Wahlen:«Herzschlag-Finale» im Rennen um die Staatsspitze in Österreich

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Sollte es zu einem exakten Gleichstand der Stimmen kommen, dann würde die Stichwahl wiederholt - solange bis ein Sieger feststeht. Foto: Christian Bruna (Foto: dpa)

Wien (dpa) - "Es ist ein Fotofinish, ein Herzschlagfinale." Lothar Lockl, Wahlkampfmanager von Alexander Van der Bellen, ist die Anspannung am Sonntagabend ins Gesicht geschrieben.

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Wien (dpa) - „Es ist ein Fotofinish, ein Herzschlagfinale.“ Lothar Lockl, Wahlkampfmanager von Alexander Van der Bellen, ist die Anspannung am Sonntagabend ins Gesicht geschrieben.

Aber zufrieden ist er so oder so. „Es hat eine unglaubliche Bewegung quer durch Österreich gegeben“, bilanziert er nach den ersten Hochrechnungen zur Bundespräsidentenwahl in Österreich.

Der von den Grünen unterstützte Van der Bellen hat es entgegen den Erwartungen vieler Beobachter geschafft, die Stichwahl gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer extrem spannend zu machen. Der 45-jährige Hofer hatte im ersten Wahlgang noch deutlich mehr Stimmen (35,1 Prozent) als der 72-jährige Wirtschaftsprofessor (21,3 Prozent) eingesammelt. Schon vor dem Ende der Auszählung war klar: Es wird der knappste Ergebnis einer Stichwahl seit 1945. Es stand am frühen Abend in etwa 50:50.

Die Österreicher standen vor einer Richtungswahl: der Rechtspopulist Hofer mit seinem Slogan „Österreich zuerst“, seiner Kritik an der EU und seiner „Mann des Volkes“-Attitüde auf der einen Seite. Er wäre der erste Rechtspopulist an der Spitze eines EU-Staates.

Auf der anderen Seite der EU-freundliche, weltgewandte und manchmal eher unnahbar wirkende Van der Bellen. „Es war eine Entscheidung zwischen „national“ und „international“, sagte der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier.

Den Ausschlag für das extrem knappe Rennen gab aber nicht die Persönlichkeit des 72-Jährigen. Vielmehr war es gelungen, eine „Anti-Haltung“ zu Hofer, der im Vorfeld als Favorit galt, bei vielen Wählern zu erzeugen. Laut einer Analyse der Sozialforschungsinstituts Sora haben 19 Prozent der Hofer-Wähler und 36 Prozent der Van-der-Bellen-Wähler erstmals für einen Kandidaten der FPÖ oder der Grünen gestimmt.

Unterstützt wurde dieser Trend zugusten von Van der Bellen nach Überzeugung vieler Wahlbeobachter auch vom kürzlichen Wechsel an der Regierungsspitze und der Regierungsumbildung. Der neue Kanzler Christian Kern (SPÖ) - sein Vorgänger Werner Faymann war nach dem SPÖ-Desaster in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl zurückgetreten - hatte mit seinen ersten Auftritten ein Gefühl des Aufbruchs vermittelt. „Die Wechselstimmung ist geringer geworden“, sagt die Politologin der Fachhochschule Kärnten Kathrin Stainer-Hämmerle.

Unabhängig vom Ergebnis ist klar, dass Österreich sich tief zerissen präsentiert. „Wir sind ein gespaltenes Land“, sagte der Chef der liberalen Neos, Matthias Strolz, im ORF. Es bleibe die Sehnsucht nach einem neuen Politikstil, dem Abschied von verkrusteten Machtstrukturen.

„Der Wunsch nach Veränderung ist groß“, meinte der Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM, Wolfgang Bachmayer. Inwieweit die vielen Prominenten, die dem Ex-Grünen-Chef öffentlich beigesprungen waren, einen Einfluss auf das Ergebnis hatten, ist unklar. „Der erhobene Zeigefinger der Eliten reicht nicht mehr - und ist vor allem aus dem Ausland kontraproduktiv“, gibt Bachmayer eher kritisch zu bedenken.

Hofer wollte mit einer „aktiven“ Amtsführung den „schlafenden Riesen“ namens Bundespräsident wecken. Dabei wagte er sich aber auch mit seinen Versprechen, zum Beispiel für mehr Volksabstimmungen sorgen zu wollen, auf glattes Eis. „Für Volksabstimmungen, die vom Volk initiiert werden, fehlt in Österreich jede gesetzliche Grundlage“, sagt Stainer-Hämmerle. Möglicherweise hat mancher Wähler auch eine Kluft zwischen Schein und Sein bei dem FPÖ-Kandidaten ausgemacht.

Angesichts von rund 50 Prozent der Stimmen für einen Rechtspopulisten ist nach Meinung der Experten aber auch klar, dass eine reine „Anti-Haltung“ nicht mehr ausreicht. „Die jahrzehntelange funktionierende Strategie, „Angst vor Rechts“ zu verbreiten, könnte vor ihrem Ende stehen, sagt Bachmayer.

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