Wahl in Afghanistan:Voller Stolz mit schwarzgefärbtem Finger

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Beunruhigende Leere und Drohungen der Taliban: Doch die Afghanen lassen sich von der Präsidentenwahl nicht abschrecken.

Tobias Matern, Kabul

Azizudin Amiri hat seinem Vater heute ausnahmsweise nicht die Wahrheit erzählt. Er gehe nur kurz Brot kaufen, sagte der 20-Jährige zum Abschied. Aber Amiri brach nicht zur Bäckerei auf. Er hat sich auf den Weg zur Kuwaiti-Moschee im Norden Kabuls gemacht.

Wahlzettel für Analphabeten: Symbole wie Tauben, Teekannen oder eine Waage helfen den Wählern, sich zurechtzufinden. (Foto: Foto: AP)

An diesem Tag wird hier nicht gebetet, sondern gewählt. Die Menschen in Afghanistan bestimmen gerade, wer sie in den nächsten fünf Jahren regieren soll - der bisherige Präsident Hamid Karsai oder der Herausforderer Abdullah Abdullah.

Den anderen Kandidaten werden keine Chancen eingeräumt. Mit aller Macht bemühen sich die Taliban dieser Tage, ihre Propaganda unter das Volk zu bringen. Sie reden von Selbstmordattentätern, die in Kabul nur darauf warteten, die Wahl mit Bomben zu boykottieren. Zwei Attacken auf die Nato in der Hauptstadt mit 16 Toten und 150 Verletzten wirkten vor der Abstimmung wie ein Fanal.

Azizudin Amiris Vater haben die Drohungen abgeschreckt. Er verlässt heute nicht das Haus. Seinen Sohn wollte er aus Sorge vor weiteren Anschlägen auch nicht auf die Straße lassen. Der aufmüpfige junge Mann findet aber, es sei sein Bürgerrecht, zu wählen.

Im Süden des Landes, in den inzwischen wieder von den Taliban beherrschten Gebieten, ist dies nicht möglich. "Mit der Stimmabgabe heute bestimme ich doch mit über meine Zukunft, das muss ich machen als Afghane", sagt der gelernte Schlosser Azizudin Amiri und reckt stolz seinen schwarzgefärbten Zeigefinger in die Luft.

Mit Tinte machen die Menschen in den Wahlkabinen ihren Abdruck neben drei Teekannen, eine Waage oder eine Taube. Da die meisten Afghanen Analphabeten sind, steht bei jedem Bewerber für das höchste Amt im Staat ein Symbol und ein Porträtfoto neben dem Namen.

Es ist erst die zweite Präsidentschaftswahl in der von Kriegen geprägten Geschichte des Landes. Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban werten die Wähler an der Kuwaiti Moschee den Tag als "historisch" - auch wenn sie wie die meisten Menschen am Hindukusch vom Zustand ihres Landes noch enttäuscht sind.

Armut, Arbeitslosigkeit und prekäre Sicherheitslage müsse der nächste Präsident endlich in den Griff bekommen, findet Amiri. Amtsinhaber Karsai habe viel versprochen, aber wenig gebracht.

Das sieht der Ingenieur Nasrullah auch so. Er macht den Präsidenten aber nicht persönlich für die Situation verantwortlich. "Ich habe mit der Stimmabgabe meine Pflicht getan. Auch wenn der Staatschef bei uns nur maximal fünf Prozent der Dinge entscheiden kann, wollte ich mir das nicht nehmen lassen", sagt er.

Wie etliche Afghanen hat Nasrullah das Gefühl, der Westen - vor allem die Amerikaner - bestimmten in seinem Land das Geschehen. "Es ist doch traurig, dass hier Dutzende Nationen ihre Soldaten stationiert haben, aber das Gefühl von Sicherheit können sie uns nicht bringen", sagt er.

Immerhin regierten die Taliban nicht mehr in Kabul. "Sie waren Barbaren, seit ihrem Sturz ist es aufwärts gegangen, wenn auch nicht so sehr, wie wir uns das erhofft haben", sagt der Mann, der die Schreckensherrschaft der Islamisten noch gut in Erinnerung hat.

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Hamid Karsai ruft die Bevölkerung seines Landes zur Wahl auf. Eine Wahl unter schwierigen Bedingungen: Radikale Aufständische versuchen, mit Gewaltakten die verhindern.

Genau wie Khorshid Noori. Die gelernte Lehrerin muss in einen abgetrennten Bereich der Moschee gehen, um ihre Stimme abzugeben. Etwa 80 Männer stehen geduldig an, die 59-Jährige muss nicht warten.

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Eine zerstörte Infrastruktur, blühende Opiumfelder und der Kampf gegen die Taliban: ein afghanischer Präsident hat schier unlösbare Aufgaben. Trotzdem gibt es fast 40 Bewerber. Ein Überblick in Bildern.

Es kommen wesentlich weniger Frauen zum Wählen. Zwar sei die Situation für Afghaninnen noch nicht perfekt, aber im Vergleich zu den dunklen Taliban-Jahren habe sich vieles verbessert. "Während ihrer Herrschaft wurden wir wie Tiere weggesperrt", sagt Khorshid Noori.

Damals habe sie nicht allein auf die Straße gehen, nicht einkaufen, keine Sandalen tragen dürfen. Die Islamisten sahen darin einen Verstoß gegen die Religion. "Nichts war damals erlaubt, natürlich sind wir seitdem in einigen Bereichen vorangekommen", sagt sie.

Allerdings müsse wesentlich mehr für Bildung und Betreuung getan werden - nicht nur durch den Ausbau von Kindergärten und Schulen. "Das halbe Land, vor allem die Frauen und Jugendlichen, sind durch die Taliban-Zeit so traumatisiert, dass sie dringend psychologische Betreuung bräuchten", sagt Khorshid Noori. Doch Therapeuten gebe es fast keine. Viele Menschen hätten Angst.

Am Mittag sind die Straßen in Kabul denn auch leer. Beunruhigend leer. Die Behörden berichten von vier Explosionen, zwei Militante sterben bei einem Schusswechsel mit der Polizei. "Die Menschen fürchten sich vor weiteren Anschlägen, sie vermeiden es, nach draußen zu gehen, wenn es nicht unbedingt sein muss", sagt der Taxifahrer Shams, der an diesem Tag kaum Fahrgäste über die meist ungeteerten Ruckelpisten der Hauptstadt chauffiert.

Polizisten sind an nahezu jeder Kreuzung positioniert. Sporadisch halten sie Autos an, machen Personenkontrollen, durchsuchen den Kofferraum nach Sprengstoff. Helikopter kreisen über der Stadt. Internationale Organisationen haben etliche Mitarbeiter außer Landes geschickt - der Rest darf in der Zeit um den Wahltag herum die Wohnungen nicht verlassen.

So liegt über der sonst so belebten Innenstadt Kabuls eine ungewohnte Ruhe. An den Stadträndern, auf den Basaren mit den Mandeln, Melonen, Mehlsäcken und den geschlachteten Lämmern, sieht die Lage anders aus. Kinder lassen ihre Drachen steigen. Die Erwachsenen gehen dem Alltag nach - oder sie wählen wie in der Kuwaiti Moschee ihren Favoriten für den Präsidentenpalast.

"Die Taliban können uns nicht mehr verbieten, was wir machen wollen", sagt Azizudin Amiri noch, bevor er zu seinem Vater zurückgeht. Ohne Brot, dafür mit einem schwarzgefärbten Zeigefinger.

© SZ vom 21.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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