In Ihrem Buch führen Sie ein Beispiel für die unterschiedlichen Ansichten zur weiblichen Sexualität an: die Barbie und die Fulla-Puppe.
Barbie nimmt als Repräsentantin einer westlichen Frau verschiedenste Rollen ein: Sie hat unterschiedliche Jobs, reist und trägt modisch alle möglichen Stile. Für muslimische Kinder gibt es ihren Gegenpart, die Fulla-Puppe. Sie trägt Schleier, repräsentiert die muslimischen Moralvorstellungen und arbeitet in Berufen, die in traditionellen Gesellschaften anerkannt sind, als Ärztin oder Lehrerin.
Barbie entspricht als vollbusige Blondine gängigen Männerträumen. Wie selbstbestimmt sind Frauen in Europa oder den USA wirklich?
Natürlich gibt es auch in Deutschland oder den USA patriarchische Denkweisen. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Diskussion über die Abtreibung. Aber der Konflikt wird sehr viel moderater als in anderen Teilen der Erde ausgetragen. Trotzdem glaube ich nicht an einen Kampf der Kulturen, vielmehr findet der Konflikt innerhalb der Gesellschaften wie der indischen oder amerikanischen statt.
Betrifft die Diskussion nur Frauen?
Ich glaube das Thema ist für uns alle interessant. Fragen zu Geschlecht und Sexualität lassen Schlüsse darauf zu, wie wir uns definieren. In der Vergangenheit haben wir mit Nationalismus, religiösen Konflikten und ökonomischen Ideologiekämpfen gerungen. Der derzeitige Kampf um Fragen der Sexualität ist in seinem Ausmaß einzigartig. Außerdem zeigen die Berichterstattung der indischen Presse und die Diskussion im Internet, dass nicht mehr nur die Frauen, sondern auch Männer und ihre Sexualität erörtert werden.
Welchen Einfluss hat der Konflikt auf die männliche Sexualität?
Wie sich die männliche Sexualität verändert, wird ebenfalls Auswirkungen auf Institutionen wie Ehe, Beziehungen, Arbeit und Bildung haben. Auch die Bestrafung von Verbrechen wie Vergewaltigungen wird sich in Indien ändern und könnte dazu führen, dass sich eine egalitäre Moralvorstellung entwickelt, unabhängig von Geschlechterfragen. Das wird allerdings auch starken Widerstand in patriarchischen Gesellschaften provozieren.
Wie kann der Konflikt gelöst werden?
Aus Sichtweise westlicher Staaten hat jede Form der Intervention, ob militärisch oder durch Entwicklungshilfe, nur begrenzten Einfluss. Ich denke, Gesellschaften müssen den Konflikt selbst austragen. Vielleicht hat die Globalisierung ihren Anteil am Fortschritt: Ein Land kann es sich wirtschaftlich kaum leisten, 50 Prozent seiner Bevölkerung vom Arbeitsmarkt auszuschließen. In Saudi Arabien sehen wir zwar, wie sichere Öleinnahmen Reformen behindern, auf Dauer wird es aber auch für konservative Regierungen schwer werden, den Fortschritt der Frauen aufzuhalten. Es braucht eben Zeit.