Vorwahlen bei Kandidatenkür:SPD-Landesverbände fürchten um Wert der Mitgliedschaft

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"Der völlig falsche Ansatz": Der Vorschlag der Parteispitze, alle interessierten Bürger bei Kandidaten-Aufstellungen mitbestimmen zu lassen, stößt auf Vorbehalte. Die SZ dokumentiert die Reaktionen in den SPD-Landesverbänden.

Von Marc Widmann, Jens Schneider, Romand Deininger, Bernd Dörries und Katja Auer.

Quo vadis, SPD: die altehrwürdige Partei sucht nach neuen Konzepten, um dem Mitglieder- und Zustimmungsschwund entgegenzuwirken. (Foto: ddp)

Der Plan der SPD-Spitze, künftig auch Nichtmitglieder bei wichtigen Personalfragen mitbestimmen zu lassen, stößt in Teilen der Partei auf Protest. So will die hessische wie auch die niedersächsische SPD dieser Reform nicht zustimmen, wie eine Umfrage in den Landesverbänden ergab.

"Die SPD muss viel verändern, aber dieser Punkt ist der völlig falsche Ansatz", sagte der hessische SPD-Generalsekretär Michael Roth am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. "Faktisch wird die Mitgliedschaft in der SPD entwertet, wenn auch interessierte Nichtmitglieder darüber entscheiden, wer für die SPD bei Parlaments- oder Direktwahlen ins Rennen geht", sagte Roth. Bislang sei dies ein "exklusives" Recht der Parteimitglieder. Er halte es für "den falschen Weg", den SPD-Mitgliedern dieses "zentrale Recht" abzusprechen. Er sei auch gegen ein Zweiklassensystem, in dem bei wichtigen Fragen alle Interessierten entscheiden, und bei weniger wichtigen Fragen allein die Parteimitglieder.

Der niedersächsische SPD-Landeschef Olaf Lies sieht für den Vorstoß der Parteispitze ebenfalls keine Zustimmung in seiner Landespartei. "Ich selbst bin da auch skeptisch", sagte Lies der SZ. "Es muss weiter einen Unterschied zwischen einer Mitgliedschaft und einer interessierten Mitarbeit geben." Dabei gehe es darum, "den Wert einer Mitgliedschaft in der Partei in Zukunft zu wahren". Was die Diskussion von Sachfragen angehe, habe sich die SPD in Niedersachsen bewusst für Nichtmitglieder geöffnet, die mitdiskutieren könnten. "Bei Personalfragen allerdings besteht da große Skepsis."

Wenig euphorisch zeigt sich auch Ralf Stegner, SPD-Landeschef in Schleswig-Holstein: "Es ist etwas anderes, ob man einen Landratskandidaten oder einen Kanzlerkandidaten aufstellt", sagt er. "Bestimmte Wahlen müssen den Mitgliedern vorbehalten sein, das ist der größte Mehrwert einer Mitgliedschaft."

Die Hamburger SPD-Spitze begegnet dem Vorschlag der Parteispitze zwar offen, will aber auch darauf achten, dass die Bedeutung einer Mitgliedschaft nicht gemindert wird. "Es muss uns gelingen, die Personalauswahl aus den Hinterzimmern herauszuholen", sagt der stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Dressel. Das Ziel müsse aber sein, Interessierte dann als Mitglieder zu gewinnen. "Es darf nicht so sein, dass die Mitglieder am Ende sagen, es gebe keinen Grund mehr, Mitglied der Partei zu sein."

In anderen Landesverbänden sieht man die Vorschläge der Parteispitze positiver. "Ich halte diese Debatte für sehr gut, wir brauchen eine Modernisierung der Parteiarbeit", sagte der baden-württembergische SPD-Chef und Wirtschaftsminister Nils Schmid. "Dazu gehört auch eine Öffnung für Nichtmitglieder." In seinen Augen sei das Modell der Primaries, also öffentlicher Vorwahlen, "sehr attraktiv", sagte Schmid. "Für die Angst, dass dann CDU-Wähler unsere Vorwahlen stürmen, sehe ich keine empirische Grundlage."

Schmid verweist auf Frankreich. Dort kürt die sozialistische Partei ihren Spitzenkandidaten im Oktober in einer Urwahl. Teilnehmen dürfen alle Anhänger der Partei. Sie müssen eine Gebühr zahlen und ein Bekenntnis zum Parteiprogramm ablegen. Auch bei der SPD sollen sich Nichtmitglieder registrieren und an den Kosten der Abstimmung beteiligen.

"Das geht in die richtige Richtung", sagt der saarländische SPD-Chef Heiko Maas. Vor Ort könne dann ja jeder Landesverband selbst entscheiden, ob er von der neuen Möglichkeit Gebrauch mache.

Der rheinland-pfälzische Generalsekretär Alexander Schweitzer erklärt: "Ich bin sicher, dass man darauf achten wird, dass die klassische Mitgliedschaft auch weiterhin der Dreh- und Angelpunkt in der Partei bleibt."

Mehr Zweifel hegen wiederum die bayerischen Sozialdemokraten. Einen "interessanten Vorschlag" habe Andrea Nahles da gemacht, sagt Generalsekretärin Natascha Kohnen. Wenn aber auch Landtags- und Bundestagskandidaten von Nichtmitgliedern bestimmt werden könnten, müsse es darüber auf jeden Fall "einen Riesenkonsens in der Partei" geben.

Die bayerische SPD versucht sich bereits an einer Reform. Sie will ihre kommunalen Listen für Nichtmitglieder öffnen, um wenigstens noch überall bei den Kommunalwahlen antreten zu können. In der nordrhein-westfälischen SPD verweist man darauf, dass man über die Vorschläge bis zum Parteitag im Dezember noch viel diskutieren werde.

Juso-Chef Sascha Vogt sagte der Leipziger Volkszeitung, entscheidend für die SPD sei es zuerst, ein vernünftiges Programm zu entwickeln. "Anschließend geht es darum, einen Kandidaten zu finden, der wirklich zum Programm passt und die beschlossenen Inhalte umsetzt.

© SZ vom 25.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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