Der deutsche Waffenhersteller Sig Sauer gerät immer tiefer in die Krise. Aus Gewerkschaftskreisen verlautet, es drohten Kündigungen. Angeblich erwägen die Besitzer sogar, den Standort Eckernförde zu schließen.
Offenbar hatte Deutschlands älteste noch produzierende Waffenschmiede schon etliche Zeit wirtschaftliche Probleme, der vor einigen Wochen verhängte Exportstopp für ihre Waffen könnte die Firma nun an den Rand der Existenz bringen.
Zuvor hatten Recherchen von WDR, NDR und SZ ans Licht gebracht, dass zwischen 2009 und 2011 offenbar Tausende deutsche Pistolen unter falschen Angaben auf den Frachtpapieren über die US-Schwesterfirma Sig Sauer Inc. nach Kolumbien exportiert wurden - ohne Genehmigung der deutschen Behörden. Eine solche wäre für das Bürgerkriegsland Kolumbien auch kaum erteilt worden.
Nun weiten sich die Vorwürfe aus. Neue Dokumente zeigen: Die Praxis ging offenbar länger als bisher bekannt. Das belegen Auftrags-Dokumente aus der staatlichen US-Datenbank Federal Procurement Data System, in der jeder einzelne Kauf der US-Regierung aufgelistet ist, jeder einzelne Auftrag, der an externe Firmen vergeben wurde.
Die US-Armee verkauft offenbar seit Jahren Waffen nach Kolumbien
Unter der Auftragsnummer W52H0907P0184 ist dort eine Bestellung von Februar 2007 zu finden, wonach die US-Armee bei Sig Sauer USA Waffen im Wert von 2 127 867 Dollar gekauft hat. Anschließend wurden diese, laut jenem Dokument, nach Kolumbien gebracht. Es war offenbar eine jener Waffenlieferungen, mit denen das US-Militär schon seit Jahren den kolumbianischen Kampf gegen Drogenbarone und Guerilleros unterstützt.
In der Zeile "Ort der Herstellung" steht: "Hergestellt außerhalb der USA". Und bei "Land der Produktherkunft" ist zu lesen: "Germany". Genau das dürfte dort aber nicht stehen, denn laut der zuständigen Kontrollbehörde, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) in Eschborn, hatte Sig Sauer Deutschland weder für das Jahr 2007 noch für die vergangenen 14 Jahre eine Exportgenehmigung für Ausfuhren von Kleinwaffen nach Kolumbien erhalten.
Bisher hatte Sig Sauer Deutschland stets behauptet, man habe sich bei allen Lieferungen an die deutschen Gesetze gehalten und gegenüber den Behörden korrekte Angaben gemacht. Dagegen sprechen aber nicht nur Aussagen von Insidern und interne Mails, sondern auch weitere, neue Erkenntnisse: Demnach lag in den Sig-Sauer-Büros in Eckernförde sogar ein Vertrag von Sig Sauer USA mit der amerikanischen Armee vor. Darin ist der geplante Lieferort eindeutig verzeichnet: "Bogotá Colombia".
Interne Lieferlisten von Sig Sauer zeigen zudem, dass immer wieder Pistolen mit amerikanischen statt deutschen Seriennummern von Eckernförde aus in die USA verschickt wurden. Welchen anderen Grund kann dies haben, außer einer geplanten Verschleierung? Von den Verantwortlichen von Sig Sauer Deutschland gab es darauf auf Anfrage keine Antwort.
Auch das Sig-Sauer Gewehr SSG 3000 ging nach Kolumbien
Ebenso wenig auf die Frage, wie Sig-Sauer-Scharfschützengewehre des Typs SSG 3000 in die Hände kolumbianischer Bundespolizisten gelangen konnten. Das Nachrichtenmagazin Spiegel hatte vor einigen Tagen über den Verdacht berichtet, dass dieses Gewehr bei der Policía Nacional in Kolumbien im Einsatz ist. In einem Rechenschaftsbericht, den die SZ einsehen konnte, hatten die kolumbianischen Behörden dies auch schon vor Jahren bestätigt. Demnach hat die Polizei mindestens 20 Gewehre jenes Typs SSG 3000 im Einsatz.
Diese Waffe aber, mit der ein guter Schütze aus mehr als einem Kilometer Entfernung sein Ziel treffen kann, wurde bislang ausschließlich in Deutschland gebaut, wie der SZ aus dem Sig-Sauer-Konzern bestätigt wurde. Die Scharfschützengewehre der kolumbianischen Bundespolizei sind also unzweifelhaft Waffen aus deutscher Produktion. Und auch für sie gilt: Für eine Ausfuhr nach Kolumbien hätte Sig Sauer eine Genehmigung des Bafa gebraucht. Seitdem das SSG-3000-Gewehr hergestellt wird, haben die Ausfuhrkontrolleure nach eigenen Angaben aber keine einzige solche Genehmigung erteilt. Die Waffen sind also illegal nach Kolumbien geliefert worden. Die Frage ist bislang nur: wie?
Bei Verstoß gegen deutsches Ausfuhrrecht droht Gefängnisstrafe
Der Verdacht liegt nahe, dass Sig Sauer auch in diesem Fall den Weg über die Schwesterfirma in den USA gewählt hat, um die Gewehre nach Kolumbien zu liefern. Aus internen Unterlagen geht hervor, dass 2011 mindestens 500 SSG 3000 von Sig Sauer in die USA geschickt wurden. Wo sie geblieben sind, ist unklar.
Die Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt offenbar auch wegen der Scharfschützengewehre. Bereits zweimal haben die Ermittler in diesem Jahr den Firmensitz von Sig Sauer in Eckernförde durchsucht. Die rüstungskritische Organisation Aktion Aufschrei hat Sig Sauer jüngst unter anderem wegen "Beihilfe zum Totschlag" angezeigt. Auch das Bafa ist auf Spurensuche: Wie aus der Behörde zu hören ist, haben die Ausfuhrkontrolleure die Verantwortlichen in Eckernförde aufgefordert, alle für die Ausfuhr verantwortlichen Mitarbeiter seit 2009 aufzulisten. Also alle, denen bei einem bewussten und nachweisbaren Verstoß gegen deutsches Ausfuhrrecht eine Gefängnisstrafe droht.
Mitarbeit: Martha Soto, Gerardo Reyes