Visionen für die EU:In der Brüsseler Maschine

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Emmanuel Macron hatte in Paris seine ehrgeizigen Pläne für ein Europa der Zukunft präsentiert. Beim Gipfel zeigte sich, wie es um die Umsetzung steht: Manche Länder leisten Widerstand. Doch Macron lässt sich nicht bremsen.

Von Thomas Kirchner, Alexander Mühlauer

Das Phänomen Macron funktioniert auch in Brüssel. Wenn der neue französische Präsident die europäische Bühne betritt, zieht er die Blicke auf sich wie sonst nur Angela Merkel. Der 39-Jährige hat eine Präsenz, die seinem Vorgänger François Hollande völlig abging. Macron hat etwas zu sagen. Der Elan, mit dem "Manu", wie sie ihn nennen, sein Land und die Europäische Union umbauen möchte, wirkt ansteckend. Und so wurde die äußerst ehrgeizige Reformagenda, die er kürzlich bei seiner Rede in der Sorbonne-Universität aufriss, von den meisten EU-Kollegen begrüßt. Eine Vertiefung der Euro-Zone, gemeinsame Verteidigung, gerechte Steuern! Mehr Europa, ein besseres Europa!

Aber so einfach läuft es eben doch nicht. Die EU ist ein träges, schwer zu steuerndes Schiff. In dessen Maschinenraum verpufft ein Teil des Macron'schen Elans spätestens dann, wenn um die Details gerungen wird. Denn über die wichtigen Fragen wird noch immer im Konsens entschieden. Und das bremst.

Vor allem, wenn es ums Geld geht. Auf dem Gipfel zeigt sich das beispielhaft in der Steuerpolitik. Seit seinem Amtsantritt dringt Macron auf eine Steuer, die Internetkonzerne wie Google, Apple oder Amazon zahlen sollen. Er will nicht die kleingerechneten Gewinne besteuern, sondern die Umsätze, die tatsächlich in Europa gemacht werden. Im Kreis der EU-Finanzminister brachte Paris zuletzt zehn Länder auf seine Seite, darunter auch Deutschland. Doch das ist dem Franzosen nicht genug. Also hebt er das Thema auf die höchste politische Ebene. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag muss er dann erkennen, dass er nicht weiterkommt. Allen voran Irland sträubt sich. "Frankreich protegiert seine Rüstungsindustrie - und so gibt es eben andere Länder, die ihre wichtigen Industriezweige schützen", sagt ein EU-Diplomat.

In den Schlussfolgerungen des Gipfels liest sich Macrons Scheitern so: Der Europäische Rat wolle zwar "ein wirksames und faires Steuersystem, das an das digitale Zeitalter angepasst ist"; es müsse "dafür gesorgt werden, dass alle Unternehmen ihren angemessenen Anteil an Steuern entrichten". Doch dann folgt die Einschränkung, die den langsamen Tod des Vorhabens auf EU-Ebene besiegelt: Es brauche "gleiche globale Wettbewerbsbedingungen im Einklang mit der derzeit laufenden Arbeit im Rahmen der OECD".

Das ist nicht das einzige Thema, bei dem Macron in den kommenden Monaten an Grenzen stoßen wird, schließlich liegen die französischen und die deutschen Vorstellungen in der Wirtschafts- und Währungspolitik weit auseinander. Doch Macron scheint von dieser Aussicht überhaupt nicht beeindruckt zu sein. "Energie trifft auf Widerstand, das ist ganz normal", sagt er nach dem Gipfel. Und Energie habe er so viel wie zu Beginn. Ja, man habe "extrem ehrlich und direkt" über das Steuer-Thema debattiert. Einige Länder profitierten davon, Steueroptimierungsmodelle anzubieten. Aber wenn man das gemeinsame Interesse im Auge behalte, werde klar, dass digitale Konzerne wirksam besteuert werden müssten.

An seiner "Agenda des Ehrgeizes" hält er unbeirrt fest, es sei ein Momentum entstanden, "das wir in Gang halten können". Bis zum Sommer sollten überall "strategische Optionen" auf den Tisch, dann müssten einige Staaten vorangehen, die anderen nachkommen. "Der kleinste gemeinsame Nenner war noch nie der Motor der europäischen Einigung."

Damit könnte Macron auf die Agenda anspielen, die EU-Ratspräsident Donald Tusk erarbeitet hat und ebenfalls bis zum Sommer umsetzen will. Sie ist weniger ambitioniert, dafür wohl realistischer als Macrons Pläne. Aber auch der Franzose spiele eine wichtige Rolle, sagt ein europäischer Diplomat, der ihm wohlgesinnt ist; er könne "Treiber" und "Flügelstürmer" sein. "Das ist gut für die Europäische Union. Ob es auch gut ist für Macron, weiß man nicht so genau." Er werde unmöglich alle europäischen Ziele erreichen. Deshalb komme es darauf an, ob es ihm gelinge, das wenige, das er erreiche, auch innenpolitisch als Erfolg zu verkaufen.

Damit fängt Frankreichs Präsident schon an. Bei der Reform der Entsende-Richtlinie, wo es um den Kampf gegen Sozialdumping durch billige Arbeitskräfte aus Osteuropa geht, habe er viel erreicht, sagt er. "Die Landschaft hat sich verändert."

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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