Präsidentschaftswahl in der Ukraine:Saboteure ohne große Gefolgschaft

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Prorussische Milizen in Donezk zerstören Wahlurnen. (Foto: AP)

Sie verprügeln Wahlhelfer und verwüsten Abstimmungslokale. Die Separatisten im Osten der Ukraine sabotieren die Präsidentschaftswahl mit Terrormethoden. Die Unterstützung für sie hält sich aber in Grenzen.

Von Florian Hassel, Donezk

In besseren Zeiten ist die Mittelschule Nr. 112 im Donezker Stadtteil Kirow ein Hort von Bildung, Kultur und Demokratie. Neben dem Schulunterricht feiern Eltern ihre Kinder bei Volkstanzaufführungen des Tanzklubs "Fortuna". An Wahltagen dient das mehrstöckige Backsteingebäude als Wahllokal. Doch als der 31-jährige Sergej Popow am Sonntag seine Stimme bei der ukrainischen Präsidentschaftswahl abgeben will, steht er vor verschlossener Tür.

Genauso ist es im Zentrum von Donezk. Popow will dort im Auftrag von Präsidentschaftskandidat Petro Poroschenko den Wahltag im Wahlkreis 42 verfolgen. Dort können normalerweise 150 000 Donezker abstimmen. Doch an diesem Sonntag "haben alle 78 Wahllokale geschlossen", stellt Popow fest. Einzige Ausnahme: eine städtische Berufsschule in der Tscheljuskinzew-Straße.

Doch zehn Minuten nachdem die Mitarbeiter das Wahllokal am frühen Morgen öffnen, sind siebzehn maskierte Separatisten mit Maschinenpistolen zur Stelle, so schildert es der Donezker Infodienst 62.ua. In den vier anderen Wahlkreisen von Donezk öffnen 350 Wahllokale gar nicht erst - Folge einer systematischen Terrorkampagne prorussischer Separatisten gegen die Präsidentschaftswahl.

Einschüchtern, verprügeln, verwüsten

Tagelang haben bewaffnete Vertreter der selbstausgerufenen "Volksrepublik Donezk" oder der ebenfalls von niemanden anerkannten "Volksrepublik Lugansk" Wahlmitarbeiter eingeschüchtert, verprügelt oder entführt, Wahllokale verwüstet, kurzerhand Wählerverzeichnisse und Computer geraubt. Einige Beispiele: In Donezk holen zehn schwer Bewaffnete die Wahlurnen aus einem Wahllokal in einem Jugendzentrum und zertrümmern sie. In der Nachbarstadt Makeewka nehmen die Separatisten im Wahlkreis 57 zwei Mitglieder der Wahlkommission als Geiseln und lassen sie erst frei, als der Wahlleiter den Stempel übergibt.

Im Örtchen Sugres verprügeln die Separatisten die Mitglieder der Wahlkommission, in Marjinka entführen sie den Wahlleiter Walentin Poljakow und drohen ihm mit dem Tod, sollte er es wagen, die Wahllokale zu öffnen. Dabei hat Poljakow noch Glück: Nach einigen Stunden als Geisel wird er freigelassen. Vom Wahlleiter im Donezker Wahlkreis Nr. 43, Ruslan Kudrjawzew, fehlte am Sonntag auch vier Tage nach seiner Entführung jede Spur, teilt das auf Wahlbeobachtung spezialisierte "Wählerkomitee der Ukraine" (KVU) mit.

Sergej Tkatschenko, Leiter des Wählerkomitees in der Region Donezk, verfolgt Wahlen in der Ukraine schon seit 18 Jahren. Statt wie sonst 1000 Wahlbeobachter hat Tkatschenko diesmal "mit Mühe knapp 100 Beobachter zusammenbekommen". Denn auch Wahlbeobachter werden von den Separatisten bedroht. Das Büro des Wählerkomitees in Donezk hat Tkatschenko schon vor Wochen geschlossen und seine Kinder in einen anderen Teil der Ukraine gebracht.

"Normalerweise versuchen wir, Wahlfälschungen zu verhindern oder zumindest nachzuweisen", sagt Tkatschenko. "Diesmal wäre es schon ein Erfolg gewesen, wenn die Menschen überhaupt hätten abstimmen dürfen." Das aber dürfen sie bei dieser Präsidentschaftswahl nur an wenigen Stellen der Region - vor allem dort, wo der Einfluss der Separatisten schwach ist oder ihnen Arbeiterwehren die Kontrolle wieder entrissen haben, wie Mitte Mai in der Stadt Mariupol. Insgesamt aber können die Menschen in der Region Lugansk am Sonntag nur in zwei von zwölf Wahlkreisen wählen. In der Region Donezk öffnen laut Pressedienst von Gouverneur Serhij Taruta 514 von 2430 Wahlstationen.

