Wahlkampf:Wenn alles offen liegt

Lesezeit: 3 min

Die Opposition in Hannover wusste früh, dass Ministerpräsident Stephan Weil Reden mit VW abstimmt. Früher hat sie das kaum zur Kenntnis genommen. Jetzt macht sie daraus einen Skandal.

Von Thomas Hahn und Klaus Ott

Am Montag musste sich Stephan Weil mit seinen Kritikern noch einmal vertragen. Da hatte Niedersachsens SPD-Ministerpräsident nämlich das weitere Vorgehen bis zur Landtagswahl zu besprechen - überparteilich, wie sich das gehört. Zur Beratungsrunde gehörten also auch die Spitzen von CDU und FDP, die in diesen Tagen wenig anderes im Kopf haben können, als Weils Scheitern zu organisieren. Ganz leicht kann das dem Chef der angeschlagenen rot-grünen Landesregierung nicht gefallen sein, denn er fühlt sich gerade arg bedrängt von taktischen Winkelzügen seiner politischen Gegner. Und die Verhandlungen waren dann auch kompliziert. Später als geplant stand das Ergebnis fest: Die Wahl ist am 15. Oktober. Weil sagte: "Ich bin recht zufrieden."

Der Wahlkampf in Niedersachsen ist nichts für zarte Seelen, das wusste Stephan Weil, 58, vorher. Er ahnte bestimmt, dass vor allem die CDU ihn mit schonungsloser Härte angehen würde, denn sein Wahlerfolg im Januar 2013 war für die Konservativen eine heftige Verlusterfahrung. Die CDU des Ministerpräsidenten David McAllister war damals die stärkste Partei vor Weils SPD. In den Hochrechnungen hatte sie mit der FDP lange die Mehrheit im Landtag. Bis am Ende doch Rot-Grün einen Sitz mehr errang.

So kam die Einstimmen-Mehrheit zustande, mit der Weil viereinhalb Jahre fast problemlos regierte gegen eine CDU, die sich eigentlich zu schade für die Oppositionsbank war. Jetzt schlägt sie zurück. Sie hat ohne Bedenken die Abgeordnete Elke Twesten von den Grünen aufgenommen, sodass die Kräfteverhältnisse fünf Monate vor dem regulären Wahltermin am 14. Januar kippten. Und natürlich hat sie auch dankbar die jüngste Veröffentlichung der Bild am Sonntag aufgenommen, wonach Weil in Zeiten des Abgas-Skandals dem VW-Vorstand eine Regierungserklärung zum Korrekturlesen geschickt habe. Spitzenkandidat Bernd Althusmann forderte im NDR Weils Rücktritt als Ministerpräsident und Aufsichtsrat. Er erklärte: "Wir sind dazu da - das Land Niedersachsen, die Aufsichtsräte -, den VW-Konzern zu kontrollieren und zu beaufsichtigen, und offensichtlich ist umgekehrt der VW-Konzern in der Lage, eine Landesregierung zu kontrollieren."

Die Landesregierung setzt in der Sache auf bedingungslose Transparenz

Beim Thema verlorene Mehrheit versuchen SPD und Grüne, die CDU einer gezielten Abwerbung zu überführen, was die Wechslerin Elke Twesten und die Union bestreiten. Helge Limburg, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, und der frühere Landtagspräsident Rolf Wernstedt (SPD) haben sich daran erinnert, dass Twesten ihnen etwas von einem "unmoralischen Angebot von der CDU" erzählt habe. Im Plenum dürfte es dazu am nächsten Donnerstag eine heftige Debatte geben.

Aber in der VW-Geschichte hilft Stephan Weil nur bedingungslose Transparenz. Und die versuchen Weil und seine Sprecherin Anke Pörksen jetzt herzustellen. Niedersachsen ist Anteilseigner mit Vetorecht beim wichtigsten Arbeitgeber des Landes. Da kann man in gewisser Weise nachvollziehen, dass ein Ministerpräsident in Krisenzeiten öffentliche Aussagen auf justiziable Fehler prüfen lässt - sofern er sich keine Kritik aus seinen Reden streichen lässt, die das Unternehmen aus Imagegründen unterdrücken möchte und seine Verantwortung als Aufsichtsrat einschränkt. Die sogenannte Clearingstelle, die VW nach eigener Darstellung im Herbst 2015 einrichtete, um Äußerungen des Konzerns zur Abgasaffäre zu prüfen, arbeitete immerhin mit dem VW-Cheflobbyisten Thomas Steg zusammen. Und an Steg schickte Sprecherin Pörksen im Oktober 2015 auch jene Regierungserklärung, die Weil jetzt verteidigen muss.

Eine VW-kritische Stelle wurde umformuliert - in die unpersönliche Passivform

Transparenz also: Alle sollen sehen, dass Weil sich keine falschen VW-Hymnen ins Redemanuskript schreiben ließ. Anke Pörksen präsentiert besagte Rede vor und nach den Korrekturen. Sie erläutert, die meisten Änderungen seien "von den Kollegen aus der Fachabteilung und von mir bzw. von unserem Rechtsanwalt, Herrn Drinkuth". Sie verschickt außerdem eine E-Mail vom 9. Oktober an alle Mitarbeiter in Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium, die mit VW und Öffentlichkeit befasst sind. Darin heißt es: "Nur noch mal zur Klarstellung, wir werden keinesfalls unsere politischen oder sonstigen Äußerungen mit dem Konzern vorab abstimmen, es geht nur um konkrete Aussagen zu den Vorgängen, die jetzt Gegenstand von Gerichtsverfahren sind, um etwaige Falschmeldungen in der Sache zu verhindern bzw. Schadensersatzansprüche oder ähnliches."

Und in dem Manuskript selbst geht es eher um technische und sprachliche Veränderungen. Am Rand ist vermerkt, welche Änderungswünsche von VW übernommen wurden und welche nicht. Weil kritisiert etwa den Umstand, dass VW Abgaswerte manipulierte, als "unverantwortlich, völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen". Auf VW-Betreiben schrieb er allerdings einen anderen kritischen Satz um: Aus "Volkswagen hat damit gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht" wurde "Damit ist gegen Gesetze verstoßen und damit ist Vertrauen missbraucht worden". Die unpersönliche Passivform klang für die Firma offenbar erträglicher.

Die FDP hat sich sogleich auf den Regierungschef eingeschossen. Parteichef Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki gehen Weil in den Medien frontal an. Sie sprechen von "Grenzüberschreitung" oder fordern den Rücktritt des Regierungschefs, sollte dieser noch "einen Funken Anstand" haben. Vor knapp einem Jahr, als die Regierung in Hannover den Wirtschaftsausschuss des niedersächsischen Landtags in vertraulicher Sitzung unterrichtete, klang das noch ganz anders. Da bedankte sich der Vizechef der FDP-Fraktion, Ex-Wirtschaftsminister Jörg Bode, laut Protokoll herzlich für die Informationen. Es sei schön, den Wortlaut des zwischen Regierung und VW hin- und hergeschickten Redeentwurfs einmal lesen zu dürfen. "Das wäre aber, ehrlich gesagt, nicht notwendig gewesen." So genau "wollten wir gar nicht wissen, welche Worte gegen welche Worte ausgetauscht worden sind".

Was damals nicht der Rede wert war, ist für die FDP heute ein Skandal. Aber damals stand ja auch noch keine Wahl an.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: