Es geht um ein Verbrechen von historischer Dimension, das macht Oberstaatsanwalt Dieter Killmer klar. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sei "der erste rechtsextreme Mord an einem Staatsvertreter in einem demokratischen Deutschland seit Walther Rathenau", sagt er vor dem Oberlandesgericht Frankfurt - der liberale Reichsaußenminister Rathenau starb im Juni 1922 im Kugelhagel rechtsradikaler Studenten, er war ein Märtyrer der Weimarer Republik.
Auch Walter Lübcke starb, so Killmer, für seine Überzeugungen, für eine rechtsstaatliche Asylpolitik, eine friedliche und offene Gesellschaft. Auch deshalb wiegt für ihn die Tat besonders schwer. Sie liege in der furchtbaren Tradition des "führerlosen Widerstands" alter und neuer Nazis, die Linie seiner Opfer führe von Rudi Dutschke bis zu dem antisemitisch-rassistischen Attentäter von Halle.
Lübcke-Attentat:Wir sind doch nur Freunde
Es geht im Lübcke-Prozess schon seit einiger Zeit nicht mehr nur um die Schuld des Hauptangeklagten, sondern um seinen ehemals besten Freund, der vor ihm sitzt: eiskalt und lächelnd.
Mit dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft tritt der Lübcke-Prozess an diesem Vorweihnachts-Dienstag in seine letzte Phase. Für die Vertretung der Anklage ist klar: Den tödlichen Schuss am 1. Juni 2019 auf Lübckes Terrasse hat Stefan Ernst abgegeben, heimtückisch, aus Hass auf den CDU-Politiker, aus seiner rassistischen und rechtsextremen Gesinnung heraus. Ernst habe zudem aus den gleichen Motiven heraus im Januar 2016 versucht, den irakischen Flüchtling Ahmed I. zu erstechen. Beim Mord an Walter Lübcke habe der Mitangeklagte Markus H. geholfen, indem er Ernst Waffen besorgte, mit ihm Schießen übte, ihn in seinem Hass bestärkte.
Fast sechs Stunden dauert das Plädoyer Killmers und seines Bundesanwalts-Kollegen Daniel Otto. Dann fordern sie für Ernst die härtestmögliche Strafe im deutschen Strafrecht: lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung. Markus H. soll nach dem Willen der Anklage eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten verbüßen, auch, weil er eine nur unzureichend unbrauchbar gemachte Maschinenpistole besaß.
Vier widersprüchliche Geständnisse
Insgesamt vier Geständnisse hat der mutmaßliche Mörder Stefan Ernst abgelegt; Geständnisse, die sich vor allem widersprechen, wenn es um die Rolle des rechtsextremen Waffennarrs und Ernst-Kumpels Markus H. geht. Die Bundesanwaltschaft misst in ihrem Plädoyer dem Geständnis in der ersten Vernehmung Ernsts am 25. Juni 2019 den weitaus größten Wahrheitsgehalt zu. Ernst habe dort spontan und detailliert geantwortet, sagt Killmer.
Das bedeutet auch: Die Bundesanwaltschaft schenkt der späteren Darstellung keinen Glauben, Markus H. sei in der Mordnacht mit auf der Terrasse in Wolfhagen-Istha gewesen und habe, je nach Version, die Tat mit ausgeführt oder gar selber geschossen. Diese Varianten seien erkennbar von den jeweiligen Anwälten beeinflusst.
Dennoch sieht die Anklage H. in einer wichtigen Rolle bei der Tatplanung - das Gericht hatte den Haftbefehl gegen H. aufgehoben, weil es keinen dringenden Tatverdacht mehr gegen ihn sah. Killmer hält dagegen: H. habe Ernst überzeugt, dass man sich Waffen für einen bevorstehenden Bürgerkrieg besorgen müsse, habe ihm Gewehre besorgt und Schießen geübt - unter anderem auf eine Zielscheibe mit Angela Merkels Konterfei. Er habe Ernst in seinen Auffassungen bestärkt - und so den Mord billigend in Kauf genommen. Ernst habe die Tat alleine ausgeführt, so der Oberstaatsanwalt, "aber in seinem Hass war er nicht alleine".
Ab 12. Januar folgen die Plädoyers der Nebenklage und der Verteidigung. Die Urteile sind für Ende Januar geplant.