Volksabstimmung über S21:Stuttgart wartet auf das Urteil der Bürger

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Der Druck im Kessel steigt: In Stuttgart rüsten sich Befürworter und Gegner des Tiefbahnhof-Projekts S21 für die Bekanntgabe des Ergebnisses der Volksabstimmung. Während die Befürworter stille Zuversicht üben, sind die S21-Gegner hin- und hergerissen zwischen letzter Hoffnung und vorauseilender Wut.

Michael König, Stuttgart

Bahnfahren ist in Stuttgart auch am Tag X ein Erlebnis mit krassen Gegensätzen. Die Vorhalle des Kopfbahnhofs erstickt im Weihnachtsschmuck: Lichterketten, Tannenzweige, Christbaumkugeln so weit das Auge reicht. Am südlichen Eingang singt ein Chor liebliche Lieder. Draußen, bei der Mahnwache der S21-Gegner, kann von solcher Stimmung keine Rede sein.

Vor dem Zelt steht ein Getränkeverkäufer und zieht seinen Hut tiefer über die Stirn. Er sei heute früher gekommen, erzählt der Mann, der sich vor der S21-Mahnwache postiert hat und die Gegner des Projekts versorgt: mit Anti-S21-Apfelschorle, "Ausstieg-jetzt"-Bier und "Sesselfurzer", das Bier für Politikverdrossene. "Ist aber nur noch ein halber Kasten da", sagt der Mann und weiß nicht recht, ob er das gut oder schlecht finden soll: "Einerseits geht es jetzt erst richtig los. Aber anderseits: Könnte sein, dass das heute Abend keine Party wird."

Um 18 Uhr schließen die Wahllokale. Bis dahin sind etwa 7,6 Millionen Baden-Württemberger dazu aufgerufen, zu entscheiden, ob das Land aus der Finanzierung von Stuttgart 21 aussteigen soll - oder eben nicht. Landesabstimmungsleiterin Christiane Friedrich teilt mit, nach einer Umfrage in 15 großen und kleinen, städtischen und ländlichen Gemeinden am frühen Sonntagnachmittag hätten 20,8 Prozent aller Wahlberechtigten (inklusive Briefwähler) ihr Kreuzchen gemacht. Das Endergebnis wird für den späten Abend erwartet, 20 oder 21 Uhr könnte es werden.

Nach den Umfragen sieht es danach aus, dass sich eine Mehrheit für Stuttgart 21 entscheiden wird. Vor allem dürfte aber das Quorum von 2,5 Millionen Stimmen deutlich verfehlt werden: so viele Baden-Württemberger müssten gegen S21 stimmen, um das Projekt zu kippen. Andernfalls, so will es die Verfassung, wäre das Ergebnis juristisch nicht verbindlich.

Wo findet die Party statt?

Die Menschen in Stuttgart können diese Details im Schlaf aufsagen. Vor dem Bahnhofs-Wahlkampf, in dem die Regierungsparteien Grüne (dagegen) und SPD (dafür) gegeneinander agierten, gab es kaum ein Entrinnen. Auch an diesem Sonntag flattern die Plakate am Hauptbahnhof im Wind, doch gedanklich sind die Kämpfer beider Seiten schon einen Schritt weiter.

Die S21-Befürworter haben den Ratskeller in der Nähe des Landtages reserviert, um ihren (wahrscheinlichen) Triumph zu feiern. Die Gegner bauen am späten Nachmittag an einer Bühne direkt vor dem Hauptbahnhof, auf der später ihre Party steigen soll - so es denn eine wird. Was bei einer Niederlage passiert? "Ich will es mir gar nicht vorstellen", sagt einer der Helfer, der Musik-Equipment auf die Bühne wuchtet. Er blickt am Gesprächspartner vorbei nach rechts, wo sich vor den Toren des Bahnhofs mehrere Polizeibeamte postiert haben.

Das schlimmste Szenario für alle, die des Streits müde sind: Eine Mehrheit spricht sich gegen S21 aus, aber das Quorum wird knapp verpasst. Boris Palmer, grüner Tübinger Oberbürgermeister und einer der Wortführer des Widerstands gegen den Tiefbahnhof, hat im Interview mit sueddeutsche.de schon angemahnt, dass dann die Politik am Zug sei. "Ich hielte es für politisch naiv zu glauben, dass die Abstimmung keine Auswirkungen hat, nur weil das Quorum um einige Prozentpunkte verfehlt wurde", sagte Palmer.

Am Ende müsse doch wieder Heiner Geißler ran und schlichten, scherzt ein älterer Herr, der soeben seine Stimme abgegeben hat. Wofür, will er nicht verraten. Er lächelt und sagt: "Ich bin mir sicher, dass ich der Mehrheit angehöre. Warten Sie's halt ab."

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