Verkehrspolitik:"Ich bitte Sie"

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Andreas Scheuer (CSU) hält eine Durchsuchung der E-Mail-Postfächer in seinem Büro für einen schwerwiegenden Eingriff in das Mandat, das ein gewählter Abgeordneter im Parlament weisungsfrei ausübt. (Foto: dpa)

Das Kraftfahrtbundesamt segnete Pkw-Maut-Verträge im Frühjahr erst auf Druck des Ministeriums von CSU-Politiker Andreas Scheuer ab.

Von Markus Balser und Martin Kaul, Berlin

Die Vorbereitungen für die Pkw-Maut liefen im Frühjahr längst auf Hochtouren. Nach außen verkaufte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sie zu jener Zeit als Erfolgsprojekt, das ohne Zweifel kommen werde. "Wer fährt, der zahlt", kündigte er an. Doch neue Dokumente zeigen, dass es im Ministerium und in dem ihm unterstellten Kraftfahrtbundesamt bereits brodelte, bevor der Europäische Gerichtshof das Projekt im Juni endgültig kippte.

Zwar hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer die zwei Milliarden Euro schweren Verträge mit den beiden Betreibern schon zum Jahreswechsel geschlossen. Doch noch Monate danach war dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) offenkundig unklar, wie das Prestigeprojekt der CSU eigentlich wirtschaftlich abgesichert und rechtlich sauber realisiert werden sollte. Das legt ein als Verschlusssache eingestufter Brief nahe, der Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR vorliegt.

In dem Papier vom 15. Mai 2019 wandte sich der Präsident des KBA, Ekhard Zinke, an das Bundesverkehrsministerium mit einer klaren Botschaft: Er verweigerte die Unterschrift seiner Behörde zu einer sogenannten Zustimmungsvereinbarung. Diese sollte ein komplexes Vertragswerk zwischen Mautbetreibern und dem Staatsunternehmen Toll Collect, das eigentlich für die Lkw-Maut zuständig ist, absegnen. Zinke meldete seine Zweifel an, weil Toll Collect den Verträgen zufolge Aufgaben der Pkw-Mautbetreiber übernehmen sollte. Selbst ihm, dem zuständigen Behördenchef, aber blieb offenbar unklar, wer letztlich in welchem Umfang für die Erledigung dieser Aufgaben zahlen sollte. So drohte auch dem Steuerzahler ein Aufschlag auf die Maut. Den Plänen zufolge sollte Toll Collect etwa den Auf- und Umbau von Mautterminals, die Abwicklung von Zahlungen für die Pkw-Maut übernehmen, Mitarbeiter sowie Projektmanagement zur Verfügung stellen. Aus den Formulierungen des Behördenchefs gehen schwere Bedenken hervor. Es sei nicht bekannt, in welcher Höhe Vergütungsleistungen anfallen würden und "ob insoweit entsprechende Haushaltsmittel im Haushalt 2019 ff eingestellt worden sind", schrieb Zinke. "Aufgrund der haushaltsrechtlich unbekannten Situation und insbesondere der genannten Bedenken sieht sich das KBA derzeit nicht in der Lage, eine Zustimmungsvereinbarung zu dem geplanten Unterauftragnehmervertrag zu unterzeichnen oder sonstige Vereinbarungen in diesem Zusammenhang zu treffen", steht im Brief des Behördenchefs.

Dabei brauchte Scheuer die Unterschrift des KBA dringend, um die Mautpläne nicht zu gefährden. Die Vorgänge machen klar, was intern zu einem der größten Probleme wurde: die Kosten. Denn sie drohten deutlich höher auszufallen als das vom Bundestag genehmigte Budget von zwei Milliarden Euro für zwölf Jahre Laufzeit. Damit aber hätte Scheuer dem Parlament neue Pläne vorlegen müssen - mit offenem Ausgang. Die Abgeordneten hätten höhere Kosten ablehnen und die Maut kippen können.

Doch um die Kosten zumindest auf dem Papier nicht zu sprengen, sicherte das Ministerium dem privaten Betreiberkonsortium Kapsch/Eventim und deren Betreiberfirma Autoticket zu, dass bestimmte Leistungen nicht durch Autoticket, sondern von einem dem Bund unterstellten Unternehmen übernommen werden sollten - dem Lkw-Mautbetreiber Toll Collect. Es seien mehrere Vertragsentwürfe erarbeitet und abgestimmt worden, "die zu einem sehr komplizierten Vertragskonstrukt führen", beklagte Zinke. Und weiter: "Soweit von hier aus einschätzbar, führen die (...) vorgesehenen Anpassungen zu vergaberechtlich nicht irrelevant erscheinen wollenden Fragestellungen sowie zu einer ebenfalls nicht unwesentlichen Änderung der generellen Haftungsverantwortlichkeiten des Betreibervertrages."

Die Opposition wirft Minister Scheuer vor, er habe Kosten verstecken wollen

Beteiligte halten es für äußerst ungewöhnlich, dass das Bundesverkehrsministerium Ende 2018 den Zwei-Milliarden-Vertrag mit dem Mautbetreiber Autoticket bereits abschloss, noch ehe bei den beteiligten Bundesbehörden absehbar war, welche zusätzlichen Kosten dadurch auf den Bund zukommen würden. Zwei Wochen nach dem Brief von Zinke ans Ministerium wurde der Vertrag Ende Mai dennoch unterzeichnet - de facto auf Anweisung des Verkehrsministeriums: "Ich bitte Sie oder einen Vertreter des Kraftfahrtbundesamtes, die Vereinbarungen am genannten Datum zu unterzeichnen", hieß es darin. Pikanterweise räumt das Ministerium ein, dass Toll Collect für die Arbeiten keine "marktübliche" und mit "potenziellen Haftungsrisiken korrespondierende Vergütung erhält". Intern gebe es aber keine Bedenken, beschwichtigte das Ministerium. Auch seien die erforderlichen Etatanmeldungen im Bundeshaushalt 2020 beantragt worden.

Kritiker aus der Opposition, aber auch Verfahrensbeteiligte werfen Scheuer vor, er habe das Ausmaß der tatsächlichen Kosten bei Vertragsabschluss noch gar nicht gekannt und Kosten verstecken wollen. Scheuer habe die Pkw-Maut retten wollen, in dem er Aufgaben an das Staatsunternehmen Toll Collect übertragen habe, sagt nun der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Oliver Luksic. "Hier hätte wieder der Steuerzahler einspringen müssen", so der Freidemokrat. Das Bundesverkehrsministerium bezeichnete die Vorgänge auf Anfrage als "übliches Verwaltungshandeln". Ein Sprecher wies am Freitag die Vorwürfe zurück, das Ministerium habe Kosten verstecken wollen. Unstrittig ist allerdings, dass das Konstrukt zu zusätzlichen Kosten von mindestens 164 Millionen Euro geführt hätte. Diese seien in den Entwurf des Bundesetats 2020 eingeflossen, erklärte ein Sprecher auf Anfrage.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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