In Donezk selber kann der von Kiew im März eingesetzte Gouverneur keinen Wahlkreis, kein Wahllokal gegen den Terror der Separatisten sichern. "In den Tagen vor der Wahl wurde nicht einmal überlegt, die Wahllokale bewachen zu lassen - aus dem einfachen Grund, weil wir keine loyalen Polizisten oder Spezialeinheiten mehr haben, auf die wir uns verlassen können", sagt ein hoher Beamter in Donezk.

Gewiss, den Menschen im Südosten der Ukraine, die am 11. Mai an den "Referenden" der Separatisten über eine "Unabhängigkeit" der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk teilnahmen, bedeutet die Präsidentschaftswahl nichts. "Ich war beim Referendum und habe mit Ja gestimmt", sagt der 27 Jahre alte Sergej. "Meine Familie kommt aus Russland, und ich hätte nichts dagegen, wenn wir zu Russland kämen." Seine Freundin Tatjana, 23, kommt aus dem Westen der Ukraine. "Ich bin für eine einige Ukraine und hätte gern an der Präsidentschaftswahl teilgenommen", sagt sie. Auch das pensionierte Lehrer-Ehepaar Tamara und Pjotr wäre gern wählen gegangen. "Wir erkennen weder das Pseudo-Referendum der Separatisten an noch ihre ,Volksrepublik'", sagt Tamara. "Keiner von uns kennt diese Leute oder hat sie gar je gewählt." Kein Wunder: Die Führer der "Volksrepublik Donezk" kommen auch nicht aus Donezk, sondern aus Moskau.

Weithin bekannt ist mittlerweile der unter dem Pseudonym "Strelkow" auftretende russische Geheimdienstoberst Igor Girkin, der als "Verteidigungsminister" die bewaffneten Rebellen kommandiert. Am 16. Mai lässt Girkin seinen Vertrauten Alexander Borodaj, wie er selbst zuvor bereits bei der russischen Machtergreifung auf der Krim aktiv, zum "Premierminister" der "Volksrepublik Donezk" machen.

Nur 300 Leute wollen Politiker von "Neurussland" reden hören

Und schon am Samstag darf Borodaj in einem Hotel von Donezk auf einem Kongress von 150 Separatisten die Vereinigung der "Volksrepublik Donezk" mit der "Volksrepublik Lugansk" zur selbstausgerufenen Staatenunion "Neurussland" unterschreiben. Dieser Name, Mitte April von Russlands Präsident Wladimir Putin wiederbelebt, trägt historisches Gewicht und Anspruch: Der russische Zar fasste unter "Neurussland" den Ende des 18. Jahrhunderts dem Osmanischen Reich entrissenen, fortan aus Petersburg regierten Südosten und Süden der Ukraine zusammen.

Doch die Unterstützung der Separatisten hält sich selbst in Donezk, das mit Vorstädten weit über eine Million Einwohner zählt, in Grenzen. Am Samstag haben die Separatisten auf dem Leninplatz im Herzen der Stadt zur Kundgebung gerufen. Stargäste sollen Hunderte Bergleute aus Kohlegruben des Donbass sein. Doch die Kumpel wollen mit den Separatisten offenbar immer noch nichts zu tun haben. Und so gesteht eine Demo-Organisatorin auf der Bühne vor dem Lenin-Denkmal schließlich vor gerade einmal 300 Zuhörern: "Die Bergleute konnten leider nicht kommen", sagt sie. Auch am Sonntagmittag kommen höchstens 2500 Menschen zu einer von den Separatisten tagelang beworbenen Demonstration auf den Leninplatz.

Als die Separatisten die Vereinigung mit ihren Gesinnungsgenossen in Lugansk zu "Neurussland" feiern, hat "Premierminister" Alexander Borodaj für die Zuhörer eine knappe Botschaft parat: "Russland ist mit euch - und die Hilfe ist schon nah!" Ob der Kreml mit solchen Parolen tatsächlich nach der Krim eine weitere Abtrennung von der Ukraine vorantreiben oder sich nur mehr Manövriermasse bei Verhandlungen mit einem neuen ukrainischen Präsidenten über Moskaus Einfluss in der Ostukraine sichern will, weiß wohl nur der russische Präsident.

© SZ vom 26.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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