Vor dem Integrationsgipfel:Wirtschaft fordert Abschiebestopp für Schüler und Azubis

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  • Im Mittelpunkt des heutigen Integrationsgipfels im Kanzleramt stehen Probleme junger Migranten auf dem Ausbildungsmarkt.
  • Wirtschaft und muslimische Verbände fordern deutliche Verbesserungen für Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund, sowohl was die Ausbildung als auch was die Chancengleichheit angeht

Wirtschaft fordert mehr Chancen für junge Migranten

Vor dem Integrationsgipfel an diesem Montag im Kanzleramt haben die Wirtschaft und der Zentralrat der Muslime die Politik aufgerufen, das Potenzial von Zuwanderern besser zu erschließen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will mit Vertretern von Ländern, Wirtschaft und Migrantenverbänden über Verbesserungen für Zuwanderer beraten. Im Mittelpunkt des siebten Integrationsgipfels stehen dabei Probleme auf dem Ausbildungsmarkt.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte mehr Verlässlichkeit für ausländische Lehrlinge und ihre Betriebe. "Es muss sichergestellt werden, dass geduldete Ausländer, die eine Ausbildungsstelle in Deutschland gefunden haben, diese auch abschließen können", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der Passauer Neuen Presse. "Die Aufnahme einer Schul- oder Berufsausbildung sollte ein dringender persönlicher Grund für die Aussetzung von Abschiebungen sein." Allen Asylsuchenden sollten auch von Anfang an Sprachkurse angeboten werden.

Muslime verlangen Paradigmenwechsel

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte der Düsseldorfer Rheinischen Post: "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Flüchtlingen." Für Flüchtlinge sollten Integrationskurse verbindlich werden, zudem sollten ihre Qualifizierungen frühzeitig erfasst und ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht verwehrt werden.

Mazyek verwies auf eine Studie, der zufolge in Deutschland lebende Ausländer 2012 rund 22 Milliarden Euro mehr Steuern gezahlt als Sozialleistungen bezogen haben. Dieses Potenzial könne durch Abbau von Arbeitsmarktbeschränkungen, Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Ausweitung von Deutschkursen noch gesteigert werden, sagte er.

Chancengleichheit durch anonyme Bewerbung?

Scharfe Kritik an der bisherigen Bildungspolitik in Deutschland übte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Safter Çinar. Dass es gerade bei den Deutschtürken, der größten Migrantengruppe Deutschlands, so viele gescheiterte Bildungskarrieren gebe, sei "kein ethnisches, sondern ein soziales Problem", sagte Çinar Spiegel Online. Die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte habe an dieser Stelle versagt.

Çinar forderte mehr Hilfen für Betriebe, die Jugendliche mit schwieriger sozialer Herkunft und geringer Qualifikation ausbilden. Außerdem müssten Diskriminierungen aufgrund ausländisch klingender Namen bekämpft werden, beispielsweise durch anonyme Bewerbungen.

Auch Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, forderte anonyme Bewerbungsverfahren. Diese seien "ein ganz wichtiges Instrument für Chancengleichheit im Bewerbungsprozess", sagte sie dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Kanzlerin Angela Merkel hatte am Wochenende ebenfalls das Augenmerk auf diesen Aspekt gerichtet. Dass Menschen mit ausländischen Namen viel seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, sei "leider richtig", sagte sie in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft. Alle müssten aber die Chance auf eine Berufsausbildung erhalten - ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Von anonymen Bewerbungen hält die CDU-Chefin trotzdem nichts. Sie forderte "ein gewisses Eigenengagement" von Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Situation von Menschen mit Migrationshintergrund

Bei Bildung, Ausbildung und Zugang zum Arbeitsmarkt sind Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Deutschen noch deutlich im Hintertreffen. So bleiben 30,5 Prozent der ausländischen jungen Menschen ohne Berufsabschluss - dreimal so viele wie junge Deutsche. Jeder fünfte Deutsche hat eine Zuwanderungsgeschichte - das sind etwa 16 Millionen Bürger. Die größten Gruppen sind Menschen türkischer und polnischer Herkunft.

Kritik an Integrationsgipfel: Reine Symbolveranstaltung

Beim Integrationsgipfel sind für die Regierung unter anderen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dabei. Ergebnisse, wie die Lage junger Menschen aus Zuwandererfamilien verbessert werden kann, will Merkel am Nachmittag vorstellen. Kritiker der Veranstaltung beklagen, diese liefere zu wenig konkrete Ergebnisse und habe nur Symbolcharakter.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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