Rückblickend wird es vielleicht einmal heißen, die Amtszeit des Emmanuel Macron habe eigentlich an diesem 3. Juli 2017 begonnen. Also nicht am 14. Mai, dem Tag des Amtsantritts des achten Präsidenten der V. Republik. Am Montag hat Macron vor dem Kongress in Versailles ein ehrgeiziges, ja kühnes Programm zum "grundlegenden Umbau" Frankreichs ausgebreitet. Und er hat die Nation, dessen Volk sich in Europa als erstes Republik und Menschenrechte erkämpfte, in die Pflicht gestellt, sich in Mitverantwortung für den Kontinent selbst aufzurichten.
Macron geriet der Diskurs in manchen Passagen arg abstrakt. Ein Präsident beim Rollenspiel: Mal Philosoph, mal Prediger, dann wieder ordinärer Politiker. Aber ab und an kam zum Vorschein, was sich "Macronismus" nennen lässt.
Etwa die Umdeutung der französischen Verheißung der "Égalité" zum Versprechen der Chancengleichheit. Macron, selbst Tatmensch und Eliteschüler, glaubt fest daran, dass jeder Franzose "es schaffen kann". Wenn denn nur alte Privilegien gestutzt werden und alle Bürger im Markt gleiche Möglichkeiten hätten. Und wenn denn die Gesellschaft Vorurteile und Diskriminierungen überwindet. Und wenn, ja wenn der Staat in elenden Vorstädten wie in entlegenen Dörfern mit mehr Lehrern und mehr Einsatz jedem französischen Kind seinen Weg zum französischen Traum ebnet. Ein schönes Ideal. Bisher war es meist zu schön, um wahr zu werden.
Frankreich:Macron will Ausnahmezustand in Frankreich aufheben
Der französische Präsident beruft sich auf ein höchst selten genutztes Privileg und versammelt beide Parlamentskammern - im Schloss Versailles. Die pompöse Kulisse nutzt er, um seine Vision auszubreiten.
Macron weiß, wie sehr die Franzosen politischen Institutionen misstrauen
An anderer Stelle, etwa bei der Wiederbelebung von Frankreichs parlamentarischer Demokratie, sprach Macron, der Machtpolitiker. Da klang er weniger lyrisch, sondern handfest. Und konkret. Der Präsident weiß, wie sehr seine Landsleute den politischen Institutionen misstrauen. Auch deshalb gibt er sich entschlossen, seine geplante Verfassungsänderung gegen etablierte Interessen und Widerstände mit Volkes Wille - per Referendum - durchzusetzen.
Ein Eckstein für eine Neubelebung von Frankreichs Demokratie ist die Idee, Frankreichs brutal hartes Mehrheitswahlrecht aufzuweichen. Macron will künftig wenigstens einen Teil der Volksvertreter proportional zum Anteil der abgegeben Stimmen wählen lassen. Das würde verhindern, dass - wie im Juni - die Regierungspartei mit nur einem Drittel der abgegebenen Stimmen satte drei Fünftel aller Mandate ergattert. Viele, nicht nur links- oder rechtsextreme Franzosen, deuten das alte Wahlrecht als Instrument der regierenden Klasse, sich Frust und Zorn des Volkes vom Leib zu halten. Viele gehen deshalb nicht mehr zu Wahl, sie entziehen der Demokratie ihr Vertrauen.
Die Sorge, mehr Repräsentativität stärke nur die Radikalen, hat Macron persönlich widerlegt. Die Art, wie er die Rechtspopulistin Marine Le Pen in der entscheidenden TV-Debatte vorführte, bewies: Frankreichs Demokraten sind stark genug - sie können mehr Demokratie wagen.
So feurig, so mitreißend wie der Kandidat im Mai mochte der Präsident im Juli nicht mehr auftreten. (Schade eigentlich.) Noch wichtiger aber ist seit den vielen klugen Worten vom Montag, was Macron als nächstes macht. Geredet hat er. Jetzt wäre Zeit für Taten.