Wahl-Drama in Thüringen:Eine Frau unter Feuer

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Die Wahl zur Ministerpräsidentin Thüringens wurde in den ersten beiden Akten zu einer Demütigung für Christine Lieberknecht. Die CDU-Politikerin wird wohl nie herausfinden, wer sie verletzte - aber nun wird nach ihren Regeln gespielt. Glaubt sie.

Christiane Kohl, Erfurt

Sie hatte eine Vorahnung. "Ich fühle mich wie auf einer Hochgebirgswanderung", beschrieb Christine Lieberknecht vor wenigen Tagen ihr Befinden. "Da darf man jetzt nicht nach rechts oder links schauen, man muss einfach geradeaus und durch." Genau so bewegt sie sich an diesem Freitag durch den Plenarsaal, auch wenn sie statt Wanderstiefeln schwarze Lackschuhe trägt.

Geht in Thüringen schweren Zeiten entgegen: Christine Lieberknecht. (Foto: Foto: dpa)

Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen in ihrem schwarzen Hosenanzug mit blütenweißem Kragen, der die einstige Pastorin so brav wie eine verspätete Konfirmandin wirken lässt. Bloß keine falsche Bewegung machen, keine Risiken eingehen, scheint sie sich vorgenommen zu haben. Denn hier, auf dem glatt gewienerten Holzparkett des Landtags, kann sie bei der Wahl zur Ministerpräsidentin abstürzen wie von einem Hochgebirgspfad.

Dreimal muss die neue Thüringer CDU-Chefin den Raum mit den kreisförmig angeordneten Sitzreihen durchqueren, bis sie zur Ministerpräsidentin gewählt ist. Zwei quälend lange Wahlgänge haben ihr vier Heckenschützen verpatzt, von denen drei sich der Stimme enthielten und einer seinen Wahlzettel zweimal ungültig machte. So fehlte ihr zweimal die nach der Thüringer Verfassung in den beiden ersten Wahlgängen nötige absolute Mehrheit der Stimmen.

SPD: "Wir haben gestanden"

Ein Wahlkrimi wird hier im Plenarsaal abgespult, und das Drehbuch dazu haben womöglich einige von Lieberknechts Parteifreunden geschrieben. Der Koalitionspartner Christoph Matschie von der SPD weist jedenfalls jeden Verdacht von sich, die Verweigerer könnten frustrierte Sozialdemokraten gewesen sein. "Wir haben gestanden", sagt Matschie.

Zwar wählt am Ende eine Mehrheit von 55 der anwesenden 87 Abgeordneten die Kandidatin in das Amt. Ein schöner Start aber ist das nicht für die erste CDU-Ministerpräsidentin in einem deutschen Bundesland. Christine Lieberknecht scheint kurz mit den Tränen zu kämpfen, dann zwingt sie sich zur Gelassenheit. "Nichts ist selbstverständlich", sagt sie, als sie endlich die Wahl annehmen kann, "man muss auf alles vorbereitet sein."

Eben weil die Politikerin Querschüsse befürchtete, hatte sie vor einigen Tagen dafür gesorgt, dass im Ältestenrat des Landtags eine Programmänderung beschlossen wurde: Keine Ministerpräsidentenwahl gemeinsam mit der Vorstellung des neuen Kabinetts, wie ursprünglich vorgesehen, sollte angesetzt werden.

Stattdessen will sie die neuen Minister erst in der kommenden Woche ernennen. So wollte Lieberknecht verhindern, dass womöglich nicht mit einem Amt bedachte enttäuschte Fraktionsmitglieder sich klammheimlich rächen würden. Doch es könnte sein, dass gerade die Vorsicht von Christine Lieberknecht ihre Widersacher auf den Plan gerufen hat.

Wer die Heckenschützen waren, wird wohl nie herauskommen. Doch sie handelten gezielt und mit Vorsatz, das ist gewiss. Noch am Mittwoch bei einer Probeabstimmung in der Thüringer CDU-Fraktion schien alles planmäßig zu laufen. Da hatten alle 30 CDU-Abgeordneten für Lieberknecht gestimmt, wie CDU-Fraktionschef Mike Mohring nach den verpatzten Wahlgängen eilig versicherte.

Auch bei den Sozialdemokraten deutete nichts auf ein Problem hin; hier fühlte sich Matschie der 18 Fraktionsmitglieder sicher. Nach harten Kämpfen war am Wochenende zuvor der Koalitionsvertrag mit Zweidrittelmehrheit angenommen worden, seither scheint bei den Sozialdemokraten Ruhe eingekehrt zu sein.

Spannung auf dem Höhepunkt

Hingegen gab es bei der CDU hinter den Kulissen in den letzten Tagen Gegrummel: "Da war doch schon was abzusehen", meint ein Christdemokrat, der womöglich selbst zu den Verweigerern gehörte. Doch es spricht noch ein anderer Umstand dafür, dass die Heckenschützen eher bei der CDU als bei der SPD zu suchen sind - und dieser liegt im dritten Wahlgang.

Nach den ersten beiden Durchgängen, mittlerweile war die Spannung im Plenarsaal auf dem Höhepunkt angelangt, schickte die Linkspartei ihren Spitzen-Mann Bodo Ramelow ins Feld. Nun kandidierte er gegen Lieberknecht, weshalb neue Stimmzettel gedruckt werden mussten.

Und so ging das Prozedere von vorne los: Wieder wurden die Abgeordneten zu den Urnen gerufen, wieder war es der bisherige Ministerpräsident Dieter Althaus, der als einer der Ersten zur Wahlkabine ging. Lachend und feixend schlenderte Althaus, 51, zur Abgeordnetenbank zurück. Die gleichaltrige Lieberknecht, die neben ihm saß, nestelte nun nervös an ihren Zetteln herum, unterdessen wurden zum dritten Mal die Wahlzettel ausgezählt. Ramelow erhielt 27 Stimmen, eine mehr, als die 26 anwesenden Abgeordneten der Linkspartei aufbringen konnten.

Schwere Zeiten

Mag sein, dass ein grüner Abgeordneter ihn mitgewählt hatte. Das sogenannte bürgerliche Lager inklusive SPD aber stand nun plötzlich geschlossen: 48 Stimmen plus sieben Stimmen der FDP bekam Lieberknecht - die Liberalen hatten dem CDU-Fraktionschef Mohring kurz zuvor signalisiert, dass sie nun auch für die CDU-Kandidatin seien.

Hätte ein SPD-Abgeordneter zuvor zu den Heckenschützen gehört, hätte er im dritten Wahlgang "mit Sicherheit Ramelow gewählt", meint ein Sozialdemokrat. Mithin könnten die Verweigerer eigentlich nur aus dem CDU-Lager kommen. "Ich will, dass mir ein starkes Parlament gegenübersteht", erklärt Christine Lieberknecht in ihrer Rede nach der Wahl. Freilich stellt sie hernach klar: "Jetzt wird anders gespielt." Die Verabschiedung von Gesetzen erfolgt in Thüringen zumeist in offener Abstimmung, das könnte manchen disziplinieren.

Mit einer Stunde Verspätung erreicht Lieberknecht am Freitag in ihren schwarzen Lackschuhen die Staatskanzlei, wo Dieter Althaus ihr die Amtsgeschäfte übergibt. "Du wirst eine gute Ministerpräsidentin", sagt Althaus. Doch die Zeiten, fügt er hinzu, seien "wahrlich nicht einfach".

© SZ vom 31.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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