrechts - ein Thema, das in Polen auf viel Aufmerksamkeit stößt, seit die Pis wiederholt versucht hatte, Abtreibungen zu erschweren und damit einer Frauenrechtsbewegung Aufwind verschaffte. Als Bürgermeister der Stadt Słupsk an der Nordküste fuhr Biedroń in den vergangenen Jahren einen progressiven Kurs: Er führte Sexualkundeunterricht an den Schulen ein, ließ künstliche Befruchtung aus dem Stadthaushalt bezahlen, schaffte Plastikflaschen in seiner Behörde ab.

Mit 42 Jahren gilt Biedroń als vergleichsweise junger Politiker, er wird als charismatisch und zuvorkommend beschrieben. Sogar seine radikal antiklerikalen Ansichten verpackt er im traditionell stark katholischen Polen in eine moderate Sprache, sodass er auch bei christlich geprägten, aber im Zuge der jüngsten Krise der katholischen Kirche auch kirchenkritischen Polen Punkte sammeln kann. So will er Religionsunterricht an den Schulen abschaffen.

Das vergangene halbe Jahr hat Biedroń damit verbracht, viele kleine Orte auf dem Land abzufahren und vor den Bewohnern zu sprechen. Er verspricht mehr Rente, mehr Kindergeld und höheren Mindestlohn. Gleichzeitig fordert er Polens Kohleausstieg für 2035, viele Kohlearbeiter dürfte das abschrecken. Trotzdem: Genau diese Mischung aus populistischer Bürgernähe und progressiver, linksliberaler Haltung ist es, auf die Biedroń setzt. Viele Medien nennen ihn "die neue Hoffnung".

Es ist der Versuch, die eingefahrenen politischen Kräfteverhältnisse im Land zu verschieben. Die nationalkonservative, rechtspopulistische Pis hat mit umstrittenen Justiz- und Mediengesetzen die öffentliche Meinung stark gespalten. Die PO fokussiert sich derzeit darauf, die Pis als antikonstitutionell zu kritisieren, ein Thema, das Umfragen zufolge die Menschen nicht bei ihren Sorgen abholt. Eine linke Partei gibt es in Polens Sejm zurzeit nicht. Robert Biedroń und seine Frühling-Partei könnten gerade der PO Stimmen wegnehmen - junge, modern eingestellte Menschen in den Städten, die zuletzt die PO vor allem gewählt haben, um Pis zu verhindern. Deshalb kommt die Kritik an Biedroń nicht nur aus rechten Kreisen, sondern auch von anderen linken Parteien. Mit der Forderung nach höheren Sozialbezügen zielt Biedroń aber auch auf die Stammklientel der Pis. Ob rechts oder links, über eines sind sich die meisten einig: Die Imagekampagne des Politikers leistet gerade gute Arbeit.

© SZ vom 05.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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