Wahl in Afghanistan:"Wir waren alle sehr naiv"

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Der Tag der Wahl ist auch ein Tag der Unruhe: Außenminister Rangin Spanta über die schwierige Demokratisierung des Landes am Hindukusch, den Drogenhandel, die Warlords und die Rolle Deutschlands.

Tobias Matern, Kabul

Der afghanische Außenminister Rangin Spanta hat während der Jahrzehnte dauernden Kriege am Hindukusch lange in Deutschland gelebt und war Mitglied bei den Grünen. Nach dem Sturz der Taliban kehrte er in seine Heimat zurück, um den Wiederaufbau mitzugestalten. Präsident Hamid Karsai machte ihn 2006 zum Nachfolger von Abdullah Abdullah - der bei der Präsidentschaftswahl an diesem Donnerstag sein schärfster Herausforderer ist.

Der Kandidat Mirwais Yasini auf einem Wahlplakat in Kandahar. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Die Wahl ist im Vorfeld von Einschüchterungen und Gewalt überschattet. Was bedeutet die Abstimmung unter diesen Bedingungen für Afghanistan?

Spanta: Sie ist für die Entwicklung dieses Landes, für den Prozess des Wiederaufbaus, für die Demokratisierung und die Bildung eines moderaten Staates sehr wichtig. Die zweite Wahl ist in Übergangsgesellschaften wie Afghanistan immer die entscheidende. Die Bereitschaft der Bevölkerung, sich trotz aller Bedrohungen zu beteiligen, zeigt, dass sie ein demokratisches Land haben will. Wenn wir Afghanistan von heute mit dem Afghanistan von vor acht Jahren vergleichen, haben wir beachtliche Schritte unternommen, etwa im Bereich der Wissenschaft, Meinungsfreiheit, Mitbestimmung, Frauenrechte. Afghanistan war 2001 noch ein Land, wo sich Terrornetzwerke organisieren konnten.

SZ: Die Bedrohungslage ist wieder so hoch wie nie seit dem Sturz der Taliban.

Spanta: Wir haben eine Reihe von Problemen, das stimmt. Der Terrorismus dauert an, wir konnten das Land noch nicht sicher machen, die Drogenproduktion und der Drogenhandel beeinflussen unsere demokratische Entwicklung. Auch die Schwäche des Staates ist zu nennen, inklusive einer überdimensionierten Korruption. Die afghanische Regierung hat aber von 2002 bis heute von allen Entwicklungsgeldern nur 20 Prozent selbst bekommen, 80 Prozent wurden durch nicht-staatliche Institutionen, durch die internationale Gemeinschaft ausgegeben. Ich frage: Wo sind diese Gelder hingeflossen? Darüber sollte die Öffentlichkeit auch informiert werden.

SZ: Afghanistan ist nicht nur eines der korruptesten Länder der Erde, auch 90 Prozent des weltweit angebauten Opiums kommen aus Ihrem Land.

Spanta: Afghanistan produziert immer noch den größten Teil von Opium auf der Welt - das ist wahr. Mehr als 70 Prozent werden in der südlichen Provinz Helmand angebaut, die ist nicht unter der Kontrolle der Regierung. Aber da wo wir das Sagen haben, ist die Drogenproduktion in vielen Provinzen gleich null.

SZ: Selbst der Halbbruder des Präsidenten soll Drogengeschäfte betreiben.

Spanta: Diesen Vorwurf habe ich in jeder Zeitung gelesen. Das macht mich wütend. Ich bin zu europäischen Botschaftern gegangen, habe gesagt: Wenn ihr Beweise habt, gebt sie mir, ich werde dafür sorgen, diesen Mann außer Landes zu schaffen oder ihn vor Gericht zu stellen. Ich habe es den Amerikanern gesagt, ich habe es allen Journalisten gesagt: Gebt mir, was ihr gegen ihn habt. Keiner hat mir einen Beweis gezeigt. Ich negiere allerdings nicht, dass wir Drogenbarone in diesem Land haben, dass wir korrupte Beamte in diesem Land haben, dass wir Warlords in diesem Land haben.

SZ: Wenn Karsai die Wahl gewinnt, werden die Warlords an der nächsten Regierung beteiligt sein.

Spanta: Bedauerlicherweise gibt es im Westen eine Doppelmoral. Wir haben in Afghanistan angeblich gute Warlords und schlechte Warlords. Gute sind demnach die, die mit der internationalen Gemeinschaft gemeinsame Sache machen. Alle großen Länder, die in Afghanistan engagiert sind, haben ihre Verbündeten unter den Warlords. Jetzt, da Karsai einige Meinungsunterschiede mit manchen Staaten hat, spielt der Westen seine Bündnisse hoch.

SZ: Nach dem Einmarsch des Westens sah es schnell so aus, als ließe sich das Land stabilisieren.Warum sind die Extremisten jetzt wieder so aktiv?

Spanta: Nach dem Sturz der Taliban waren wir in Afghanistan und auch unsere Verbündeten sehr naiv. Man glaubte, der Terrorismus sei erledigt. Anti-Terrorismus-Bekämpfung wurde auf Militäroperationen reduziert. Dabei benötigt man eine Kombination: Wiederaufbau, nachhaltige Entwicklung, Demokratisierung, gute Regierungsführung und militärische Aktionen. Diese Mischung wurde vernachlässigt.

SZ: Die Bundeswehr gerät im Norden des Landes in immer heftigere Kämpfe. Müssten mehr Soldaten in die Region?

Spanta: Ich bin kein Militärexperte, um das zu beurteilen. Aber Deutschland war das erste Land, das über eine umfangreiche Strategie nachgedacht hat. Es hat das militärische Engagement mit dem Wiederaufbau und zivilen Elementen verknüpft. Eine erfolgreiche Strategie. Aber nun haben wir Wahlen. Und die Terroristen nutzen alle Möglichkeiten, Unruhe zu stiften. Deren Kalkül ist, dass sich auch Deutschland in einem Wahljahr befindet. Nach Ansicht der Terroristen ist Deutschland verwundbar.

Wenn man jetzt Aktionen startet, setzt man dadurch die deutsche Regierung unter Druck. Ich wünsche mir, dass Deutschland den Prozess der Afghanisierung fortsetzt, Afghanistans Armee und Polizei auszubilden und uns dadurch mehr zu unterstützen. Mit dem Geld, das wir für einen Nato-Soldaten ausgeben, können wir 60 bis 70 afghanische Soldaten ausbilden und ausrüsten. Die Akzeptanz für eine einheimische Truppe ist bei Afghanen stärker und auch in Deutschland.

© SZ vom 20.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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