Verurteilter SS-Mann Boere:Mord an der Haustür

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"Niederträchtig und feige": In Aachen ist der ehemalige SS-Mann Heinrich Boere zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Vollstreckung der Strafe ist ungewiss.

Hans Holzhaider

66 Jahre hat es gedauert, bis diese Verbrechen ihre Ahndung finden konnten. Im Sommer 1944 hat Heinrich Boere, heute 88 Jahre alt, in den von deutschen Truppen besetzten Niederlanden drei Menschen erschossen. 1949 wurde er dafür von einem Sondergerichtshof in Amsterdam zum Tod verurteilt, später zu lebenslanger Haft begnadigt.

Aber da hatte sich Heinrich Boere schon längst der holländischen Justiz entzogen. 1947 war er aus einem Kriegsgefangenenlager entflohen, sieben Jahre hielt er sich in Holland versteckt, dann überquerte er die deutsche Grenze und ließ sich in seinem Geburtsort Eschweiler als Bergmann nieder. Seit 1976 lebt er als Rentner in einem Seniorenheim. Nie hat er geheiratet - er habe ja, sagte er einmal, jeden Tag fürchten müssen, abgeholt zu werden.

Zivilisten mussten sterben, weil sie "deutschfeindlich" waren

Jetzt hat ihn seine Vergangenheit eingeholt: Das Landgericht Aachen verurteilte ihn wegen Mordes in drei Fällen zu lebenslanger Haft. Der Urteilsbegründung folgte er teilnahmslos, zeitweise schien es, als sei er eingeschlafen. Ob er das Urteil wirklich begriffen hat, ist ungewiss - vielleicht bleibt es ja auch folgenlos für ihn. Bis zur Rechtskraft können aller Voraussicht nach noch Jahre vergehen.

Die Opfer der drei Morde waren Zivilisten, die von den Nazi-Besatzern als deutschfeindlich eingestuft und deshalb als Zielpersonen für Vergeltungsaktionen ausgesucht worden waren. Fritz Bicknese, 56, Apotheker in Breda und Vater von zwölf Kindern, Teunis de Groot, 42, Fahrradhändler in Voorschoten, Vater von fünf Kindern, und Frans Willem Kusters, 28, Prokurist, ebenfalls in Voorschoten. Keiner von ihnen war je an bewaffneten Widerstandsaktionen gegen die Deutschen beteiligt gewesen.

"Niederträchtige und feige" Exekutierungen

Am 14. Juli 1944 kurz vor zehn Uhr abends betrat Heinrich Boere mit einem zweiten SS-Mann, beide in Zivil, die Apotheke Fritz Bickneses. Boere fragte: "Bist du Bicknese", und als dieser bejahte, zog er eine schussbereite Pistole aus der Manteltasche und erschoss den Apotheker. In gleicher Weise ging er am 3. September bei dem Fahrradhändler Teun de Groot vor.

Morgens um halb acht klingelten die Mörder an der Haustür, forderten de Groot, der im Schlafanzug war, auf, sich zu legitimieren, und schossen sofort. Nur eine Stunde später klingelten sie bei Frans Willem Kusters. Ihn nahmen sie, weil sie ihn nicht in Anwesenheit seiner Ehefrau erschießen wollten, im Auto mit und täuschten eine Panne vor. Kusters versuchte davonzulaufen, aber Boere und sein Kumpan töteten ihn mit mehreren Schüssen.

"Es waren Taten, die an Niederträchtigkeit und Feigheit kaum zu überbieten waren, außerhalb der Anständigkeit eines jeden Soldaten", sagte der Vorsitzende Richter Gerd Nohl in seiner Urteilsbegründung. Boere habe bewusst die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt und damit das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.

Boere, Sohn einer deutschen Mutter und eines holländischen Vaters, war im Alter von 18 Jahren freiwillig der Waffen-SS beigetreten, war zunächst an der Ostfront eingesetzt und nach einer Erkrankung zurück nach Holland gekommen. Dort wurde er im Mai 1944 für das "Sonderkommando Feldmeijer" rekrutiert, das im Auftrag des deutschen Sicherheitsdienstes unter dem Codewort "Silbertanne" Vergeltungsmorde verübte.

Boere sprach nie von einem Gewissenskonflikt

Er sei nicht gezwungen worden, sich diesem Kommando anzuschließen, sagte Nohl. "Er handelte zwar auf Befehl, aber ihm muss klar gewesen sein, dass die Erschießung unschuldiger Zivilisten rechtswidrig war." Boere habe auch in diesem Strafverfahren nie geltend gemacht, dass er sich in einem Gewissenskonflikt befunden habe.

"Er war immer vorn dabei, er schoss als Erster, und handelte aus eigener Überzeugung." Es sei richtig, "dass damals eine andere Zeit war", sagte Nohl, "aber es bleiben ganz normale Morde, begangen von einem Mörder." Nohl bedauerte es, dass Boere über zwei von seinem Verteidiger vorgetragene Erklärungen hinaus nicht bereit war, Fragen des Gerichts zu beantworten.

"Wir hätten viele Fragen gehabt - wie er sein Leben heute im Rückblick sieht; wie es ist, wenn man den Angriffskrieg eines anderen Landes gegen das eigene Land unterstützt; wie das ist mit der Reue, mit Sühne, mit einer Entschuldigung, oder ob heute das Fernsehen und das pünktlich Mittagessen wichtiger für ihn ist als alles andere."

Eine Antwort auf diese Fragen, sagte Nohl, hätte möglicherweise auch den Angeklagten erleichtert - "eigentlich, sollte man meinen, möchte jeder vor seinem Ableben reinen Tisch machen. Wir bedauern zutiefst, dass diese Chance nicht genutzt wurde."

Dolf Bicknese, ein Sohn des Apothekers Fritz Bicknese, und Teun de Groot, ältester Sohn des erschossenen Fahrradhändlers gleichen Namens, nahmen an der Urteilsverkündung teil. Das Urteil sei für ihn ein "befreiendes Ereignis", sagte Teun de Groot, 77. Dolf Bicknese, 73, sah das Urteil als Beweis dafür, "dass Gerechtigkeit auch nach so langer Zeit noch möglich ist."

© SZ vom 24.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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